Alzheimer-Liebe und andere Kalamitäten

Ich erwarte jedes neue Theaterstück von Peter Turrini immer mit Vorfreude, das letzte Drama vor zwei Jahren, als sich der sehr bekannte und kontroversielle Autor in Fremdenzimmer mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt hat, begeisterte mich restlos. Das aktuelle Stück, das mir von der Thematik her als alte Frau noch viel näher sein sollte, weil sich der Inhalt um ein greises Ehepaar mit Alzheimer dreht, hat mich erstaunlicherweise nicht ganz abgeholt und ich habe lange überlegt, warum das so ist.

Schon der Klappentext klingt sehr spannend:

Im Nebel der Demenz lernt sich ein Ehepaar immer wieder neu kennen, lieben und hassen. In einem Reigen aus angeregter Unterhaltung und erdrückender Apathie erinnern sie sich an ihre junge Liebe, aber auch an nie verheilte Verletzungen. Was bleibt, wenn die Gedächtnislücken immer größer werden? Kann das Verblassen der Erinnerung sogar eine Befreiung bedeuten?

Die Geschichte wird als tragikkomische und bezaubernde Liebesgeschichte bezeichnet und hat eigentlich alles, was mir vom Verlag versprochen wurde, genauso eingehalten, wie es angekündigt wurde.

Also was war es dann, was mich so gestört hat und meine Begeisterung derart bremste? Erst als ich mir meine letzten zwei Rezensionen von Rozznjogd (als Graphic Novel) und Fremdenzimmer durchlas, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich vermisse Peter Turrinis Bösartigkeit. Viel zu wertschätzend und vorsichtig ist er mit diesem Ehepaar als seine Leitfiguren umgegangen. Sie haben zwar Verletzungen erlebt, und sind auch wütend, aber sie offenbaren keine fiese, dreckige, ordinäre und monströse Seele mit grausamen Untiefen entweder aus der politischen Einstellung heraus oder aus nicht ausgelebten Perversionen oder anderen Schweinereien. Der Turrini ist mir diesmal zu milde geworden. Denn er hat für mich schon seit der Schulzeit die Funktion, mich mit verblüffender Primitivität, gleichsam mit dem Vorschlaghammer mit meiner Nase auf die Schlechtigkeit der Menschen und des politischen Systems zu stoßen. Er ist und war für mich immer derjenige, der den pinken österreichischen Zuckerguss – beziehungsweise den Punschkrapferlüberzug, der über alle gesellschaftlichen Grauslichkeiten in unserem Land darübergestülpt wird, so lange schmerzhaft wegkratzt, bis die schwarze Seele oder die braune politische Suppe zum Vorschein tritt. Natürlich sind seine typischen Monster als Protagonisten auch liebevoll, sehr menschlich und teilweise auch sehr sympathisch gezeichnet, denn sie sind immer auch wie Du und ich und halten den sogenannten und selbsternannten Korrekten einen sehr hässlichen Spiegel vor.

Dieses Bösartige, Entlarvende und Wütende gibt es eben in dieser Geschichte nicht. Das Drama könnte jetzt vielleicht auch trotzdem sehr gut sein, denn ein Autor muss ja nicht immer die Schubladen bedienen, in die ich ihn gesteckt habe, aber für mich ist der nette, umgängliche Turrini einfach weit weniger spannend und gut als jener, der ab und an einen Rundumschlag startet, um uns zu demaskieren und aufzurütteln. Eine solche tragikomische und sensible Liebesgeschichte schreiben, können einfach andere Autoren etwas besser.

Bleibt natürlich der sehr innovative Alzheimer-Aspekt des Theaterstücks übrig, der schon recht spannend ist, da sich die beiden im Ablauf und in der Bearbeitung ihrer Beziehung oft an die tiefsten Verletzungen nach und nach nicht mehr erinnern können. Am Ende, als fast alle Erinnerungen durch Alzheimer ausradiert sind, ist der alte Funke der gegenseitigen Anziehung geblieben, sie verlieben sich im Altersheim neu ineinander und wollen heiraten, nicht wissend, dass sie bereits verheiratet sind. Das ist ein schönes Finale.

Fazit: Für mich zu wenig Turrini-typische bösartige Demaskierung der Figuren und der Gesellschaft. Ansonsten ein nicht unspannender Ansatz in einer Liebesgeschichte.

Gemeinsam ist Alzheimer schöner von Peter Turrini ist 2020 im Haymon Verlag als Paperback erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

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