Anständig geblieben

Ein Frauenleben, wie es viele gab und gibt und doch stehen sie selten im Fokus. Im Kaiserreich geboren erlebt Hanna Krause zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, zwei Weltkriege und deren Enden, die teilweise in echten Demokratien enden. Ihr Leben scheint immer von außen gesteuert, doch schafft sie eine Selbstermächtigung, die erstaunt und der man Achtung zollen muss. Wie sie das schafft, erzählt Annett Gröschner eindrucksvoll und unprätentiös, so wie Hannas Leben ist. Ihr Credo anständig bleiben hat dazu sicher in großem Maß beigetragen.

Gibt man den Titel von Annett Gröschner neuem Roman Schwebende Lasten in einer Internet-Suchmaschine ein, erhält man vielfältige Treffer. Neben Verweisen auf bereits erschienene Besprechungen – alle äußerst positiv und das zu Recht – und das Buch direkt, wird man zu vielen Seiten geleitet, die sich mit Arbeitsschutz und Sicherheitsregeln beim Einsatz von Kranen beschäftigen.

Lasten gibt es in Hanna Krauses Leben viele. Nicht erst als sie tatsächlich in einem Stahlwerk der DDR als Kranführerin arbeitet. Mit dieser Tätigkeit hält sie ihre Kinder, insgesamt waren es einmal sechs, zwei verlor sie und ihren versehrten Mann über Wasser. Die Regel
Solange eine Last am Kran hängt, muss der Kranführer die Steuereinrichtung im Handbereich halten, um jederzeit eingreifen zu können“
passt hervorragend als Motto für Hannas Leben. Denn Hanna hat ihr Leben, trotz aller Widrigkeiten, die sie eben nicht selbst steuern kann, irgendwie immer im Griff. Sie nimmt es wie es kommt und macht aus dem was sie hat, das Beste. Auch wenn sie tatsächlich sehr leidet.

Einmal öffnet sich so etwas wie eine Tür zu einer anderen Welt. Da ist sie noch Besitzerin eines Blumenladens – denn ihre Leidenschaft gehört eigentlich der Floristik. Nicht der Floristik, wie sie üblich ist und von ihr in Jugendjahren, als sie ihrer Schwester im Laden half, verlangt wird. Die Sträuße, die Hanna dort bereits bindet, sind ungewöhnlich, was ihrer Schwester nicht gefällt, aber bei den Käufern – meist sind es Männer, die ein schlechtes Gewissen haben – gut ankommen. Auch im eigenen Laden schafft sie es mit Geschäftssinn, die ständig drohende Pleite – wer kauft schon Blumen in einem dicht bewohnten Arbeiterviertel, wenn das Geld schon für die Lebensmittel zu knapp ist – abzuwenden. Zwar kommt ihr Mann aus bodenständigem Haus, doch seine politische Gesinnung entspricht nicht der Zeit und schon gar nicht der seines Vaters. Als sich die Tür des im Magdeburger Knattergebirge ansässigen Geschäfts öffnet und ein extrem gut gekleideter und distinguiert auftretender Herr eintritt, erhascht Hanna einen Blick in ein anderes Leben.

Der Herr möchte einen besonderen Strauß gebunden haben. Der Strauß soll einem Bild von Ambrosius Borsschaerdt nachempfunden sein und Hanna sieht sofort, dass das nicht funktionieren kann. Denn die Blumen, die auf dem Gemälde verewigt wurden, blühen nicht zu gleicher Zeit. Zumindest nicht im Magdeburg der 1920er / 1930er Jahre. Da dem namenlosen Herren der Strauß aber wichtig zu sein scheint, nimmt Hanna mit der Vorgabe an, den Strauß zu einem bestimmten Zeitpunkt so zu binden, dass er eine ähnliche Komposition aufweist. Im Grunde ist das eine Schlüsselszene für ihr ganzes Leben. Nehmen was da gerade angeboten wird und das Beste daraus machen. Aber und das ist Hanna wichtig: immer anständig bleiben.

Es kommt zu keiner weiteren Begegnung mit dem Herren, der Strauß ist zwar bezahlt, wird aber nicht abgeholt. Das Bild, das Hanna vergeblich im Museum gesucht hat, bleibt auf immer verschwunden – so wie der Auftraggeber des Straußes. Das Schicksal des Bildes, wie auch des Mannes bleibt ungeklärt, zumindest in Teilen. Die Abbildung des Kunstwerks wird sie ihr Leben lang behalten.

Die Verbindung die Gröschner am Ende des Lebens von Hanna zu diesem Bild schafft, ist eine tröstliche, beinhaltet sie doch den Ausblick darauf, dass trotz aller Schwere, die auch Hanna nicht einfach stoisch erträgt, am Ende des Tages Schönes überdauern kann. Auch dann, wenn man glaubte, es wäre verloren. Die Figur der Hanna durchlebt Höhen und Tiefen. Man kann nicht sagen, dass sie alles immer klaglos oder mit Verve übersteht. Aber sie ist eine der Personen, die immer wieder aufstehen. Und das ist es doch, was wirklich bewundernswert und vor allem tapfer und mutig ist: Sich in die Arena des Lebens begeben zu können und Niederlagen, die dazu gehören, damit es eine persönliche Entwicklung geben kann, tatsächlich zu überwinden. Ein wenig hat mich Hanna an John Williams Stoner, der eines meiner nachhaltigsten und beeindruckendsten Leseerlebnisse kennzeichnet, erinnert.

Schwebende Lasten von Annett Gröschner ist am 20. März 2025 gebunden im C.H.Beck Verlag erschienen. Für mehr Informationen zum Buch durch Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder direkt auf der Verlagsseite.

2 Gedanken zu “Anständig geblieben

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..