Düstere Aussichten

Am Genfer See spielte schon ein grandioser Horrorthriller von Tim Powers. „Die kalte Braut“, der 1991 erschienen ist.  

Dort steht aber auch der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. CERN nennt ihn auf seiner Website seine Urknallmaschine. Der Large Hadron Collider abgekürzt LHC. „Kernschatten“ Autor Nils Westerboer lässt in seinem Romandebüt dort die Unanehmlichkeiten beginnen. Etwas ist in unsere Welt gekommen, was zuvor nicht da war. Etliche Wissenschaftler haben ein ungutes Gefühl. Eine Anomalie, alles sehr geheimnisvoll. Was genau geschehen ist, darüber bleiben die LeserInnen lange im Unklaren, so bleibt zwar der Spannungsbogen bis zum Ende erhalten, doch es ist zäh dahin zu kommen. Zuviel Ungewissheit, ein gegen seinen Willen, frisch ernannter Murmansker Polizeikomissar, der eine seltsam glücklich wirkende Leiche identifizieren, und das mutmaßliche Verbrechen untersuchen soll. Dazu noch finanzstarke Mächte, mutmaßlich des organisierten Verbrechens, die an der Forschungsarbeit einiger geflohenen Wissenschaftler desaus dem Ruder laufenden Projekt des Cern verdienen möchten, oder dabei sind es einzuhegen. Dazu noch ein frustrierter Fotostudiobetreiber, der gruseligerweise einer schönen jungen Frau nachstellt und dadurch in die Angelegenheit verwickelt wird.

Langsam kristallisiert sich heraus, dass die aus atomaren Teilchenkollisionen entstandene bedrohliche lebendige Substanz ein ebenso großes Problem wie die Klimakatastophe darstellen wird, nur effektiver. Vermutlich. Doch bis dahin ist es, zumindest mir völlig egal geworden, ob die Welt noch zu retten ist oder nicht. Zu geheimnistuerisch und dabei doch dröge wird diese Geschichte erzählt. Dagegen sind die Kapitelüberschriften große Klasse und liessen mich durchhalten. Man merkt, dass sich der Autor sehr viele Gedanken gemacht hat, fast meine ich einen hintersinnigen Humor zu erkennen, der in Teilen auch im Roman zu finden ist zum Beispiel in Megan. Die Überschriften sind wie gesagt ein Highlight. Tatsächlich reißt auch das Ende es ein wenig heraus, und die Grundidee, ist wirklich sehr kreativ und gut. Diese Substanz die die Welt von innen her vertilgt und nur dunkle Leere hinterlässt entkommen aus einem Laboratorium zur Erforschung der Welt. Nicht komplett neu aber eine sehr realistische, hervoragende Idee.

Dennoch, es war eben leider kein spannendes Vergnügen diesen Wissenschaftsthriller zu lesen. Häppchenweise serviert der Autor einem die Puzzlestückchen der Geschichte und fügt erst am Schluss alles zusammen. Das kann sehr gut gelingen, wenn bei den LeserInnen die Freude am zusammenpuzzeln gehalten wird, vielleicht braucht es da zähere Kaliber als mich. Ich empfand diese Mixtur stilistisch wenig überzeugend. Aber es ist ein Debütroman. Wenn Nils Westerboer es schafft Interesse und Aufmerksamkeit, womöglich auch mittels Sympathie und Antipathie für seine Figuren herzustellen und weniger distanziert und bemüht geheimnisvoll erzählt, kann er mit solch einer guten Storyidee sicher punkten, denn die imaginierte dunkle Kreatur die hat samt ihrer Entstehungsgeschichte Potential. Immerhin basteln in unserer Realität tatsächlich außergewöhnlich befähigte WissenschaftlerInnen am CERN daran herauszufinden was passiert, wenn atomare, teils auch unbekannte Teilchen miteinander kollidieren. So wurde dort das Higgs Boson, das viele Jahre lang nur in der Theorie des Herrn Higgs existierte, und ihm letztlich den Nobelpreis für Physik bescherte, gefunden. Schwarze Löcher, wie sie eine Weile durch die Presse geisterten scheinen aber dem CERN bisher nicht entfleucht zu sein. Wobei, in meinem Haus verschwinden einzelne Socken, ganze Haargummis und Kaugummis sowie Schoki verflüchtigen sich …

Außerdem suche ich permanent meine Kaffetassen und finde sie an anderen Orten als gedacht. Da wären wir aber bei Raumfalten. Diese sind in diesem Wissenschafts-Thriller nicht zu finden.

Kernschatten von Nils Westerboer ist im Februar 2023 als Taschenbuch bei Hobbit Presse Klett-Cotta erschienen. Weitere Informationen bei Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.

 

2 Gedanken zu “Düstere Aussichten

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