Lyle und Peg Hovde sind bodenständige Menschen. Sie haben sich im ländlichen Redford in Wisconsin eingerichtet, wo sie noch ein paar wenige, aber gute Freunde haben. Die nachbarschaftliche Gemeinschaft ist eine hilfsbereite und solidarische. Sonntags geht es, wie es sich gehört, nach St. Olaf zum Gottesdienst, den ein Charlie, ein alter Freund von Lyle, hält. Während Peg aufrichtig glaubt, hat Lyle durch einen Schicksalsschlag in jungen Jahren, der auch die Ehe mit Peg auf eine harte Zerreißprobe stellte, seinen Glauben, wenn er ihn je wirklich hatte, verloren. Nichtsdestotrotz ist er ein Mann mit Werten, einer inneren moralischen Richtschnur .
Lyle und Peg Hovde sind bodenständige Menschen. Sie haben sich im ländlichen Redford in Wisconsin eingerichtet, wo sie noch ein paar wenige, aber gute Freunde haben. Die nachbarschaftliche Gemeinschaft ist eine hilfsbereite und solidarische. Sonntags geht es, wie es sich gehört, nach St. Olaf zum Gottesdienst, den ein Charlie, ein alter Freund von Lyle, hält. Während Peg aufrichtig glaubt, hat Lyle durch einen Schicksalsschlag in jungen Jahren, der auch die Ehe mit Peg auf eine harte Zerreißprobe stellte, seinen Glauben, wenn er ihn je wirklich hatte, verloren. Nichtsdestotrotz ist er ein Mann mit Werten, einer inneren moralischen Richtschnur .
„Während seines gesamten, nunmehr über fünfundsechzig Jahre währenden Lebens hatte es Lyle noch niemals zuvor nötig gehabt, einen anderen Menschen wie ein rohes Ei zu behandeln. […] Er stammte aus einer Familie von stoischen, norwegisch-amerikanischen Farmern, die nie – oder zumindest äußerst selten – über ihre Gefühle sprachen. Deshalb wurden Gefühle auch als eine Art Brandherd angesehen, den es so rasch wie möglich zu löschen galt, und zwar vorzugsweise, ohne dass es irgendjemand mitbekam.“
Peg ist zwar aus dem Mittleren Westen, doch in einer ähnlichen Familiensituation aufgewachsen, wie Lyle. Durchhaltevermögen, Aufrichtigkeit und harte Arbeit bildeten mit dem Glauben daran, dass niemand sich für etwas Besseres zu halten hatte, auch die Basis ihrer Werte.
„Wenn man sie gefragt hätte, ob es ein Motto oder ein Credo in ihrem Leben gab, dann hätte die Antwort vielleicht folgendermaßen gelautet. Verhalte dich so unauffällig wie möglich, versuche, schon beim ersten Versuch alles richtig zu machen, räum immer alles auf – und vor allem: Vermassele es nicht!“
Das größte Glück für das Ehepaar allerdings ist es, als ihre Tochter Shiloh mit ihrem fünfjährigen Sohn Isaac zu ihnen zieht. Der Junge scheint besonders empathisch zu sein und liebt es, Zeit mit seinen Großeltern zu verbringen, die sich großartig um ihn kümmern.
Da geht es mit Lyle zusammen in den Apfelgarten von Freunden, die diesen nicht deshalb weiter bewirtschaften, um damit Geld zu verdienen, sondern weil sie die Vielfalt der Bäume dort erhalten wollen. Für Lyle ist die Arbeit mehr als nur ein kleiner Nebenverdienst zur Rente. Er liebt es – vor allem mit Isaac zusammen – an der frischen Luft dafür zu sorgen, dass es den Bäumen gut geht. Peg wiederum, die früher Mathematiklehrerin war, lässt Isaac überall im Haus mithelfen, wo er möchte und die beiden haben einen Heidenspaß dabei, sich um die Alltäglichkeiten des Lebens zu kümmern, während Lyle seinen ältesten und besten Freund Hoot besucht.
Ein wahres Idyll, könnte man meinen. Das ist es auch und nicht deshalb, weil Nickolas Butler in seinem Roman „Ein wenig Glaube“ die wahre Welt ausschließen würde. Im Gegenteil, das Idyll besteht trotz mancher unschönen Begebenheit, weil die Menschen, deren Geschichte Butler erzählt, so bodenständig, dankbar und ehrlich sind, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Hier begegnet man sich wertschätzend. Doch das Idyll bekommt einen Riss, als Shiloh ihren Eltern eröffnet, dass sie bald nach La Crosse ziehen wird, wo sie bereits seit längerer Zeit eine Sekretariatsstelle in ihrer Kirchengemeinde inne hat. Nichts wünscht sie sich von ihren Eltern mehr, als dass auch sie diese Gemeinde als ihre betrachten würden. Als gute Eltern erfüllen sie ihrer Tochter den Wunsch, sie in den Gottesdienst des Bundes des Flusstälerlandes, der in den Räumen eines alten Kinos in La Crosse abgehalten wird, zu begleiten.
Nickolas Butler geht mit dem Thema, das er in den Fokus seines mittlerweile dritten Romans gestellt hat, sehr differenziert um. Die Frage, was es heißt zu glauben, seinen Glauben zu verlieren oder was es für andere Menschen bedeutet, wenn man sich selbst darin verliert, beleuchtet er über die anfängliche Familiensituation der Hovdes hinaus auch in einem größeren Rahmen. Ganz zu Beginn. Inspiriert wurde er dabei von einer wahren Begebenheit, die 2003 in Wisconsin ihren tragischen Verlauf nahm.
Obwohl wir doch in einer recht säkularisierten Welt leben, kommt es immer wieder und gerade aufgrund von allzu rigide ausgelegten religiösen Grundsätzen zu Zusammenstößen. Während manche Menschen ihren Glauben oder, wie ich es eher nennen würde, ihre spirituelle Verbindung mit allem verlieren, verlieren sich andere Menschen gerade darin, ihr eigenes Verhalten für gewisse Geschehnisse verantwortlich zu machen. Werden ihre Gebete nicht erhört, haben sie nicht genügend geglaubt. Dabei ist es häufig so, dass sie gerade durch diejenigen Menschen ihrer Gemeinden in diesen Verhaltensweisen bestärkt werden, die dort so etwas wie eine Führungsrolle innehaben. Wir kennen alle Geschichten von Predigern, selbsternannten Heilsbringern, die andere Menschen nur zu ihrem Zweck und Vorteil manipulieren und dabei nicht vor Einschüchterung und Gewalt zurückschrecken. Als Außenstehende, die einen klareren Blick auf die unheilvollen Vorgänge haben, hat man häufig wenige Möglichkeiten, einzugreifen.
In eben solch eine Situation geraten Lyle und Peg, als sie merken, dass der Prediger des Bundes der Flusslandtäler Shiloh und vor allem Isaac „benutzt“, wobei er Shiloh soweit bringt, dass sie die starke und liebevolle Verbindung zwischen ihrem Sohn und ihrem Vater unterbindet. Wie sehr sie darunter leiden, ist förmlich greifbar. Die beiden versuchen vernunftgesteuert zu agieren, während ihnen schier das Herz bricht, um, falls es notwendig wird, eingreifen zu können.
Dass nicht alles ganz glatt laufen wird in dieser Geschichte, wird bei der Lektüre zwar früh klar, aber wie in seinem zweiten Roman „Die Herzen der Männer“, der ebenso wie „Ein wenig Glaube“ zu Beginn durchaus Wohlfühlatmosphäre verströmt, erwischte er mich eiskalt. Während Butler das im Vorgängerroman durch einen Wechsel von Perspektive, Stil und Atmosphäre im zweiten Teil gelang, schaffte er es dieses Mal in einem Satz. Lyle, der immer nur darauf bedacht ist, seiner Tochter und seinem Enkel zu helfen, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, wird so kalt und unverblümt beschuldigt, die Diabeteskrankheit Isaacs verursacht zu haben, dass man sich fast selbst an Lyles Stelle glaubt. Für mich war das Ende des 16. Kapitels, obwohl ich ja erahnt hatte, worauf das Ganze hinauslaufen würde, ein Faustschlag in die Magengrube. Das musste ich erst einmal verdauen.
Doch Butler ist ein viel zu guter Erzähler, als dass ich seine Geschichten zu lange ungelesen liegen lassen könnte und so verfolgte ich bald weiter, wie Lyle ob der furchtbaren Zurückweisung durch seine Tochter, die er doch liebte und der er nichts als Glück wünschte, versuchte, den Kopf über Wasser zu halten. Das war wohl der Teil des Lebensmottos, der mit dem Nichtauffallen zu tun hatte.
Während Butler seine Figuren durchweg klar zeichnet, ohne ihre Eigenheiten, Marotten, guten oder schlechten Seiten zu bewerten – neben der ruhigen Erzählweise in diesem Roman, die leider von einigen Leser*innen als langatmig oder langweilig empfunden wird, erinnert das an den großen amerikanischen Erzähler Kent Haruf – bleibt Shiloh ungreifbar. Obwohl ihre Einstellungen starr und unumstößlich sind, entgleitet sie einem beim Versuch, ihre Beweggründe oder Gedanken nachzuvollziehen. Sie ist das buchstäblich unlösbare Rätsel. Auch wenn das für manche Leser*in unbefriedigend sein sollte, so ist es doch logisch und alternativlos und kein Versäumnis des Autors. Gerade wenn es um Glaubensfragen geht, ist es häufig schwer, Denkweisen oder Handlungen nachzuvollziehen.
Dennoch gibt es Grenzen, was man zulassen darf oder kann und wo man einschreiten muss. Während Lyle alles versucht, um wieder an Shilohs und vor allem an Isaacs Leben teilhaben zu können, während er sich tatsächlich konkret mit seinem Glauben auseinandersetzt, scheint Shiloh nichts davon wahrzunehmen. Die Versuche ihres Vaters erreichen sie nicht, weil in Wahrheit sie diejenige ist, die nur noch in eine Richtung Verbundenheit spüren, wenn überhaupt. Butler schildert diese traurige und manchmal schmerzhafte Lage, in der man den Handlungen geliebter Menschen nur ohnmächtig zusehen kann, glaubhaft und nachvollziehbar. Ebenso nachvollziehbar wie die Grenze die Lyle überschreitet, um seinen Enkel zu retten.
Obwohl das Ende des Romans ein offenes ist, gibt Butler eine Richtung vor, in die sich die Geschichte wohl entwickeln wird, wenn wir die Buchdeckel bereits geschlossen haben. Hoffnung ist es, die er uns mitgibt. Hoffnung darauf, dass alles, trotz schlechter Aussichten, gut werden kann. Aber wir müssen auch bereit sein, für das, was uns wichtig ist, Einsatz zu zeigen. Dabei hat das nichts mit einem falsch verstandenen Heldentum, sondern nur damit zu tun, was uns persönlich wichtig erscheint. So wichtig eben, dass wir vieles, wenn nicht sogar alles dafür tun würden. Denn jeder sollte etwas haben, das ihn glücklich macht, bei dem er diese eine geheimnisvolle Verbindung spürt, die es lohnt, den Kopf über Wasser zu halten.
Nickolas Butler hat sich sehr mit der Frage beschäftigt, was Glaube ist, darf oder kann, ohne der Leserschaft seine Ansichten ständig unter die Nase zu reiben. Unaufdringliche Metaphorik – nicht umsonst kümmert sich Lyle um einen Apfelgarten, der für ihn solch einen Stellenwert hat, dass er ihn vor jeglicher Unbill beschützen will, auch so etwas wie ein kleines Erweckungserlebnis wird Lyle haben, sein Enkel trägt nicht ohne Grund einen biblischen Namen – zeugt davon. Dass ein Glaube auch seine Krisen haben darf, das transportiert Lyles Freund Charlie ganz großartig nebenbei.
Für mich ist und bleibt Nickolas Butler ein Meister seines Fachs, der mich immer wieder überrascht, sei es durch seine Themenwahl oder die Umsetzung. Auch wenn ich ihm jedes Mal wieder ein bisschen grolle, weil seine Geschichten immer andere Wendungen nehmen, als ich es mir vielleicht wünsche, beschert er mir großartige und beglückende Lesemomente.Und das nicht zuletzt wegen der wieder einmal wunderbaren Übertragung ins Deutsche durch Dorothee Merkel.
Ein wenig Glaube von Nickolas Butler ist im Frühjahr 2020 bei Klett-Cotta erschienen. Für mehr Information durch Doppelklick auf das im Beitrag enthaltene Cover oder auf der Verlagsseite.