„‚Sie irren sich Hand‘, sagte ich leise. ‚Ich hätte liebend gerne einen Zugang zu all dem Blödsinn, an den sie glauben. Ich würde liebend gerne jemanden herbeirufen, der für diese beschissene Schöpfung verantwortlich ist. Weil ich dann jemand hätte, den ich dafür töten könnte. Ganz langsam“
Takeshi Kovacs ist Söldner, unbarmherzig und realistisch. Deswegen glaubt er auch nicht an Götter. Wenn es welche gäbe hätten sie nicht so eine brutale und gnadenlose Welt erschaffen. Takeshi hat schon vieles gesehen, erlebt und erdulden müssen. (siehe erster Teil ‚Das Unsterblichkeitsprogramm‘) Auf Sanction iV ist er angeheuert worden wegen eines idiotischen Krieges. Aber sind nicht alle Kriege idiotisch?
Takeshi fragt nicht, sondern verkauft sich an den Höchstbietenden, hat aber dennoch seine eigenen Pläne. Der Angesprochene namens Hand ist ein hoher Manager eines Konzerns. Kovacs hat einen Deal mit ihm, trauen kann er ihm trotzdem nicht, Konzerne haben ihre eigenen Machtstrukturen und sind nicht umsonst so groß geworden:
„Sie beuten aus, machen Geschäfte und bleiben immer unfassbar, aber trotzdem kann man sich an sie gewöhnen. Man kann sich an ihre glänzenden Bürotürme und ihre Nanokopter-Sicherheit gewöhnen, an ihre Kartelle und ihre HOGs, ihre jahrhundertelange Tradition der unmenschlichen Ungeduld und ihren selbsternannten Patenstatus über die ganze Menschheit. Man kann ihnen dankbar sein für die gnadenreiche Randexistenz, die sie einem auf der erhöhten Firmenplattform gewährt. So sehr, dass sie einem irgendwann viel besser vorkommt als ein kalter, Übelkeit erregender Absturz in das menschliche Chaos das darunter lauert. Man kann sich daran gewöhnen, dass man ihnen schließlich für alles dankbar ist. Davor sollte man sich in Acht nehmen.“
Der Deal geht um ein Artefakt. Um nichts geringeres als ein Artefakt der alten Marsianer – ein intaktes jahrhundertealtes Raumschiff. Dass noch andere Gruppen ihre Finger im Spiel haben, versteht sich von selbst und ganz ist auch nicht klar ob die angeheuerten Mitsöldner bei diesem Auftrag mit offenen Karten spielen. Wer den ersten Band kennt, wird wissen was auf ihn zukommt. Knallharte, blutige Metzel-Action, lakonische, zynische Sprüche, nüchterne Gedanken über diese Scheißwelt und ihre entsprechenden darin lebenden Mitmenschen und ganz viel Science Fiction Wörter und Begriffe. In Morgans Welt ist der Tod nämlich nur noch ein unangenehmer Besucher, da das Leben – bei einem intakten Stack – durch einen Download in einen anderen Körper, weitergeht. So viele Zukunftswaffen wie in der Trilogie von Richard Morgan um den Söldner Takeshi Kovacs habe ich selbst in den schlimmsten Heinlein Büchern nicht gelesen. So viele kreative Möglichkeiten jemanden zu töten und zu quälen, liest man selten, was schon alleine ein Grund wäre diese Bücher nicht zu lesen, aber….
Ja, aber, es macht trotzdem einfach Spaß weil etwas wichtiges noch dabei ist.
„‚Humor.‘ Ich suchte mir einen Stuhl und ließ mich hineinfallen. Das sollten Sie stärker berücksichtigen. Das Zeug macht süchtig.“
Dies und die herrliche bösen Gedanken und Kommentare von Takeshi, die eins zu eins auf die heutige Zeit übertragbar sind.
„Es gab nichts zu sagen, das nicht Tanya Wardani in der vorigen Nacht losgelassen hatte. Eine Luftverschwendung. Mit solchen Menschen konnte man nicht reden. Soldaten, Firmenangestellt, Politiker. Man konnte sie bestenfalls töten, und selbst dadurch wurde es in den seltensten Fällen besser. Sie lassen einfach ihre Scheiße zurück, damit jemand anderer genauso weitermacht.“
Wird so die Zukunft aussehen, die Kriege werden einfach überdimensionierter, die Konflikte verlagern sich auf andere Planeten. Bei dem Raumschiff der Marsianer hat Takeshi genau diesen frustrierten Gedanken.
„Nichts ändert sich. Einhundertfünfzig Lichtjahre von zu Hause und überall die gleiche Scheiße. Es muss so etwas wie eine universelle Scheißkonstante geben“
Die letzten 50 Seiten explodieren förmlich vor dem eigenen Auge und lassen die geballte Faust in die Luft recken.
Jaaaaa – TSCHAKKA
Ich freue mich schon auf den dritten Band.
thursdaynext
Ich geiere auch schon nach dem Folgband, war doch Band 1, ein Tip des werten Lesefreundes hier bereits außergewöhnlich. Dank generösem Feinem Buchstoff Kumpel und der Post kam Gefallene Engel prompt zu mir, geplant war eine Gemeinschaftsrezi, aber an obiger mitreißender Rezension wollte ich nicht pfuschen, so kommt hier Besprechung Part 2 für alle die gerne noch eine (kaum abweichlerische) Zweitmeinung aus weiblicher Sicht hätten:
Ja, TSCHAKKA! aber vor allem
Blood Sweat & Tears. Morgans Gefallene Engel gipfeln im High Noon, in einer Blut- Krawall- und Racheorgie. Nachvollziehbar, durchaus, aber deprimierend!
Takeshi Kovacs, diffus sympathischer superoptimierter Söldner auf neuer Mission. Überleben ist Selbstzweck. Denken bei Söldnern und Soldaten nicht erwünscht, aber zwecks Effizienz und Handlungsfähigkeit leider auch nicht ausschaltbar. Kovacs diskutiert nicht viel. Dafür hat er seine Handlungsroutinen (Envoy) die erleichtern das Leben und verlängern es erheblich. Denken ist da nicht empfehlenswert. Belastet nur unnötig:
„Äh..ich dachte…“ „Davon würde ich ihnen abraten, Soldat. Haben sie ihren Rekrutierungsvertrag nicht gelesen? Jetzt halten sie die Klappe und sparen sie ihren Atem. Sie werden ihn noch brauchen.“
Stilistisch ist es ein Thriller. Offenbarungen sind da nicht zu erwarten, wobei die Dialoge zynisch geschliffen sind, nicht kristallklar aber funkelnd enough 😉
Nur eine Metapher schmerzte:
„…ihre Augen richteten sich nach oben auf meine. Ich sah, dass sie die Farbe von Jade unter schnell fließendem Wasser hatten.“ (Ich rätsle immer noch. Welche Farbe???)
DAS ist richtig mies . Glücklicherweise ein absoluter Einzelfall. Morgans Zukunftsthriller hat stark mittelalterliche Tendenzen. Die Folter, die Wummen, die technologischen Errungenschaften, alles technisch vom Feinsten, aber die verdammte Menschheit ist geistig im Mittelalter stecken geblieben. Nutzt die neu errungenen Kapazitäten nur zur Zerstörung und zum Machterhalt oder als Mittel zum Zwecke dazu. Game of Thrones goes SciFI. Der Homo Sapiens hat sich aufs Weltall ausgedehnt, aber Ethik, Moral und Intellekt sind nicht mitgewachsen. Der Kontrapunkt der marsianischen Kultur und Technologie, die zart angedeutet wird ist …hinfällig, Sinnbild eines weiteren Untergangs durch Gewalt. Eine überlegene Technologie die dennoch unterging, oder gerade deswegen? Die fast erreichbare Unsterblichkeit macht nicht zwangsläufig weise, sie gibt der Amoral in diesem Szenario mehr Spielraum. Was für eine Scheißwelt. Weder schön, noch neu. Alles beim alten nur technisch ausgefeilter.
Tarantino würde vor Neid erblassen bei Lektüre des Buches.
Morgan schreibt für Tarantino Fans. Tarantino hochpotenziert! Diesselbe zynische Weltsicht, die sich aus Verzweiflung speist und qua in Ironie verpacktem Humor versucht zu überleben. Der Kunstblutverbrauch ist ebenso hoch. Der Authentizität geschuldet. Schmerzhaft hoch. Schlachten um zu überleben. Entweder sie oder wir. Es sind die Umstände die solche Geister hervorbringen. Zukunftsvision dessen was uns blüht, wenn Dummheit, Gier und Profitstreben weiterhin die Macht erhalten können. Deprimierend. Nachdenklich stimmend. Coole Wummen en masse, et voilà sie benutzen sie um zu schlachten. Wozu auch sonst?
Auch von mir die Höchstwertung – geballte Faust gibts ebenfalls, weniger aus Überschwang denn aus Verzweiflung an der hier beschriebenen Menschheit – Die Marsianer und ihre Kultur hätten gerne etwas präsenter sein dürfen. Doch das war wohl nicht das was Richard Morgan zu erzählen hatte.
Bei einem Interview sagte Morgan über sich: „Ich erzähle gewalttätige Geschichten über gewalttätige Konflikte zwischen gewalttätigen Menschen.“
Aber diese Mischung aus lakonischer Gesellschaftskritik, Blut und SF-Technik macht einfach Spaß!
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe : 2005
- Verlag : Heyne
- ISBN: 978-3-345-352051-6
- Taschenbuch: 591 Seiten
Gerne. Immer schön wenn sich genrefans auf den Blog verirren ;)Das Unsterblichkeitsprogramm halte ich auch noch für einen Ticken besser als Gefallene Engel. Hat uns damals auch umgehauen. Mich haben die Gebrauchtpreise der Folgebände abgeschreckt.
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Danke für die Besprechung, ich habe Gefallene Engel nie als Neuausgabe erwischt. Unsterblichkeitsprogramm ist für mich nach Jahren noch einer der besten Scifi-Romane die ich kenne!
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