„Während seines Monologs hatte Jerome die Wörter Ente kross süßsauer auf eine Weise betont, als läge etwas glühend Nostalgisches darin, und während des Sprechens war ihm aufgefallen, dass er manchmal Dinge erläuterte, die für Tanja nicht zwingend interessant waren. Tanja hatte geantwortet, dass sie genau das an ihm schätzte. Dass so wenig Menschen sich trauten, ihre echten Erinnerungen zu erzählen, da diese naturgemäß arm an Pointen waren – darin erkannte sie ein strukturelles Problem, das eng mit der globalen Ökonomie verwoben war.“
Tanja wird bald dreißig, wohnt in Berlin und ist eine erfolgreiche Autorin. Jerome ist knapp fünf Jahre älter, wohnt in Maintal bei Frankfurt in seinem Elternhaus, das er ihnen abgekauft hat, und ist erfolgreicher Webdesigner. Beide sind irgendwie zusammen, aber dann doch nicht. Jeder lebt sein eigenes, bei jedem Moment sehr reflektiertes, Leben. Man trifft sich, wenn das Gefühl dazu stimmt und webt dabei auch Freunde und Familie mit ein. Alles wird in die eigene Hyperreflektion mit aufgenommen, das Essen, die Umgebung, Reaktionen, Farben, alles wird in Bezug gesetzt und analysiert. Dabei wirkt dies nie zwanghaft, es strahlt alles mild und sanft.
„Tanja lobte das Interieur des Lokals. Die Wände waren blass mintgrün gestrichen, und an der Decke hing ein Kronleuchter, dessen Material billig erschien. Tanja behauptete, in diesem Interieur eine Art kommunistische Nostalgie zu empfinden, sozusagen stellvertretend, und das Essen war wirklich gut.“
Die ganze Welt wirkt bei diesen Sätzen Allegro Pastell. Überhaupt habe ich lange kein Buch mehr in der Hand gehabt, das eine derartige Einheit von Cover, Farbe, Titel und Inhalt hat. Die Reflektionen enden manchmal in konkrete Gedankenschlüsse, wie auch in dem Lokal.
„Vielleicht war es gar nicht notwendig, dass sie ihre Probleme ständig besprachen, dachte Jerome, vielleicht half es bereits, gemeinsam dazusitzen und viel zu essen.“
Als Leser ging mir diese Über-Reflektion manchmal gehörig auf den Wecker. Alles wird in Bezug gesetzt, sich gefragt, was die anderen wohl dazu denken, was ein Bild von sich erzeugt wird. Alles wird auf das Milligramm austariert, so dass doch bitteschön der perfekte Mensch gezeigt wird. So rund und glatt, ohne Kanten oder Ecken. Tanja und Jerome reagieren wie austherapierte Menschen, die sich bei jedem Schritt und Tritt, jedem Satz, ausgewogene Gedanken machen. Schon in seinem vorherigen Roman, beschrieb Leif Randt eine perfekte (aber langweilige) Gesellschaft, hier. Jerome erstellt eine Power-Point Präsentation, als er Vater wird und erwähnt in einigen Folien, die Thematik der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Als ich Vater wurde, habe ich keinen Gedanken daran verschwendet.
Doch vielleicht ist es genau das, was meine Generation von der heutigen unterscheidet: Die Verantwortung und das Nachdenken über sein Tun und Handeln. Vieles wäre vielleicht anders gekommen als heute, hätte meine Generation sich mehr Gedanken gemacht (Als Entschuldigung mag gelten, dass wir kein Power-Point hatten :-))
So erlebe ich als Leser dann doch am Ende meine gewünschten Emotionen, aber auch diese sind be- und durchdacht. Sie folgen konsequent den dargestellten Figuren. So ist dieses Buch gemeinsam mit Sybille Bergs GRM (hier), eines der wichtigsten Bücher, die unsere Gesellschaft beschreiben. Leif Randt habe ich lieber gelesen, er erzeugte in mir ein wohliges Gefühl – ein pastellfarbenes.
Allegro Pastell von Leif Randt ist 2020 im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen. Weitere Informationen über einen Klick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.