Die Meisten jammern darüber – die Wenigsten verändern etwas. Zu sicher und zu reibungslos verläuft das Leben, einmal im Hamsterrad rundgeschleift. Und zwei Wochen in der Sonne, da ist man doch wieder erholt für die Rundtour. In das (vermeintlich) richtige Leben, welches immer wieder schillernd daneben liegt, taucht man dann doch trotz Schimpfens und Meckerns über seinen Zustand, nicht ein. Zu gefährlich, zu ungewiss. Sicherheit geht vor! Im vorliegenden Buch zeigt Isabella Straub wie der Protagonist langsam aus dem Hamsterrad geschoben wird und wie befreiend so ein Leben sein kann. Doch was ist denn, das richtige Leben?
Eigentlich sollte die Sache doch reibungslos vonstatten gehen. Myriam und Philipp hatten dies oft genug im Rollenspiel miteinander geübt. Myriam spielte die Freundin von Philipp, Vera. Wegen Myriam will Philipp Kuhn Vera verlassen. Auch seinen Job als persönlicher Assistent von Vera, die Geschäftsführerin einer Firma von Sicherheitstüren ist, wird er verlieren. Sowie das bequeme Leben in der Villa von Vera. Mit Myriam ist ihm ein Glücksgriff gelungen. Mit Myriam schafft er es, da braucht er keine Sicherheiten mehr. Das Leben liegt satt und strahlend vor ihm.
Die Trennung gelingt dann auch sehr glatt. Philipp Kuhn ist auf dem Weg zu Myriam, doch diese ist plötzlich verschwunden. In ihrer Wohnung wohnt plötzlich eine andere Frau. In dem Wohnhaus kennt Myriam niemand. Er sucht sie überall, an ihr Handy geht sie nicht, er glaubt sie auf einer Demonstration zu sehen. Philipp Kuhn wird ungeduldig. Die Änderungen in seinem Leben müssen jetzt sofort passieren. Lange genug hat er seiner Meinung nach gewartet. Auf Myriams Arbeitsstelle, der Rezeption eines Hotels, trifft er einen alten Mann, der ihm eine Weisheit verrät:
„‚Oh nein‘, sagte der Alte und tätschelte Kuhns Armlehne. ‚Ich kann warten‘, sagte er. ‚Ich bin ein Weltmeister im Warten. Warten macht das Leben süß. Stellen sie sich, man würde immer alles sofort bekommen. Jeder Wunsch im Augenblick erfüllt. Das mein junger Freund ist die Hölle, nichts anderes als die Hölle.'“
So langsam wird Philipp Kuhn aus dem normalen Leben herausgeschoben. Übernachten kann er nirgendswo, seine Sachen passen in wenige Tüten, die Rückzugsmöglichkeit im firmeneigenen Fitnesscenter zu schlafen, bröckelt durch geänderte Öffnungszeiten, draußen wird es kalt. Philipps Sicht auf das Leben wird durch seine Lebenssituation verändert. Er hat Zeit über sein Leben nachzudenken, er muss auf Menschen zugehen, kommunizieren.
„Er folgte dem Toilettenschild, ging an den Pissoirs vorbei in eine Kabine. Aus einem Impuls heraus musste er alleine sein. Er streckte die Arme seitlich aus und berührte die Wände der Kabine. Er schloss die Augen. Wenn es ein Vorher und ein Nachher in seinem Leben gab – vor dem Auszug aus der Bernauer-Villa und danach – dann war Kennzeichen des Danach, dass er niemals mehr allein war. Alleinsein war Ausdruck von Luxus. Das verstand er erst jetzt. Allein sein, das musste man sich verdienen.“
Auch seinen Freund Bruno betrachtet er langsam anders, die Sichtweise verschiebt sich bei Philipp stetig. Isabella Straub, geleitet ihren Protagonisten sanft in die zwar raue, aber auch lebendige Welt.
„Bruno war schon da, und er hatte seine Frau mitgebracht. Sie saßen in einer Nische am Fenster und Kuhn sah sie von der Straße aus, bevor sie ihn bemerkten. Ein Paar, das sich miteinander langweilte, aber nicht die Kraft hatte, sich zu trennen, weil alles, was sie danach erwarten würde, noch tausendmal schlimmer wäre. Der Streit um die Kinder, um den Hund, um das Haus, um den Dreck unter den Fingernägeln.“
Endlich findet Philipp Kuhn so etwas wie ein neues zu Hause. Er schläft in Zimmern, die renoviert werden müssen. Er schließt sich einer Gruppe um Konfuzius an, die sich um Arbeitswillige kümmert. Diese modernen Wohnnomaden suchen die Lücken im System. Übernachten in fremden Häusern, die größtenteils leerstehen, gehen auf offizielle Vernissagen, um sich am Buffet satt zu essen. Die Begegnung mit Tamara, die in der Gruppe mitarbeitet, gerät für Philipp zu einem kompletten Gegensatz zu der leuchtenden Liebe zu Myriam. Tamara ist real, kantig, die Annäherung zu ihr ist ein Synonym für seine Lebenssuche. Die Suche nach Myriam allerdings, rückt langsam in den Hintergrund, das Leben muss gemeistert werden, Träume finden woanders statt.
„‚Bist Du gläubig?‘, fragte Kuhn. ‚Natürlich‘, erwiderte Konfuzius. ‚Das kann doch nicht alles sein: Zwei Ehen, eine Geliebte, zwei Kinder, ein Hund, und wenn du endlich alles überstanden hast, kannst du nicht mehr richtig pinkeln. So viel Humor kann nur ein Gott haben.'“
Wer hier schlief ist ein schön geschriebenes Buch, das die Nuancen der Veränderung Philipp Kuhns sehr lebendig beschreibt. Isabella Straub versteht es, ihren Protagonisten geschickt und sanft auf dem Weg zu begleiten. Nur am Ende verliert sie ein wenig den Rhythmus, um die Geschichte doch noch befriedigend zu Ende zu bringen. Bemerkenswert ist diese leise Spannung, die um Myriam aufgebaut wird, das Milde und das ruhige Dahingleiten der Geschichte, die aber typisch österreichisch ein wenig schräg aus der Spur läuft, was auch ihren Reiz ausmacht. Es ist eines dieser Bücher, die durch die pointierten Formulierungen der Autorin bestechen, insgesamt sehr positiv ist und auch etwas anders, und so sticht es aus der Masse der Neuerscheinungen heraus.
„Vielleicht war das Leben nicht groß, dachte Kuhn. Vielleicht bestand Lebenskunst in der Übung, es klein und gleichförmig werden zu lassen.“
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe: 13. Juni 2017
- Verlag: Blumenbar
- ISBN: 978-3-351-05042-9
- Gebunden: 304 Seiten