Sheriff Ripley Wingate ist Frühausteher, ein Mann von Recht und Ordnung und mit Erfahrung. Und weil er das ist, kann er der jungen Frau, die in Allerherrgottsfrühe in ihrem Auto mit einem Schälmesser bewaffnet und ihrer toten Katze Annabelle auf dem Rücksitz auf ihn wartet nicht helfen. Zwar weiß er sofort, von wem sie spricht, als sie wegen eines Mannes, der sie beobachtet, sie einschüchtern will und offensichtlich ihre Katze getötet hat, Wingates Beistand einfordert, doch kann er Blackway nichts nachweisen. Klar ist: Blackway ist der Bösewicht Nr. 1 in der Gegend und hat einen Ruf, der jeden davon zurückschrecken lässt, sich im zu widersetzen. Wingates Vorstellung von Recht und Ordnung ist eine der Demokratie zutiefst verpflichtete, Vermutungen genügen ihm nicht, er muss beweisen können, dass jemand etwas getan hat, um den oder diejenige festzunehmen. Und so rät er der jungen Frau, die weder aus dem Ort stammt noch Freunde unter der Ansässigen hat, wegzugehen. Doch Lilian hat nichts getan und weigert sich so einfach klein beizugeben. Ein Umstand, der Wingate imponiert, er rät ihr, sich in der ehemaligen Stuhlfabrik Hilfe zu holen, bei ein paar anderen Männern mit Erfahrung …
Castle Freemans drei Romane um den Nachfolger Wingates im Sheriffamt in dem Ort tief in den Wäldern Vermonts habe ich vor längerer Zeit mit großer Begeisterung gelesen und hier auch vorgestellt. Auf die sanfte Tour, Der Klügere lädt nach und Herren der Lage sind stilistisch ebenso knapp und lakonisch, ein wenig düster und brutal, aber inhaltlich immer auf der Seite der Gerechten und mit einer gehörigen Portion Gegenwehr gegen die Gemeinen, die Kriminellen verfasst. Auch die Männer mit Erfahrung warten mit diesen Attributen auf, sind wunderbar altmodisch mit sprechenden Kapitelüberschriften versehen und lassen einen das Buch nicht aus der Hand aus der Legen. Obwohl ebendiese Männer den lieben langen Tag – die gesamte Handlung der gerade mal 170 Seiten umfassenden und dennoch thematisch viele geschellschaftlich wunde Punkte ansprechenden Romans erstreckt sich gerade mal über einen Tag – in einer alten, aufgelassenen Fabrik sitzen, Bier trinken und reden. Vor allem über die anderen Einwohner des Ortes und deren Lebensgeschichten. Als die junge zugezogene Frau in der Dead River Stuhlfabrik auftaucht, ist das absolut ungewöhnlich.
Und so betrieb Whizzer auf dem Hof vor der alten Stuhlfabrik sein kleines Sägewerk, und aus dem Büro hatte er eine Art Klub gemacht. Es gab eine Kaffeekanne und einen Kühlschrank. Es gabe einen Ofen für den winter einen Ventilator für den Sommer. Dort also saßen Whizzer und die, die ihm Gesellschaft leisteten: die Männer, die ihr Holz zum Sägewerk brachten, die jungen Burschen, die ihm halfen, irgendwelche Leute, die gerade vorbeikamen und ein einigermaßen beständiges Grüppchen von drei, vier Männern, die etwas jünger waren als er und bei ihm ein und aus gingen. Sie saßen im Büro und redeten – oder auch nicht. Sie sahen sich in dem kleinen Fernseher, den Whizzer aufgestellt hatte, Spiele an. Wenn Bier zur Hand war, tranken sie es. Die Zeit verging.
Da der Mann, der Lilian laut Wngate auf die von ihm selbst gewählte Weise eventuell helfen könnte, nicht im Sägewerk anzutreffen ist, stellt Whizzer der jungen Frau zwei andere Männer an die Seite, um das Problem Blackway irgendwie in Griff zu kriegen. Der junge Nate the Great fürchtet sich so ziemlich vor nichts, ist aber durchaus unvorsichtig und impulsiv zu nennen. Den Ausgleich dazu bietet der alte Lester, der – wie im Lauf der Lektüre schnell klar wird – mit allen Wassern gewaschen ist. Während also das ungleiche Trio sich scheinbar ohne Plan auf die Suche nach Blackway macht, sitzen Whizzer und ein paar andere ihm Gesellschaft Leistende im Sägewerk und reden.
Ein durchaus kluger und trickreicher Schachzug ist dieser Chor der allwissenden alten Männer, die alle mindestens eine Geschichte über Blackway zu erzählen haben und damit ziegen, weshalb eine Welt ohne diesen Typen besser dran ist, Und dennoch bleibt die Frage: Können es Les, Nate und Lilian mit Blackway aufnehmen? ZUnächst hatte ich das Gefühl, diese Jagd muss einfach schief gehen. Doch nach und nach entpuppte sich Nate als sehr viel lebenklüger als gedacht und Les als sehr gerissener als vermutet. Unterschätzt zu werden, ist häufig nicht das Schlechteste.
Männer mit Erfahrung ist sicherlich kein Buch, das darauf besteht, jegliches Problem könne durch gelungene Kommunikation aus der Welt geschafft werden – und so funktioniert unsere Welt ja auch nicht. Gewiss kann man sich fragen, wie weit man gehen kann, um jemanden, der seine Mitmenschen regelrecht terrorisiert, zu stoppen. Lester weiß das.
»Damit wir uns verstehen«, sagte Lester und sprach jetzt zu ihnen beiden. »Wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt.« er schwenkte den Schlüssel. »Wenn wir Blackways Schlüssel nehmen, kann er nicht mehr weg – aber wir auch nicht. Dann gibt*s kein Zurück mehr. Wenn wir den Schlüssel nehmen, müssen wir die Sache durchziehen. Bis zum Ende. Das habt ihr verstanden, oder?«
»Ja«, sagte Liilan.
»Ich hab keine Angst vor Blackway«, sagte Nate
Manchmal muss man etwas durchziehen – und dabei ehrlich bleiben. Ehrlich in dem Sinn, dass das was man tut, vielleicht nicht unbedingt besser ist, als das was das Gegenüber getan hat. Man hat den Kampf nicht begonnen, aber man beendet ihn – koste es, was es wolle.
Männer mit Erfahrung von Castle Freeman, übersetzt von Dirk van Gunsteren, ist als Taschenbuch bei dtv erhältlich. Mehr Information zum Buch über Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

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