Nachdem Susanna Clarke in ihrem Welterfolgsroman „Jonathan Strange und Mr. Norrell“ lediglich am Rande der Frage nach dem etwaigen Vorhandensein vergessener Parallelwelten nachgeht, bildet diese Annahme in ihrem neuesten Werk „Piranesi“ die Grundlage ihres Romans.
Denn die Hauptfigur befindet sich zu Beginn bereits in einer solchen. Ein sonderbarer, scheinbar endloser Ort, der sich über drei Stockwerke erstreckt, die jeweils einen eigenen Charakter besitzen.
Die Lesenden begleiten einen Menschen Namens Piranesi, der sich auf all das einen Reim zu machen sucht, indem er Tagebuch führt, dessen Einträge unsere einzige Quelle darstellen.
Seine wahre Identität scheint er vergessen zu haben, während er lange Erkundungsmärsche in alle vier Himmelsrichtungen unternommen hat. Saal um Saal, in denen jeweils Statuen aufgereiht stehen, die auch einfaches Leben und Emotionen abbilden. Monumental und zeitlos.
Die beschriebene Welt als auch der Name Piranesi können als eine Reminiszenz an Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) und seine durch Bühnenbilder angeregten architektonischen Phantasien gelesen werden.
Das vorliegende Werk besitzt gewisse Eigenschaften eines Detektivromans. Denn man greift ebenfalls wie Piranesi nach den Schnipseln eines vergessenen Lebens, um herauszufinden, wer welche Rolle in diesem doch recht makabren Spiel einnimmt. Denn Piranesi ist nicht allein.
Die Komposition besticht.
Nicht allein durch die Beschaffenheit dieser Welt oder dem mystischen Charakter der Geschichte, sondern auch mit der ausgewogenen Seitenzahl, die bei rund 270 liegt.
Wer sich dazu entscheidet, „Piranesi“ zu buchen, der besucht eine Welt, die einen leichten Gänsehautcharakter besitzt. Denn man wird das unterschwellige Gefühl nicht los, daß man dort nicht wirklich hin gehört.
Und doch müssen Übergänge zu unser aller Welt existieren. Wie sonst kommen all die Vögel dorthin?
Geruede, bleibt zu Hause
„Piranesi“ von Susanna Clarke ist 2020 als Hardcover und im Mai 2022 als Taschenbuch von Astrid Linke übersetzt bei Blessing bzw. Heyne erschienen. Für mehr Infos zum Buch durch Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.
Werter Geruede,
danke für Deine Resonanz.
Hm, gerade vor 35 Jahren verbrachte ich zehn Tage im Kerker, weil ich mich mit den Freund*innen der Friedensbewegung 1983 vor das hiesige Atomwaffenlager plaziert hatte und weggetragen wurde.
Meine Verfassungsbeschwerde war zunächst nicht angenommen worden. Später gab es nach einem neuen Verfahren einen Freispruch.
Irgendwie kam ich damals auf die „Carceri invenzioni“ von Giovanni Battista Piranesi. Zum Hausfest in der Wohngemeinschaft gestaltete ich den Kellerflur mit einer Ausstellung von Piranesis Carceri …
Hier solidarische Grüße
Bernd
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Eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Das werde ich bald, sehr bald mal wieder lesen 🙂
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Mein lieber und überaus geschätzter arnoldnuremberg,
aber gerne doch. Bin ebenfalls hellauf begeistert, wenn sich mir derartige Verbindungen erschließen.
Das hebt doch sowohl das Leseerlebnis als auch das Lesevergnügen in ungeahnte Höhen.
beste Grüße
Geruede
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Dankeschön für die Erinnerung an Giovanni Battista Piranesi. Seine „Carceri Invenzioni“ bedeuten mir viel.
Dies in einen Roman zu verwandeln, freut mich.
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