Der Versuch einer Biographie

Joan Didion war mir bis zu ihrem Buch Das Jahr des magischen Denkens, das sie schreiben musste, weil sie mit den Geschehnissen in ihrem Leben, die sie unvorbereitet ereilten, klar kommen wollte, kein wirklicher Begriff. Und das war bis dahin eine wirkliche Lücke. Ich möchte mich natürlich nicht mit dieser klarsichtigen, mutigen Frau, die den Dingen immer auf den Grund gehen musste, vergleichen, aber das Verhalten, dass sie an den Tag legte, wenn ihr etwas Angst machte oder sie etwas nicht verstand, ähnelt dem meinen schon sehr. Wenn mich etwas aus der Bahn wirft, dann muss ich mich dem bis über manche Schmerzgrenze hinaus nähern. Leicht ist das nicht, aber ich kann nicht anders. In all ihren Büchern ist Didion unerschrocken vielen Dingen auf den Grund gegangen, sie ist – und das zeigt die Netflix Dokumentation „The Center will not hold“ ganz eindeutig – nicht dorthin gegangen, wo die großen Themen lagen, weil sie keine Angst hatte. Ganz im Gegenteil – sie bezeichnet sich in der Doku selbst als ängstlich. Wie mutig muss man sein, wenn man sich Situationen aussetzt, die einem Angst machen, weil man die Wahrheit finden, etwas ins rechte Licht rücken oder Unrecht anprangern möchte. Über die Dokumentation hinaus wollte ich einfach mehr über diese erstaunliche Frau erfahren und Ihr Denken besser verstehen. Und da kam die Biographie von Evelyn McDonnell mit dem Titel Joan Didiion und wie sie die Welt sah gerade recht …so dachte ich zumindest.

Evelyn McDonnell berschäftigt sich schon sehr lange mit Didion. Ich schreibe bewusst mit (der Person) Joan Didions, denn obwohl McDonnell sicherlich – im Gegensatz zu mir – alle Texte Didions gut kennt, scheint mir ihr Fokus nicht auf deren Art zu Denken liegen. McDonnel ist – wie viele andere – von Didions Erscheinung fasziniert. Das wäre nicht weiter unverständlich – Joan Didion war zeit ihres Lebens sehr stilbewusst, aber meiner Meinung nach nicht um etwas Bestimmtes damit zu erreichen oder bestimmte Signale zu senden, sondern, weil das einfach ihr Wesen war. Sie hielt an gewissen Dingen fest, weil sie ihr (so mein Eindruck) gefielen oder eben Halt gaben. Dass McDonnell auch stark auf die äußere Erscheinung Didions in ihren Betrachtungen eingeht, mag dem Umstand geschuldet sein, dass sich McDonnell auf popkulturelle Phänomene unserer Zeit spezialisiert hat.

Wie in einer Biographie durchaus üblich, folgt McDonnell Didions Lebenweg chronologisch. Zu Beginn setzt sie sich mit ihrer eigene Beziehung, ihrer eigenen Annäherung an Didions Texte auseinander. Dabei kommt es mir häufig sehr ambitioniert vor, Denkweisen solch scharfsinniger Autor*innen so wiederzugeben, als hätte man sie komplett verstanden. Versteht man einen Menschen wirklich jemals in seiner Gänze? Ich denke, dass es schwierig ist. Da bin ich wohl zu sehr von meiner existentialistischen Jugendlektüre geprägt. Und so habe icch bei der Lektüre des durchaus fundiert recherchierten Buches immer mal wieder gedacht – wäre es nicht besser gewesen, den Titel eher als Annäherung denn als Erklärung zu formulieren. Der Titel spiegelt sich allerdings auch im Stil McDonnells. Sie versucht uns Leser*innen Didions Gedankenwelt tatsächlich zu erklären, ihre eigene Sicht darauf als absolut zu verkaufen. Ich denke nicht tatsächlich, dass das egoistische Gründe hat, sondern eher auf Ihrer großen Verehrung für Didion fußt. Verständlich, menschlich, mir aber ein wenig zu plakativ..

Dennoch lernt man viel über das Leben Joan Didions und die Rezeption ihrer Arbeiten. Die Lektüre war also nicht vergebens, nur eben nicht wie erwartet und dafür kann die Autorin ja nichts, nur ich selbst, die eben mit anderen Erwartungen an die Lektüre ging. Allerdings hat McDonnell sehr wohl mit dem folgenden Zitat Recht, das alleine die Lektüre lohnenswert gemacht hat:

Didion dafür zu kritisieren, dass sie über Kleidung schreibt, ist, als würde man sich beschweren, dass Hemingway über das Angeln schreibt.

Wer möchte, kann ein paar meiner äußerst subjektiven und wahrlich völlig unwissenschaftlichen Gedanken zu einigen großartigen Texten / Büchern Joan Didions hier nachlesen – ich habe allerdings noch lange nicht alles von ihr gelesen und freue mich darauf, ihre ausgereiften Gedanken und ausgefeilten Texte weiter zu entdecken.

Texte, die ich bereits hier von ihr vorgestellt habe:

Geschichten als Lebenselexier – Gedanken zu Joan Didion

Woher ich kam

Das letzte was er wollte

Joan Didion und wie sie die Welt sah von Evelyn McDonnell, übersetzt von Andrea Schmittmann, ist im April 2024 bei Harper Collins erschienen. Für mehr Infos zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

 

4 Gedanken zu “Der Versuch einer Biographie

  1. Lieber David, also Feministin war Didion nicht in dem Sinn, dass sie das vor sich hertrug. Sie war einfach. Und es geht bei ihr um so unglaublich viele gesellschaftliche Themen, natürlich vor allem die USA, klar, aber eben um die Strukturen allgemein. Sie hat unglaublich klug analysiert, hinter die Dinge geblickt. Als Einzige oft das geschrieben, was dann viel später ans Licht kam. Ich habe noch nicht alles von ihr gelesen, das nächste, was ich mir vorgenommen habe, ist Sloughing to Bethlehem. Harter Stoff, im wahrsten Sinn des Wortes, denn dort hat sie versucht die Hippie Kultur zu verstehen und die Schattenseiten dieser „Freiheit“ deutlich gemacht: Während die „Erwachsenen“ versucht haben sich frei zu fühlen, wurden ihre Kinder grob vernachlässigt, anders als sie selbst, aber ebenso schlimm. Solche Dinge beschreibt sie. Also bitte, bitte, versuch es mit Didion – sie hat mit „Woher ich kam“ (ist auf dem Blog) Kalifornien so analysiert, wie niemand anders. Und ich denke gerade viel darüber nach, ich über einem Post zu JDVance’s Hillbilly Elegie grüble, das ich vor Jahren gut fand, ihn jetzt unsäglich und im Vergleich zu Didions Vermögen, strukturelles aufzuzeigen einfach nur platt. Und Didion ist ein ganz anderes Kaliber als Fallwickl. Vertrau mir. LG Bri

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  2. Großen Dank! Weisst du, ich bin ja selbst Autor und fand mich sehr im Anfang wieder: du willst dich nicht mir ihr vergleichen aber… Das ist wertvoller als du oder man glaubt. Darum schreiben so Leute ja auch. Nicht um als schlauer dazustehen, sondern eher als der, hier die, die es mal in fünf Sätzen sagte.
    Ich selbst will sie, wie auch Susan Sonntag, schon lange lesen. Ich denke aber der Diskurs der letzten Jahre hält mich ab. Klar, schlaue Menschen kann man immer lesen, aber da habe ich noch 400 Kerle vor mir und die sind eben näher an mir;-)
    Ich, Feminist, habe bis 2018 echt viel feministisches Zeugs gelesen. Das Doofe war, es wurde immer übler, mieser, blöder. Und erfolgreicher. Die Autorin Fallwickl steht stellvertretend.
    LG

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  3. Danke, liebe Claudia. Tatsächlich ist die Dokumentation von ihrem Neffen gedreht worden, sie selbst kommt zu Wort – direkter geht es fast nicht. Auf jeden Fall ist sie lohnenswert, Du findest sie unter dem Titel „The Center will not hold“. Bin gespannt, was Du dazu sagen wirst. LG aus der Hitze, Bri

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  4. Liebe Brigitte,

    deine sehr differenzierende Besprechung habe ich gerne gelesen und nehme vor allem mit, dass es eine gute Netflix-Dokumentation über Joan Didion gibt. Die werde ich mal suchen und schauen.

    Viele Grüße

    Claudia

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