Unter Verdacht

Als der Direktor der Privatbank Brüggemann Sohn tot aufgefunden wird, ist für die Öffentlichkeit recht schnell klar: Es muss die Prokuristin Thea Iken gewesen sein, die ihn ermordet hat. Suspekt ist sie schon seit langem, hat sie sich doch relativ schnell und -zugegebenermaßen – engagiert im Bankhaus hochgearbeitet, ohne eine konkrete Befähigung nachweisen zu können. Sie scheint dem Bankdirektor ebenso freundschaftlich verbunden gewesen zu sein, wie auch seinem Sohn. Von sich selbst gibt sie wenig preis. Die Kollegen beäugen sie seit langem kritisch. Zwar arbeitet sie viel und ist auch gut in dem, was sie tut, doch fragt sich jede*r der Kolleg*innen, weshalb der Chef so großes Vertrauen in sie setzt. Die aufkommende Bankenkrise, wir schreiben das Jahr 1931, hilft nicht gerade dazu, Ruhe unter der Kollegen und in der Branche zu schaffen. Vieles wird vermutet und als der Direktor tot, höchstwahrscheinlich ermordet, aufgefunden wird, geht es auch um jede Menge Geld …

Ein Mächchen mit Prokura ist der erste Band der Reihe Entdeckungen, die im Rowohlt Verlag von Magda Birkmann und Nicole Seifert herausgegeben wird. Die Idee dieser Reihe entstammt der Aktion #frauenzählen, die sicherlich der Eine oder die Andere kennt. Für diejenigen unter euch, die davon noch nichts gehört haben, kurz ein bisschen Hintergrund: Seit Jahren wird darum gerungen, Frauen, die schreiben oder geschrieben haben, mehr Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen. Es gibt diverse hashtags, wie eben #frauenzählen, #frauenschreiben oder #frauenlesen. #frauenzählen geht tatsächlich direkt auf Nicole Seifert und ihren Blog zurück – sie hat, wie dort (Klick auf den Link), ausführlich beschrieben, mittlerweile auch ein Buch über Frauenliteratur geschrieben. Zusammen mit Magda Birkmann, ihres Zeichens Buchhändlerin und Literaturvermittlerin, macht sie sich nun daran, verlorene Literatur von Frauen wieder verfügbar zu machen, eben um denen wieder eine Stimme zu geben, die man zumindest zeitweise unsichtbar gemacht hat – aus welchen Gründen auch immer. Für mich ich das mithin die beste Art, Sichtbarkeit zu erreichen und ich bin sehr froh, dass die beiden diese Idee und der Rowohlt Verlag die Traute hatte, sie umzusetzen.

Thea Iken ist eine der Frauenfiguren, die das in den 20er Jahren wohl übliche Bild der frohgemuten Angestellten, die am Ende ihr Glück in einer guten Heirat findet, zurechtrückt. Denn auch nachdem der Todesfall um den Inhaber der Privatbank geklärt ist, wird sie eine eigenständige Person sein, die ihren Lebenweg geht. Als Frau jedoch immer beäugt von ihren Geschlechtsgenossinnen und den Männern, die sich von ihr bedroht fühlen.

Oh, er hasst dieses Weib. Er hasst sie mit der ganzen Wut seines unbefriedgten Ehrgeizes. Er wäre Prokurist hier, wenn sie es nicht geworden wäre.

Die Frau als heimtückische Blenderin, die dem Mann die Karriere versaut, weil sie eine „spezielle Beziehung“ zu ihrem Vorgesetzten zu haben scheint – damals wie heute kennt jede berufstätige Frau dieses Muster. Ich denke, da sind wir uns einig. Denn als Frau muss man doppelt so viel können und leisten, um die eigene Kompetenz gewürdigt zu bekommen. Leider ist das in großen Teilen auch heute noch der Fall. Und genau hierin liegt das Potential des 1932 erschienenen Romans. Sehen, was war, vergleichen, was ist und daraus Schlüsse ziehen. Tatsächlich fühlen sich viele im Roman angesprochenen Themen auch heute sehr real an. Wenngleich auf anderem Niveau, aber in ihrer Kernaussage treffen sie die Ängste der Menschen von Verlust und Untergang noch sehr genau.

Das kluge und belesene Nachwort von Birkmann ist ein wahrer Fundus an Verweisen auf die analog angelegte Literatur der Zeit und die Verhältnisse, die diese lebensecht beschreibt. Interessant dabei ist auch zu erfahren, weshalb die Herausgeberinnen Christa Anita Brücks zweiten Roman mit in die Reihe aufgenommen haben, ebenso wie Einzelheiten über Brücks eigene Karriere während der Naziherrschaft.

Unbedingte Leseempfehlung für diese Trouvaille!

Ein Mächden mit Prokura von Christa Anita Brück ist als Taschenbuch in der Reihe Entdeckungen im September 2023 im Rowohlt Verlag erschienen. Hrg. von Nicole Seifert und Magda Birkmann. Mehr Informationane zu Buch und Reihe über Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

 

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