Martin und Ina sind schon viele Jahre ein Paar, als Ina sich nach dem Tod ihres Großvaters, der nur „Steiner“ genannt wird, auf den Weg in die Slowakei macht, wo ihre Familie herkommt. Sie sind so genannte „Karpatendeutsche“, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden und leben seitdem in Österreich, wo sie sich aber nie wohl und zu Hause fühlten. Ina ist hochschwanger mit ihrem und Martins erstem Kind, und sie lässt ihn allein zurück. Sie bittet um eine Auszeit, da sie es als unbedingt nötig empfindet, die Reise in die Vergangenheit ihrer Familie zu machen, um die offenen Fragen, die ihr Großvater hinterlassen hat, vor Ort vielleicht beantworten zu können.
Constantin Göttfert erzählt in seinem Roman „Steiners Geschichte“ ganz aus Martins Sicht von der Beziehung zu Ina, von ihrer Familie und der Beziehung ihrer Mitglieder untereinander und von der Reise in die Slowakei, auf die Martin Ina folgt.
Der Roman beginnt stark. Martin berichtet davon, wie er Ina kennenlernte und wie er das erste Mal auf ihre Familie trifft, eine Situation, in der er sich unwohl und unwillkommen fühlt. Hier wurde Martin (und auch dem Leser) klar, welch zentrale Rolle Steiner in dieser Familie gespielt hat und für Ina immer noch spielt.
Leider hält Göttfert die intensive Atmosphäre des Anfangs, in der der Roman zu fesseln vermag, nicht durch. Die Passivität Martins, die sich durch die komplette Geschichte zieht, beginnt irgendwann, zu irritieren, zumal man als Leser keine Hinweise, allenfalls Andeutungen erhält, warum Martin so ist, wie er ist, warum er alles hinnimmt, sich nie beschwert oder aufmuckt, wenn ihn etwas stört, und zwar auch nicht in seiner Beziehung zu Ina. Eine zentrale Rolle im Roman nimmt ein Freund Martins ein, der namenlos bleibt und von Martin stets nur „mein Freund“ genannt wird. Immer wieder wird betont, wie gut diese Freundschaft ist, allein warum diese beiden so eng miteinander sind, bleibt verborgen. Der Freund, der Martin auf die Reise in die Slowakei begleitet, geht immer wieder zu Prostituierten und scheint ohne die käufliche Liebe nicht leben zu können, während Martin dem gar nichts abgewinnen kann und nichts anderes will, als Ina zu finden und mit ihr und der inzwischen geborenen Tochter nach Hause zurückzukehren. Keine Berührungspunkte haben die beiden Männer und auch hier ist der Freund der, der alles entscheidet, während Martin nicht fragt, nicht dagegenhält, nicht mal genau wissen will, was dieser Freund vorhat, der sich gern ein wenig geheimnisvoll gibt.
Die Längen häufen sich im Roman, die bloße Schilderung dessen, was passiert, reicht nicht mehr aus. Zu lange muss der Leser auf das warten, was Ina in der Slowakei schlussendlich erfährt – und wird möglicherweise enttäuscht. Der Fokus liegt nicht so sehr auf den historischen Begebenheiten, wie man erwarten könnte. Die Distanz, die Martin zum Geschehen hat, überträgt sich auf den Leser. Das Lesen wird mühsam, der Roman lässt ihn zunehmend unbeteiligt.
Ein Roman muss dem Leser nicht alles direkt auftischen. Die Charaktere, die Göttfert geschaffen hat, sind interessant, aber so viel bleibt im Dunkeln, dass man irgendwann Gefahr läuft, abzuschweifen. Obwohl Martin die Geschichte erzählt, bleiben viele Facetten seines Charakters unklar, Facetten, die seine Passivität etwa vielleicht hätten verdeutlichen können. Schade, denn der Autor kann ohne Zweifel schreiben und vor allem Atmosphären schaffen. Vielleicht hätte eine Straffung dem Roman gut getan. So bleibt man nach der Lektüre ein wenig ratlos zurück.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe : 14.07.2014
- Verlag : Beck
- ISBN: 978-3-406-65939-3
- Flexibler Einband: 479 Seiten