Der aktuelle Roman „Die Unschuldigen“ des neufundländischen Autors Michael Crummey ist ein Lehrstück für mehr Demut, echte Dankbarkeit und relevante Genügsamkeit für all diejenigen Miesmacher unserer Zeit, die wohl immerzu geflissentlich übersehen, in welch einem Wohlstand wir heutzutage leben. Ja selbst wenn man als gesellschaftliches Rücklicht vor sich hin vegetiert.
Sofern man sich eben darauf einläßt, die beiden Geschwister Evered und Ada auf ihrem harten Kampf ums Überleben vor vielleicht 200 Jahren in einer abgelegenen Bucht auf Neufundland zu begleiten.
Nur weil die beiden von klein auf ihren Eltern stets zur Hand gingen, haben sich die lebensnotwendigen Arbeiten in ihren Tagesrhythmus eingeprägt.
Und bei Leibe, es gibt viel zu tun, damit überhaupt ein Teil des Nötigsten zur Verfügung steht, wenn das Licht schwindet und ein erbarmungsloser Winter seinen eisigen Griff um die kleine Hütte auf Lehmboden legt.
Ebenso eindrücklich wie anschaulich schildert Crummey beispielsweise das früh morgendliche Aufstehen in einer eiskalten Hütte, daß man heutzutage nur Dankbarkeit empfinden kann, nicht jenen Einschränkungen unterworfen zu sein, die damals normal und nicht zu ändern waren.
Evered, einige Jahre älter als seine Schwester Ada, weiß genauso wenig über die Welt wie sie. Beide sind in der Bucht geboren und aufgewachsen.
Die nächste Ortschaft mit Namen Mockbeggar ist mit dem Ruderboot in eineinhalb Tagen zu erreichen. – So wie es Gott und dem Wetter gefällt!
So erscheint es nur selbstverständlich, daß sie in ihrer ungestörten Abgelegenheit des Öfteren ihre kleine Bucht mit dem unermesslichen Wasser davor als das Alles empfinden. Gerade nach dem Hinscheiden der beiden Eltern im bitterkalten Winter, was die Kinder für eine geraume Zeit in einen Schock versetzt, auch wenn sie dies nicht wissen. Allein ihrer Zweisamkeit ist es zu verdanken, daß sie am Tod ihrer Eltern von der Welt vollkommen ungesehen nicht zugrunde gehen. Dies und ihrer unglaubliche Zähigkeit.
Die Abgeschiedenheit ihrer Leben erfährt traditionell nur zweimal im Jahr eine Unterbrechung, sobald Cornelius Strapp‘s Schoner vor der Bucht seinen Anker wirft. Jedes Frühjahr aufs Neue erscheint er, sobald die Küste eisfrei ist, um Vorräte aller Art abzuliefern.
Im Herbst hingegen wird der über den Sommer gefangene und gesalzene Hering zur Hope gerudert.
Doch nun ist alles anders. Und Evered und Ada müssen eine Entscheidung treffen.
Bleiben und alleine die Arbeit ihrer Eltern zu stemmen oder aber fortzusegeln nach Mockbeggar, auf daß dort für sie ein Platz gefunden wird.
Doch Adas überlebenswichtige Verbindung zur ihrem verstorbenen Geschwistersäugling Martha verbietet eine derartige Entscheidung und so machen sie sich daran, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten.
So hart dies auch immer sein mag.
Crummey’s „Die Unschuldigen“ hat mich zutiefst beeindruckt und hat mir deutlich vor Augen geführt, wie sehr das Leben auf Neufundland damals auf Messers Schneide stand.
Wie ich ebenfalls aus Annie Proulx‘s „Schiffsmeldungen“ weiß, das ebenso größtenteils auf Neufundland spielt, müssen sich stellenweise die gruseligsten Szenen abgespielt haben, wenn die Menschen in arge Not gerieten.
Genauso verhält es sich hier. Denn es kommt ein Winter, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.
Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Doch die Erinnerungen an jene Zeiten haben offensichtlich überdauert, und ich bin allen Autoren zutiefst dafür dankbar, wenn sie diese in ihre Geschichten mit einfließen lassen.
„Die Unschuldigen“ erhält selbstverständlich einen Ehrenplatz in meiner Meeres – und Küstenbibliothek gleich neben Schiffsmeldungen und „Die Kolonie der unerfüllten Träume“ von Wayne Johnston, einem ebenfalls gebürtigen neufundländischen Autor. Auch jenes Buch gilt es noch zu besprechen.
Für mehr Information zu „Die Unschuldigen“ einfach auf das Cover oben klicken oder direkt auf die Eichborn Verlagsseite gehen.
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Irgendwie ist heute alles schwierig. Vor allem die zahlreichen Schnitzer wieder auszumerzen. Ich entschuldige mich vielmals für mein fahrlässiges Redigieren.
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