Die Welt ist ein Gebilde von übermäßiger, absolut phantastischer Komplexität, Reichhaltigkeit und Seltsamkeit. Ich finde, der Gedanke, dass Komplexität nicht nur aus Einfachheit entsteht, sondern vermutlich sogar aus absolut nichts, ist die fabelhafteste, außergewöhnlichste Idee, die es gibt. Und sobald man auch nur eine Ahnung davon hat, wie das geschehen sein kann – ist das einfach großartig. Und…wenn wir die Gelegenheit haben, 70 oder 80 Jahre unseres Lebens in einem solchen Universum zu verbringen, ist diese Zeit, was mich angeht, gut genutzt.
Douglas Adams im Interview mit Richard Dawkins auf die Frage: „Was an der Wissenschaft bringt ihr Blut eigentlich in Wallung?“
Von nun an bin ich Dawkinistin. (Clinton) Richard Dawkins Autobiographie gab den Ausschlag dafür. Bekannt war er mir bereits durch sein (begeistert inhaliertes) klärendes Sachbuch „Der Gotteswahn“, eine wissenschaftliche Abrechnung mit den Religionen und ihren seltsamen Forderungen, welches mich – sowie Millionen anderer Menschen verschiedenster Sprachen – aufgrund seiner Klarheit und seines Humors begeisterte. Richard Dawkins Humor ist geschult durch wissenschaftliches Arbeiten und durch die Antworten, die er im Zuge seiner Arbeit fand. Nicht zuletzt sicherlich auch durch den jahrelangen Umgang mit religiös motiviertem „whataboutismus“, der ihm speziell aus der im kreationistischen Irrglauben beharrenden Ecke der Gesellschaft seit Veröffentlichung des Gotteswahns immer entgegen schlug. Dabei ist es gerade der Kreationismus (das Rechtschreibprogramm schlägt übrigens Kretinismus vor wenn man einen Tipfler in diesem unschönen Wort hat 😉 ), der versucht, sich in ein wissenschaftliches Mäntelchen zu hüllen und mit dem er im Rahmen seiner Aufklärung allzuoft konfrontiert wurde der diesen überzeugten Darwinisten – wie wahrscheinlich alle Menschen die die Evolutionslehre für die eleganteste und einleuchtendste … Theorie , weil wissenschaftlich fundiert halten – dazu zwingt die Skala seines gut bestückten „Humorometers“ deutlich nach oben zu erweitern; von der GEDULD gar nicht zu reden…
Dass ich es heute ablehne, mich an formellen Diskussionen mit Kreationisten zu beteiligen, hat einen ganz bestimmten Grund: jedes Mal, wenn ein Wissenschaftler sich auf eine solche Debatte einlässt, schafft er damit die Illusion von zwei gleichberechtigten Standpunkten. Das Publikum wird hinters Licht geführt, wenn zwei Stühle nebeneinander auf dem Podium stehen, wenn „beiden Seiten“ die gleiche Redezeit zugestanden wird: Man gaukelt den Zuhörern vor, es gebe tatsächlich zwei „Seiten“ und ein Diskussionsthema von echter Substanz.
Die Entwicklung dieses feinen, englischen Humors und ebenso feinen Menschen ist in der Poesie der Naturwissenschaften – im englischen Original in zwei Büchern veröffentlichten Autobiographie An Appetite for Wonder & Brief Candle in the Dark – gut nachzuvollziehen.
Man erlebt das Aufwachsen eines kreativen, freien, pragmatischen und wissbegierigen Geistes, eines mit Freude und Faszination Suchenden und Lernenden, der sich später folgerichtig zu einem mit ebensolchem vergnügen Lehrenden transformiert. Wie sich herausstellte hatte er nicht nur Begabung zur Lehre – die nicht jedem gegeben ist – sondern auch die Fähigkeit Inhalte so zu vermitteln wie er sie empfand. Spannend, faszinierend, amüsant, anregend. genauso liest sich auch dieser autobiographische Pageturner. Der Rückblick in die längst vergangene Ära des britischen Empire in dessen Diensten viele Vorfahren des Autors tätig waren.
Sein gutes Netz an weitreichenden Beziehungen und Freundschaften zu und mit anderen Wissenschaftlern, Schriftstellern (Douglas Adams, dessen Buch „Der elektrische Mönch“ er besonders schätzt, war ihm ein guter Freund) Künstlern und wissenschaftlich interessierten Mäzenen, der Austausch und der respektvolle Umgang miteinander, die doch sehr freie Kindheit mit liberalen Eltern in Afrika, die mit Übergang in das damals wie heute elitäre englische Privatschulsystem (englische Privatschulen nennen sich Public School) ein Ende fand und wie er sich seinen freien Geist bewahrte, zugleich Nutzen aus dem System zog ist schon für sich alleine bemerkenswert. Sicherlich ist Dawkins privilegiert aufgewachsen. Wie er selbst anmerkt, kann man sich nicht aussuchen in welche Umgebung man hinein geboren wird, es wäre jedoch schändlich, die Gegebenheiten nicht zu nutzen. Dawkins nutzte seine Möglichkeiten und erweitert sie noch immer…
Sein Hang zu Computern, bereits damals in der Steinzeit des Computerzeitalters und zum Programmieren (er – und auch Bekannte- erwähnt hier mehrmals eine Sucht) bereicherte sein Schaffen – Leser, die wie ich von diesem Gebiet völlig unbeleckt sind, müssen hier eine winzige Durststrecke des Nichtverstehens überwinden. Sein Leben als Wissenschaftler ist eng verwoben mit seinen Babies, den Büchern deren Werdegang und Erscheinen er Jahre seines Lebens widmete. Diese nehmen weit mehr Umfang seiner Erinnerungen in Anspruch als sein, recht knapp erwähntes, Privatleben. Sein Glück und liebevolle Unterstützung, ja eine Muse scheint er mit seiner dritten Frau, der Künstlerin Lalla Ward, der Schöpferin seiner handbemalten, außergewöhnlichen Tiermotivkrawatten gefunden zu haben. Im Buch gibt es ein Bild dieser wunderbaren Textilien, die er teils passend zum Anlass wählt, beispielsweise zum Treffen mit Rowan Williams dem damaligen Erzbischof von Canterbury, einen Gottesanbeterinnenschlips.
Aufklärung und Forschung ist Dawkins Lebenswerk. In Vorträgen, Vorlesungen, Filmen, TV -Sendungen oder der von ihm gegründeten Richard Dawkins Foundation .
Dawkins reichhaltiger Lebensbericht ist ein Glücksgriff, ein amüsantes Lehrbuch, ein Stück individueller Zeitgeschichte, hirnerhellend und bereichernd. Sowie ein Zeugnis davon, dass dieser besondere, großzügige, weltoffene Mensch – Gedichte für jeden Anlass scheint er zudem noch memorieren und hervorzaubern zu können – auch seine bisherige Zeit auf Erden sehr gut genutzt hat. Fesselnd, eloquent und mit schriftstellerischer Grandezza – einer Leichtigkeit wie nur Meister dieses Handwerks es vermögen – rief die Poesie der Naturwissenschaften in mir Bewunderung, Hochachtung, Demut, und eine Winzigkeit (sofort in den Keller der tiefsten Scham geschubsten) Neid ob dieser Lebensleistung hervor.
Dankbarkeit um seine Bemühungen Wissenschaft transparent, anschaulich und verständlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und dabei ein derart jubelndes, buntes, begeisterndes Feuerwerk für das Leben und all seine Wunder dieser Welt zu entfachen.
Zudem ist es sowohl Gewinn als auch Genuss seinen Geist ein wenig an jenem eines wirklich großen Geist zu wetzen. So ein wenig wie ein Wildschwein sich an einem Mammutbaum schubbert. Rinde geht nicht ab, aber womöglich färbt es ein wenig den Pelz.
So ist die Poesie der Naturwissenschaften ein Buch für Leser von Biographien, die nicht aus Sensationlust, sondern aus Interesse an der Person lesen, ein wunderbares Guckloch in die „Denke“ eines großartigen Menschen. Witzigerweise haben bereits drei Engländer vor ihm mich mit ihren Lebenserinnerungen ähnlich beglückt:
John Cleese (ebenfalls bekannt mit Richard Dawkins) mit “Wo war ich nochmal?”
Keith Richards mit „Life“
Terry Gilliam (ja, ich weiß, Engländer durch die Pythons ehrenhalber) mit “Gilliamesque”
Her mit den amüsanten, klugen, in den 60ger Jahren jugendlichen Engländern 😉
3 Warnungen möchte ich dennoch loswerden:
Zum ersten besteht höchste Suchtgefahr! Mit dem „Gotteswahn“ ging es bei mir los. Ich wurde Dawkinstin, zäume den Gaul jetzt von hinten auf indem ich mich unsystematisch durch Dawkins andere Werke fräse.
Zweitens ist durch Zusammenfassung beider Teile der Autobiographie ein Volumen und dadurch auch gewichtsmässig mords – (Einbrecher hätten keine Chance gehabt während des Lesens) fettes Trumm entstanden. Wenn einem zugleich
An Appetite for Wonder und Brief Candle in the Dark mit Anhang und in Deutsch aus etlicher Höhe auf den Zeh fallen so schmerzt das nicht unerheblich. Achtung beim Handling!
Dieses Buch enthält das anrührendste Gedicht an einen verstorbenen Hund das ich je lesen durfte. Hundemenschen werden Taschentücher benötigen.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe : 14. März 2016
- Verlag : Ullstein Buchverlage
- ISBN: 9783550080678
- Gebunden: 736 Seiten
Ich kannte ja bisher nur eines seiner Bücher, und er lebt mit ihnen, daher spielen sie auch in seiner Biographie eine wichtige raumfüllende Rolle. Er erläutert seine Thesen dazu. Wiederholung ist definitiv vorhanden, der Person Dawkins kommt man, auf – angenehmer Distanz- dennoch näher, Ein starkes Bild vo Menschen Dawkins bleibt im Kopf wo bei mir zuvor keines war.
Ich bin wie gesagt begeistert kann also nur dazu raten. Am besten du liest es an in der Vertrauensbuchhandlung 😉
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Wow, was für eine euphorische Rezension! Ich war mir nicht sicher, ob sich das Buch lohnt, wenn man schon einige seiner Bücher kennt. Kommt man ihm wirklich näher? Wiederholen sich nicht viele seiner Ideen zur Evolution oder seine Kritik am Kreationismus?
Nach dieser wunderbaren Buchvorstellung möchte ich am liebsten sofort zugreifen!
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