Was passiert, wenn ein Mensch plötzlich nicht mehr da ist? Ein Mensch wie Mattias zum Beispiel, der aktiv im Leben stehend viele Interessen hat, beliebt ist und bei vielen anderen bleibenden Eindruck hinterlässt, aber plötzlich eben nicht mehr zur Verfügung steht, aus welchen Gründen auch immer? Was lässt er seinen Freunden, seiner Familie zurück, wie oder an was erinnern sie sich und verändern sich diese Erinnerungen mit der Zeit? Diese Frage stellte sich Peter Zantingh, als er von einer Geschäftsreise nach Hause zurückkehrt und darüber nachdenkt, welche Auswirkungen es hätte, wenn er eben einfach nicht bei seiner Familie ankäme. Laut eines Interviews mit Zantingh wollte er die verschiedenstes Seiten dieses Verschwindens beleuchten und dadurch ein komplettes Bild eines solchen Verlustes zeichnen. Ein ambitioniertes Unterfangen, dass in weiten Teilen aber für mich nicht gänzlich gelungen ist.
Mattias, über den soviel erzählt, nachgedacht und an den soviel erinnert wird, ist nicht mehr da. Weshalb er nicht mehr da ist, kann man vermuten, aber glücklicherweise bindet Peter Zantingh seinen Leser*innen nicht von Anfang an auf die Nase, wie es zu Mattias Verschwinden kommt. Ein kluger Schachzug, der einen kleinen Spannungsbogen schafft und die Lektüre weitertreibt. Was uns über Mattias bekannt ist, erzählt Zantingh aus der Perspektive von neun Personen, die bis auf eine von ihnen, alle in direkten Beziehungen zu ihm standen. Ein buntes Bild seiner Persönlichkeit, dem aber natürlich die Innensicht fehlt. Während das in dem ähnlich konzeptionierten Roman Die Geheimnisse der Küche des mittleren Westens in keinster Weise stört – hier tritt die Hauptperson auch kurz persönlich zutage – fällt dieser Umstand in Nach Mattias auf. Offensichtlich vermag Zantingh es nicht, die erzählenden Personen so zu zeichnen, dass sie und damit leider auch an die gemeinsamen Erlebnisse und Ernnerungen, die sie an Mattias haben, nachhaltig im Lesegedächtnis verweilen.
Das bestimmende Gefühl bei allen ist geprägt von Verlust, Leere und sogar Trauer. Ursprünglich hatte Zantingh zwölf Personen, die Mattias eine Kontur geben sollten, letztlich ist es gut, dass es nur neun wurden. Drei weitere Blickwinkel hätten wohl den Blick nach innen auch nicht kompensieren können. Drei Personen fallen aus dem Muster der anderen Bezugspersonen heraus. Die erste ist ein junger Mann, der über seine Geschichte den Rahmen der Ereignisse, die zum Verschwinden von Mattias führten, absteckt. Dieses Kapitel frischt die ganze Handlung dadurch auf, dass man als Leser*in plötzlich und unerwartet aus dem leider etwas einsetzendes Trott der ähnlich funktionierenden Kapitel herausgerissen wird und aufmerksamer weiter liest. Die andere Person ist eine ältere Frau, die über Erinnerungen nicht an Mattias aber an eine mit ihm quasi schicksalshaft verbundene andere Person auch ihre eigene Lebensgeschichte preisgibt. Die dritte Person ist ein stark Alkoholabhängiger, der selbst nichts mit dem Verschwinden von Mattias zu tun hat, ihn nicht persönlich kennt und dennoch durch dieses Verschwinden in seinem eigenen Leben nicht beeinflusst und trotzdem berührt wrid. Diese drei Menschen sind mir viel stärker im Gedächtnis geblieben, als die direkten Bezugspersonen des verschwundenen Hauptprotagonisten.
Während der ganzen Lektüre war ich mir nicht wirklich sicher, was ich von diesem Roman halten sollte. Es gibt durchaus ähnliche angelegte Geschichten, die mich durch ihre geschickt eingewobene Verzahung der Ereignisse sehr begeistert haben. Im Gegensatz eben zu dem doch eher eindimensional gehaltenen Erzählstrang, dessen vermeintliche Tiefe sich aus der Vielzahl der Blickwinkel ergeben sollte. Aber das letzte Kapitel fährt einen kleinen Aha-Effekt auf, ohne den Nach Mattias beliebig geblieben wäre und der Grund für den ausschließlich in Außensicht ausgearbeiteten Text fast schon zu gewollt erschiene.
Im Grunde genommen also ein solider Roman, jedoch ohne große Glanzlichter. Die Playlist zum Buch allerdings ist ein wahres Plus.
Nach Mattias von Peter Zantingh ist am 26. Februar 2020 im Diogenes Verlag erschienen. Für mehr Information zum Buch Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.
Naja, wie gesagt, es ist nicht schlecht, aber das Thema selbst ist ja nicht neu und schon besser, bzw. überraschender bearbeitet worden. Und was mich tatsächlich irritiert hat, war eben dieser Anspruch an Vollständigkeit des Autors- Den kann man nie haben. Denn was Menschen denken, wie sie zu anderen stehen, welche Lücken sich auftun, wenn jemande eben nicht mehr da ist, aus welchen Gründen auch immer, das können wir nie zur Gänze wissen. Was Zantingh hier macht, ist hoch amtitioniert, aber eben fast nicht erfüllbar. Was wäre wenn? Paul Auster hat das in 4321 groartig gemacht – damit kann man natürlich spielen. Bei Zantingh ist es mir zum Teil zu kurz gegriffen und zum Teil zu sehr gewollt … aberw enn ich jetzt genau auf das eingehe, was ist zu gewollt finde, dann spoiler ist und das will ich nicht.
B
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Bisher habe ich sehr viele begeisterte Rezis zu diesem Buch gelesen und nun nach und nach aber auch ein paar etwas enttäuschte wie Deine – habe es aber noch nicht ausmachen können, ob das Buch für mich persönlich etwas wäre. Naja macht nix, ich hab eh genug zum Lesen 🙂
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Ich glaube schon, dass das gewollt ist. Sonst wäre die Struktur schon sehr linear. Das gibt schon den richtigen Kick oder zumindest einen Kick.
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„Diese drei Menschen sind mir viel stärker im Gedächtnis geblieben, als die direkten Bezugspersonen des verschwundenen Hauptprotagonisten.“
Ich überlege gerade, ob das so gewollt sein könnte oder eher versehentlich entstanden ist?!
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