Nun also: „Spielen“, oder wie der Roman im norwegischen Original heißt: Min Kamp 3. Nachdem sich der zweite Band „Lieben“ in aller Ausführlichkeit der Beziehung zu seiner zweiten Frau Linda und dem Alltagsleben als Familienvater von drei Kindern widmete, geht Knausgård nun in seine Kindheit zurück. Hier erklärt sich in beeindruckender Weise, wieso das Verhältnis zu seinem Vater so schlecht war, wie im ersten Band „Sterben“ zu lesen war, in dem Knausgård vom Tod des Vaters erzählte.
„Spielen“ setzt da ein, wo Knausgårds Erinnerungen beginnen, seiner eigenen Aussage nach war das ungefähr im Alter von sechs Jahren. Wir lesen von den Alltäglichkeiten einer Kindheit, dem Spielen in der Natur, dem Zündeln, das Knausgård faszinierte und dem Kaufen von Süßigkeiten, der Liebe zu Comics und später zu Büchern, den Besuchen bei den Großeltern, der Beziehung zu seinem älteren Bruder Ingve, den er liebte, wie er an einer Stelle schreibt. Später dann beginnen der junge Karl Ove und seine Freunde, sich für Mädchen zu interessieren, sie lesen heimlich Pornohefte und Karl Ove schwärmt für einige seiner Schulkameradinnen, mit denen er dann zum Teil auch „geht“, wie es heißt, wenn dies auch nie von langer Dauer ist, da er sich dabei nicht gerade geschickt anstellt.
Die Beziehung zum Vater allerdings ist das vorherrschende Thema. Er war ein strenger, unberechenbarer Mann, den Karl Ove von klein auf genau studiert und sein eigenes Verhalten komplett danach ausrichtet, ihn nicht zu verärgern, seine Wut nicht zu entfachen, was aber in den meisten Fällen nicht klappt. Der Vater ist unberechenbar in seinem Jähzorn. Er scheint immer zu wissen, wenn sein Sohn etwas zu verbergen, wenn er etwas angestellt hat, er schreit und wird handgreiflich. Seinen Söhnen verbietet er, Freunde nach Hause einzuladen, und es gibt einige strenge Regeln, an die sie sich unbedingt halten müssen. Er ist ein Tyrann, vor dem die Söhne Angst haben. Im Laufe der Lektüre spürt man als Leser immer deutlicher, wie sehr dieser Vater Knausgård geprägt hat – für sein ganzes Leben.
„Sie [seine Mutter] rettete mich, denn wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich alleine mit Vater aufwachsen müssen, und dann hätte ich mir früher oder später auf irgendeine Weise das Leben genommen. […] Ich lebe, bin selbst Vater und habe im Zusammenleben mit meinen Kindern im Grunde immer nur ein einziges Ziel verfolgt: dass sie keine Angst vor ihrem Vater haben.“ S. 331
„Ich hatte eine solche Angst vor ihm, dass ich selbst unter Aufbietung all meiner Willenskraft nicht in der Lage bin, sie heute wieder heraufzubeschwören; die Gefühle, die ich ihm gegenüber hegte, habe ich seither nie, nicht einmal ansatzweise empfunden.“ S. 336
Die Mutter rettete ihn, aber ebenso deutlich ist, dass er sich nicht sicher ist, dass es genug war, was sie getan hat. Sie bleibt in seinen Erzählungen stets ein wenig im Hintergrund, hinter dem Vater zurück. Die Erinnerungen an sie scheinen weniger deutlich, obwohl sie präsent war. Wirklich geschützt hat die Mutter ihre Söhne vor dem Vater nicht. Und sie blieb bei ihm, wo die Frage im Raum steht, ob sie hätte gehen können. Wer weiß, Knausgård urteilt nicht über sie.
Der junge Knausgård ist sensibel, weint schnell, ohne dass er es verhindern könnte, wofür er sich schämt. Auch als er älter wird, legt sich das nicht.
„Mit meinem ganzen Wesen, meinem intensiven Interesse für Kleider, meinen langen Wimpern und weichen Wangen, meiner besserwisserischen Art und meinen nur unzureichend vertuschten Fähigkeiten als Schüler brachte ich alle Voraussetzungen einer präpubertären Katastrophe mit.“ S. 543
Er ist schüchtern und zeigt Eigenschaften, die gemeinhin eher Mädchen zugeschrieben werden. Und er ist gut in der Schule, was uncool ist. Knausgård hat einen schweren Stand bei seinen Mitschülern. Leicht ist es für ihn nicht.
Dass „Spielen“ mich nicht ganz so fesseln und mitnehmen konnte wie es die beiden Vorgänger vermochten, liegt, so möchte ich als große Verehrerin der Bücher Knausgårds erläutern, nicht daran, dass er hier weniger eindringlich beschriebe und veranschauliche, wie dieser Teil seines Lebens aussah. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist nur allzu deutlich, wie sehr diese Kinderwelt von der der Erwachsenen abgekoppelt ist, und Knausgård weckt sie so authentisch zum Leben, dass man als Leser seine eigene Kindheit wieder nachfühlen kann. Nun sprachen mich die Themen der beiden Vorgänger einfach mehr an, sie waren mir näher als diese Jungenkindheit. Wobei dies ein Klagen auf hohem Niveau ist, lediglich ab und zu wurden mir die typischen Knausgård-Beschreibungen zu lang, jene, in denen jeder Handgriff beschrieben wird. Im Ganzen hat mich Knausgård auch mit dem dritten Teil seines autobiographischen Projekts wieder fasziniert. Ob man nach dem sechsten Band vollends das Gefühl haben wird, dass man diesen Mann persönlich kennt? Sehr gut kennt? Es würde mich nicht wundern. Ich freue mich schon auf den nächsten Band seines autobiographischen Projekts. Und auf den übernächsten. Und auf den danach, der leider der letzte sein wird.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 11. Mai 2015
- Verlag : btb Verlag
- ISBN: 978-3-442-74932-4
- Taschenbuch: 576 Seiten
Ich fand alle Bücher erstaunlich gut, zum Reinversetzen, Staunen über so ein Schreiben und in allem waren wir ja alle mal jung. Ich finde gerade diesen Verlauf der Bücher perfekt gewählt.
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ich auch 😉
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Bin gespannt auf Deine Eindrücke 🙂
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Na dann hab ich ja noch was vor … das ist eine Aufgabe für die dunklere Jahreszeit … 😉
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Das ist eben Geschmacksache. Jedenfalls ist es meines Erachtens völlig egal, in welcher Reihenfolge man die Bücher liest. Er hat sie ja auch nicht chronologisch geschrieben, sondern springt nach dem zweiten Band zurück. Zum Verständnis ist es auch nicht nötig. Ich denke, wenn man mit dem Projekt anfangen will, kann man sich einfach das Buch vornehmen, das einen am meisten anspricht.
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Vielleicht mach ich ein Experiment, wenn alle Bücher erschienen sind und lese sie chronologisch … also quasi verkehrt herum 😉
Aber prinzipiell finde ich gerade eine Jungenkindheit sehr spannend, weil sie wahrscheinlich anders verlaufen ist, als meine „Mädchenkindheit“ – und als Mutter eines Sohnes reizt das umgemein.
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Danke! Ja, bisher ist „Lieben“ auch mein Favorit, mal sehen, wie es mir mit dem nächsten Band gehen wird.
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Schöne Rezension. Es ging mir mit „Spielen“ ähnlich wie dir. Ich vermute auch das ich die Jungenkindheit irgendwie unzureichend mitempfinden konnte. Ich habe allerdings auch einen Knausgard nach dem anderen gelesen und war vermutlich etwas übersättigt. Ein brillianter Schriftsteller, der gnadenlos sein Inneres seziert. „Lieben“ ist mein absoluter Favorit.
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