Eine Odyssee in Paris

Müsste ich einen Playlist-Tipp abgeben, der gut zur Stimmung des Buches passt, würde ich wohl am ehesten zum Soundtrack von „Die fabelhafte Welt der Amelie“ von Yann Tiersen raten. Denn so, wie beim Anhören dieser Musik sofort Bilder von der Hauptstadt Frankreichs in meinem Kopf entstehen, so hatte ich auch beim Lesen des vorliegenden Buches sofort ein bildgewaltiges Kopfkino …

Das Paris vor dem Zweiten Weltkrieg, ein pulsierender, lebhafter, freigeistiger, inspirierender Ort, an dem sich Literaten, Literaturbegeisterte, Künstler jeder Art trafen, diskutierten, einander beeinflussten, beflügelten und auch neidvoll und misstrauisch beäugten. Ein spannungsreicher Raum also, in den wir durch Kerri Maher mit ihrem Titel „Die Buchhändlerin von Paris“ eintauchen.

Wir befinden uns in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts und sind an der Seite Sylvia Beachs, einer literaturaffinen Amerikanerin, die ihre Kindheit in Frankreich verbrachte und nun endlich als junge Frau zurückkehrt an ihren Sehnsuchtsort Paris. Mit ihrer Schwester, einer Schauspielerin, wohnt sie fußläufig zur Pont Neuf, der Seine und natürlich dem Quartier Latin.

Kerri Maher beschreibt Paris auf sehr amerikanische Weise und als Europäerin muss man schon ein wenig schmunzeln, wenn man merkt, wie sie alle Register zieht, um ihren Landsleuten den oh-so-charming-french-way-of-living zu vermitteln. Ein bisschen over the top zu Beginn und ich musste unwillkürlich manchmal an Szenen aus amerikanischen Sitcoms denken, wenn sie auf Seite 14 zum Beispiel schreibt: „Die Frau klatschte in die Hände und rief: ‚Aus den Vereinigten Staaten! Der Heimat von Benjamin Franklin! Er ist mein Lieblingsautor! […]“. I can’t help it, aber ich hatte da sofort Rachel, Monica und Phoebe von „Friends“ vor Augen, den unangefochtenen amerikanischen Meisterinnen im quietschigen Klatsch-Kreischen 😉

Da wollte oder musste die Autorin offensichtlich ihr Publikum ein bisschen emotional mitnehmen, um sicherzugehen, dass auch wirklich jede Leserin mit reingezogen wird in die richtige Atmosphäre.

Aber genug „gelästert“. Das Buch macht nämlich in Summe große Freude und hat man sich erst mal an den etwas amerikanischen Schreibstil gewöhnt, nimmt man viel mit. Bei diesem Buch steht nicht die Sprache im Vordergrund, sondern ganz klar der Inhalt. Sylvia Beach ist keine Erfindung Mahers, sondern die Frau, die den Mut, die Energie und den Spirit hatte, die erste Buchhandlung (und Leihbücherei in einem) mit englischsprachiger Literatur in Paris zu eröffnen. Schnell entwickelte sich dieses Ladengeschäft zu einem Treffpunkt der literarischen und künstlerischen Szene, aber auch zu einer Anlaufstelle für viele Amerikaner, die neu in der Großstadt waren und Anschluss suchten.

Eine weitere wichtige Errungenschaft Beachs war das Verlegen des Romans „Ulysses“ von James Joyce. Das Werk des Iren war in Auszügen in der amerikanischen Zeitschrift „The Little Review“ veröffentlicht worden, wonach es zu empörten Aufschreien in England und Amerika gekommen war, die im Verbot des Abdrucks der als obszön angesehenen Szenen gipfelten. Diese verlegerische Arbeit brachte nicht nur den Autoren selbst, sondern auch seine Verlegerin an die Grenzen der Belastbarkeit.

Maher gelingt es wunderbar, den Kampf Beachs mit sich, mit dem oft unzuverlässig arbeitenden, gesundheitlich angeschlagenen und sehr ich-bezogenen Joyce und auch mit ihrer (da bereits) Lebensgefährtin Adrienne Monnier zu schildern. Anders als Beach hatte Monnier immer eine deutlich distanziertere Einstellung und Beziehung zu dem exzentrischen Iren, weswegen die hingebungsvolle Begeisterung, die Beach Werk und Autor entgegenbrachte, offensichtlich immer wieder Anlass für Streitigkeiten zwischen den beiden Frauen war.

Ein süffiger Lesespaß, bei dem man nebenbei viel über die Literaturszene Paris‘ zwischen den späten Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts und 1936 erfährt. Ein Buch, das man gut mal zwischenschieben kann, wenn man keine Lust auf schwere Kost oder anstrengende Sprache hat, sondern einfach gerne mal wieder einen unterhaltsamen Schmöker mit informativem Mehrwert lesen möchte.

Klare Leseempfehlung!

„Die Buchhändlerin von Paris“ von Kerri Mahler ist im September 2022 im Insel Verlag als Klappenbroschur erschienen. Weitere Informationen durch Klick auf Buchcover oder Verlagsname.

2 Gedanken zu “Eine Odyssee in Paris

  1. Pingback: Die Üblichen Verdächtigen präsentieren ihre Highfives des Jahres 2022 | Feiner reiner Buchstoff

  2. Als Paris-Soundtrack vor dem 2. Weltkrieg würde ich die Gymnopédies & Gnossiens von Satie empfehlen. Auf Youtube gibt es eine Zusammenstellung unter dem Titel „Once upon a Time in Paris“ mit spätimpressionistischen Paris-Gemälden von Cortés.

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