Die Jugend ist die beste Zeit des Lebens. Man ist jung, sorglos und die ganze Welt steht einem offen. Umso verwunderter war ich als Schüler, wenn SchulkameradInnen schon mit sechzehn wussten, was sie mit fünfunddreißig machen wollten, ja ihr Leben minutiös bis zum Rentenalter geplant hatten. Hallo? Da passiert doch noch ganz viel zwischendurch und das Leben biegt mit einem anders ab, als man es selber vorausgesehen hat. (Umso erschreckender war für mich nach knapp dreißig Jahren festzustellen, dass so manche(r) genau dieses geplante Leben genommen hatte.) Nun, mir ist dies zum Glück nicht passiert und mein Lebensverlauf hatte so einiges an Überraschungen zu bieten.
Alex ist Mitte zwanzig und weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Eine Ausbildung, die sie auf Wunsch ihrer Eltern anfing, hat sie abgebrochen, studieren ist auch nicht so ihr Ding. Unabhängig möchte sie trotzdem sein, die derzeitige Lebenssituation, mit ihrem Bruder in einer Zwei-Zimmer-Gartenhütte, ist recht unbefriedigend. Warum dann nicht Taxi fahren. Geld kommt jeden Tag rein, Autofahren mag sie und unabhängig bei der Arbeit ist sie auch noch.
Und so meldet sie sich auf eine Anzeige, in der ausdrücklich nach weiblichen Taxifahrerinnen gesucht wird. Und schwupps, wird aus Alex „zwodoppelvier“, der Funkname ihres Taxis und sie steht in Hamburg an ihrem Standplatz.
Die Neue wird sofort von ihren Taxikollegen begutachtet, die Frau sieht nämlich ziemlich gut aus, hat aber eine – nun nennen wir es – Entscheidungsschwäche. So wie jeder Taxigast ihr sagt, wohin sie fahren soll, lässt sie sich im Leben von anderen sagen, wie sie leben, was sie machen soll. Und so findet sie sich schnell in einer Beziehung zu Dietrich, der im selben Laden Taxi fährt, ein Mann, den sie weder liebt, noch besonders attraktiv findet. Alex ist desillusioniert und bleibt lieber die passive Betrachterin ihres Lebens. So wie die Straßenlampen abends an ihrem Auto, so rauschen die Tage und Wochen ihres Lebens vorbei. In ihrer Freizeit liest sie Bücher über Schimpansen, das Tierreich, in dem jedem ein fester Platz zugewiesen wird. Ihren Platz erkennt sie lange nicht, bis sie auf Marco trifft, einen kleinwüchsigen Mann, der beginnt sie aus ihrer Lethargie zu holen.
Es sind die Achtzigerjahre, die Mauer steht noch, die D-Mark ist hart, genau in dieser Zeit bin ich auch Taxi gefahren und hatte noch keinen Plan, wie es weitergehen soll. Karen Duves Beschreibungen sind sehr realistisch, viele Begebenheiten habe ich genau so auch erlebt beim Fahren. Der Fahrgast, der nicht nur die Service-Leistung bezahlt, sondern denkt, er hätte den Fahrer gleich mitgekauft. Die Begegnungen sind teils witzig, teils nervig und ein wenig Philosophie ist bei dieser bunten Mischung auch dabei.
„‚Achtundachtzig Jahre, das ist auch viel zu kurz‘, sagte ich schließlich. ‚Fünfhundert oder wenigstens dreihundert Jahre, damit könnte man etwas anfangen. Man hätte Zeit, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, und man könnte vielleicht jemanden finden, der einem wirklich etwas bedeutet. Fünfzig Jahre braucht man doch allein schon, um herauszubekommen, was man eigentlich will. Und siebzig Jahre um die wichtigsten Bücher zu lesen. Und dann will man ja vielleicht auch noch ein paar alberne Hobbys haben, und dann geht ja noch so wahnsinnig viel Zeit mit solchen Sachen wie Schuhbandzumachen oder Staubwischen drauf.'“
Karen Duve gelingen sehr böse, pointierte und bissige Sätze. Der Don Juan, mit dem Alex sich einlässt, überredet sie immer wieder zu Sex: „Sein Körper schob sich wie ein Sargdeckel über mich.“ Alex ist keine Feministin, im Gegenteil, sie schaut voller Verachtung auf die Frauen herab, die ihrer Meinung nach nichts auf die Reihe bekommen.
„An jeder Seite meines Taxis war höchstens noch zwei Finger breit Luft. Die Schnalle bewegte sich natürlich keinen Zentimeter, sondern ließ mich machen und glotzte noch blöd, ob ich auch ja keine Schramme in die Speziallackierung ihres drolligen französischen Kleinwagens fuhr. Diese Wesen würden es nie schaffen. Sich dreißigtausend Jahre lang unterdrücken zu lassen, ohne eine einzige anständige, blutige Revolution auf die Beine zu stellen, das sagte ja eigentlich schon alles.“
Taxi ist 2015 mit Karen Duve als Drehbuchautorin verfilmt worden, es macht einfach Spaß, diesen Film zu sehen, der die Stimmung des Buches sehr gut einfängt. Ein witziges und treffendes Buch, scharf beobachtet und rasant erzählt!
Taxi von Karen Duve ist bereits 2008 im Eichborn Verlag erschienen. Weitere Informationen auf der Verlagsseite.
Aha, siehste, der kommt auf meine Wishlist😉
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