„Alles ist gut“ – oder nicht?

Alles ist gutMarius Brandt ist Komponist und zwar ein eher erfolgloser, der sich in der Branche gut auskennt und um seinen Stand in ihr weiß, sich und seine Ansichten verkannt sieht und Opernintendanten und Dramaturgen im ganzen Land mit sich stets wiederholenden Bitten, doch in seine Kompositionen hineinzuhören, auf die Nerven geht. Immer wieder vertrösten sie ihn, immer wieder fragt er nach, wann mit einer Beurteilung seiner Stücke zu rechnen sei.

Brandt erzählt dem Leser direkt seine Geschichte, und wie er sie erzählt!

„Jerzy, der polnische Hausmeister in unserem Block, ist einundachtzig Jahre alt.
  Ein Hutzelhomunkel, nicht eben zwangsjackenhacke, doch eigenstartig bis skurrilst. Jedes Weibswesen, welchen Alters einerlei, spricht er mit ‚Gneidiges Froilein, wie scheen Sie sein!’ an und bezirzt/beschleimt es, als stünde sein Mittelleib noch in vollem Saft und Wuchs.“ S. 11

Dieser polnische Hausmeister ist nicht ganz unschuldig daran, dass Brandt Noten erhält, und zwar Noten, die er zunächst entschlüsseln muss, damit sich die Schönheit dieser Musik entfalten kann. Spielt man sie so, wie sie dastehen, sind sie nichts Besonderes. Schließlich baut er diese Musik in seine Kompositionen ein. Eine davon, mit dem Namen „Alles ist gut“, erklingt in einem Konzert – immerhin neben einem Stück des vom Publikum geliebten und berühmten Arvo Pärt, dessen Musik wohl eher die Zuhörer in das Konzert gelockt hat als jene von Brandt. Als Brandts Stück verklungen ist, erleiden mehrere Zuhörer Schwächeanfälle. Und dabei bleibt es nicht: Es folgen noch mehr ähnliche Vorfälle, alle betroffenen Personen haben in irgendeiner Form mit Brandt zu tun. Er selbst versteht ebenso wenig wie die Polizei, was er oder seine Komposition damit zu tun haben könnte und man verdächtigt ihn auch nicht, sondern befragt ihn eher aus Neugier und Routine.

Wo diese Noten eigentlich herkommen, auch das erzählt der Roman. Er berichtet von den einzelnen Menschen, die sie immer wieder weitergaben, nimmt kurz an ihren Leben teil, verlässt sie wieder, wenn die Noten weitergereicht werden.

Helmut Kraussers neuer Roman „Alles ist gut“ ist schräg, absurd gar, streckenweise sehr witzig und vor Ironie nur so sprühend. Er ist klug, enthält ebenso ernste Passagen in anderem Ton. All das fügt sich zu einem kuriosen unterhaltsamen Ganzen.

Es ist köstlich, wie Krausser seinen Brandt sich selbst und die Opernlandschaft unseres Landes beschreiben lässt und ihr und ihren Akteuren einen Spiegel vorhält, sie auf die Schippe nimmt. Da ist der Dramaturg, der immer wieder freundliche E-Mails schreibt, in denen er erklärt, dass er sich Brandts Kompositionen gerne anhören möchte, in der laufenden Spielzeit aber keine Zeit dazu habe. Der sie Brandt aber auch nicht zurückgeben möchte, sondern ihn immer weiter vertröstet und hinhält, was Brandt schluckt, schlucken muss, da er keine andere Wahl hat, während die Jahre ins Land gehen.

„Manch einem Leser muß man vielleicht erläutern, was ein Dramaturg am Theater eigentlich macht. Ich weiß es auch nicht so genau. Jedenfalls laufen Dramaturgen immer viel und aufgeregt herum und tun schrecklich überarbeitet, wobei sie betonen, einen 16-Stunden-Job ableisten zu müssen. Ich glaube, sie haben Angst, jemand könnte dahinter kommen, daß sie eigentlich nicht wirklich benötigt werden und tatsächlich sechzehn Stunden im Monat arbeiten. Im Endeffekt machen sie das, wofür sich der Regisseur zu fein ist (sich die Nöte und Beschwerden der Sänger anhören zum Beispiel), sie schlagen dem Intendanten mögliche Projekte vor oder schreiben Texte für das Programmheft. Oder sie beauftragen Leute, die Texte für das Programmheft schreiben. So ein Programmheft braucht, von einem Profi angefertigt, etwa einen Tag Arbeit. Der Dramaturg buckelt dafür einen Monat und schafft es dann auf den letzten Drücker.“ S.45

Brandts Dilemma dabei: Er macht sich über den Opernbetrieb lustig und ist stolz darauf, ihn zu durchschauen, steckt aber mittendrin und ist auf ihn angewiesen.

„Alles ist gut“ ist ein Roman, eine Satire über den Opernbetrieb, über zarte, sich verkannt fühlende Künstlerseelen und das Leben dieses Marius Brandt. Auch die Frauen nehmen darin einen nicht unbedeutenden Platz ein. Interessant auch die Gedanken zu einer neotonalen Musik, die Brandt schreiben möchte, denn die Tonalität ist, wie Brandt anführt, nach Puccinis letzter, großer und erfolgreicher und eben tonaler Oper Turandot quasi out, verpönt, was Brandt nicht versteht: Seine Kompositionen sind neotonale Werke, und er hofft und glaubt, dass ihre Zeit wieder kommen werde, denn wer hört denn am Ende wirklich gern Zwölftonmusik? Schönberg zur Entspannung auf dem Sofa? Eben!

Am Ende von Kraussers „Alles ist gut“ ist alles anders, ob nun gut, sei dahingestellt. Als 2014 Kraussers großer Roman „Melodien“ vom Autor überarbeitet neu herausgegeben wurde, hatte ich mir vorgenommen, ihn noch einmal nach der langen Zeit, die seit der ersten, begeisterten Lektüre vergangen war, zu lesen. Vielleicht hätte mich „Alles ist gut“ noch ein wenig mehr gepackt, wäre „Melodien“ mir präsenter gewesen, da es einen Zusammenhang zwischen den beiden Romanen gibt. Nötig ist die Kenntnis des früheren Romans aber keineswegs, ich möchte im Gegenteil dazu ermutigen, den neuen Roman auch unabhängig vom früheren zu lesen. „Alles ist gut“ hat mich von der ersten Seite bis zum sonderbaren Ende hin gepackt. Einige Szenen waren mir zu abstrus, ja, zu obszön, zu übertrieben, insgesamt aber hat Krausser mich mit seiner Geschichte voller Ironie (und auch Selbstironie) unterhalten und überzeugt. „Melodien“ steht nun auf der Wieder-zu-lesen-Liste ganz weit oben. Ob es Kraussers Satire wohl auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schafft? Ich bin gespannt, wenn auch skeptisch, würde es ihm aber wünschen.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 10. August 2014
  • Verlag : Berlin Verlag
  • ISBN: 978-3-8270-7839-1
  • Gebunden: 240 Seiten

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