Lies einen Poschenrieder, haben sie gesagt. Mach ich doch glatt und ich fürchte, ich habe wieder mal einen unbeabsichtigten Kardinalfehler begangen, indem ich exakt mit dem falschen Werk angefangen habe, um den Autor kennenzulernen. Am Anfang des Romans war ich noch sehr angetan, aber sehr schnell haben sich erste Irritationen aufgetan, die sich nach und nach sogar noch bis in ernsthafte Qualitätsmängel aus meiner Sicht verdichtet haben.
Wie gesagt das Ausgangssetting des Romans bietet viele Gesichtspunkte, Personen- und Szenenwechsel, aber der Autor hat diese Konstruktion gut entwickelt. Die unterschiedlichen sehr kurzen Erzählstränge sollen die Sicht von jedem einzelnen Mitglied einer Clique auf ein Verbrechen, das einer der Freunde begangen hat, darstellen. Hier ist überhaupt nichts wirr oder unklar oder auch zerhackt präsentiert, die Darstellung folgt genau der Intention, ein Verbrechen und die Sicht auf den potentiellen Täter möglichst aus vielen Blickwinkeln zu beleuchten.
Was mich als erste Irritation störte, waren Logikfehler bezüglich der Location an der der Roman spielt. Es wird der Anschein erweckt, es handle sich um Braunau am Inn als Geburtsstadt von Adolf Hitler. Die fiktive Reihenhaussiedlung in Straßen nach Bäumen Dichtern und Erfindern gibt es aber in Braunau nicht. Ich habe es extra auch noch gegoogelt, obwohl ich mich dort auskenne, weil ich jedes Jahr meine Sommerferien bei der Tante dort verbrachte. Zuerst dachte ich auch noch an den Vorort Laab oder Lach, aber auch in diesen Gegenden fanden sich keine Straßen mit den angegebenen Namen. Sorry, dass ich da so pingelig bin, aber wenn man schon eine reale Stadt im Plot verwendet, sollten zumindest die Location existieren und die Straßennamen stimmen. Das ist ganz schlechte Recherchearbeit eines Autors, wozu gibt es eigentlich Google Maps.
Nach und nach wird das Grundkonzept nur noch lähmend, der Plot entwickelt sich im Schneckentempo, denn die Geschichte kommt sehr langsam vom Fleck, da jeder einzelne Aspekt und jedwede Handlungsfolge der Straftat von jedem der Freunde Sebastian, Benjamin, Sabine,Till, Emilia, dem Anwalt und dem vermeintlichen Täter, genannt Gefangener, einzeln und ausführlich aus dem eigenen Blickwinkel betrachtet werden muss (Verbrechen, Verhaftung des Freundes, Verhöre, Zeugenaussagen, Enthaftungsforderung, Anwalt, Prozesseröffnung, Prozessverschiebung, Prozesstage…) Das dauert ewig und ist extrem langatmig.
So ein Handlungsaufbau gibt zwar sehr gute, intensive Einblicke ins Gerichtsverfahren, verleiht den handelnden Figuren auch ordentlich Tiefe, neigt aber neben dem bereits angesprochenen fehlenden Tempo auch noch zu Redundanzen und wer mich ein bisschen kennt, weiß, wie sehr ich Redundanzen verabscheue.
Fazit: Nichtsdestotrotz eine recht saubere literarische Arbeit, wenn sie auch gegen mein erstes Literaturgebot verstößt „Du sollst nicht langweilen“. Deshalb empfehle ich Euch einen anderen Poschenrieder zu lesen, aber nicht diesen. Wie wäre es mit dem? Das Sandkorn. Diesen Roman empfiehlt meine Mitstreierin auf diesem Blog @biroxi wärmstens.
Ein Leben lang von Christoph Poschenrieder ist im Diogenes Verlag als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

Kein Problem Alex, machnmal macht das Gehirn so Verknüpfungen … ;)
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@Bri ich bin mir mittlerweile auch sicher, dass ich mich geirrt habe, lasse das aber ganz bewußt stehen, denn Irren ist menschlich und nachträgliches Revidieren wäre ned so authentisch, drückt aber dann auch sehr unvermittelt meine Irritation im Moment des Lesens aus, ich bin halt definitiv fehlbar. :-)
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liebe Alex, na es steht tatsächlich im Nachwort, meine ich, dass er sich eben den realen Fall als Inspiration genommen hat … ich mache das auch so wie du, dass ich vor meiner eigenen Besprechung nix groß darüber lese. Aber die Infos vom Verlag, meine ich, hatten das mitgegeben, dass es eben ein realer Fall war. In München wohl und das ging damals halt in Bayern durch die Presse. Dass das nicht über Landesgrenzen rüberschwappt, klar. Das mit Braunau muss ich mir noch mal ansehen. Aber ist es nicht auch irgendwie cool, dass wir so ins Gespräch dazu kommen? LG, Bri
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@Bri Ich hab leider das Post-It vergessen zu kleben, es war irgendwie in einem Nebensatz, dass es die Geburtsstadt von Hitler wäre, aber ich kann mich da auch geirrt haben. Dass es sich um keinen fiktiven Fall gehandelt hat, hätte ich jetzt nie gedacht, ich habe von den Meldungen noch nie was gehört, das ist sicher nicht zu uns nach Österreich gedrungen. Alleine deshalb wäre ich auch nie auf die Idee gekommen, den Fall zu suchen und zu googlen. Andere Rezensionen lese ich mir vor dem Schreiben und Veröffentlichung der meinen auch nie durch, denn ich will mir ja meine Spontanmeinung nicht ändern lassen. Deshalb kommt es auch hier dann zu einem Upfate und einer Diskussion die ich auch so stehen lasse, wenn ich nachträglich in einigen Punkten klüger bin und meine Meinung relativiere. Ist auch ehrlicher so, meine ich :-)
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PS: eine Location kann man durchaus verfremden – sollte man auch in einem fiktiven Werk, was das Buch ja immer noch ist – und dennoch wird es erkannt werden können …
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Liebe Alex, für Dich wäre „Der unsichtbare Roman“ vielleicht der bessere Einstieg gewesen. Denn dieses Buch, das ja gar nicht so richtig ein Roman ist, sondern mehr einer oral history gleicht, ist vielleicht kein Paradebeispiel für die Kunst von Poschenrieder. Ich bin schon großer Fan, aber auch ich finde dieses Buch nicht sein bestes. Aber wie bitte kommst Du auf Hitler und Braunau? Es geht doch um einen tatsächlichen Mord, der die Inspiration zu dem Buch brachte. Der Tatverdächtige wurde eben jahrelang von seiner Clique als unschuldig gepriesen … etc. Und genau dieses Nicht-Wissen, was da nun in Wahrheit passiert ist, das ist doch sehr gut umgesetzt. Also man kann ergooglen, bzw. per Ecosia (bessere Wahl) herausfinden, um welchen Mord es geht.
Aber ich gebe Dir Recht, es ist ein hin und her und aufgelöst bekommt man nicht wirklich etwas, weil das einfach nicht geht.
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