Hoffnungslose Dystopie

In Berlin prangt ein Schriftzug auf dem Haus in der Kastanienallee 86 : „Kapitalismus normiert, zerstört, tötet.“ Handys (bzw. Endgeräte, wie Sibylle Berg sie nennt), Fernsehen und MacDonalds (für Fastfood) sind das Brot und Spiele der Neuzeit. Was getötet wird, ist das Miteinander. Im Kapitalismus ist das Gegeneinander schon angelegt. Wohin das führt, sehen wir heute schon. Waffenexporte führen zu Flüchtlingen in unser ach so heiles Europa. Als Gegenreaktion werden Populisten gewählt, die die Welt wieder in Ordnung bringen sollen.

Dass dies nicht funktioniert, sehen wir in Amerika, wo ein lärmender, pöbelnder Präsident die Kredibilität der Amerikaner verspielt. (Falls sie noch eine hatten) Überall ist das Niveau und der durchschnittliche IQ der Menschen auf dem Rückgang – wozu auch noch denken, das besorgen die Maschinen doch besser. Und der Kühlschrank erledigt den Einkauf sowieso effektiver.

„Je verwirrender die Welt, umso verzweifelter erstellte der Einzelne eine innere Bibliothek des Begreifbaren.“, sagt Sibylle Berg in GRM Brainfuck, ihrem neuen Buch, einer tristen und hoffnungslosen Dystopie. Der Rückzug des Einzelnen in seine eigene kleine (bald VR-) Welt ist vorprogrammiert.

„Die Angehörigen der Generation Z lebten in ihren Endgeräten, wo immer mehr los war als auf den langweiligen Straßen in ihrem Nest. Sie unterhielten sich in Chatgruppen, starrten Selfie-Acoounts an, sie verbrachten acht Stunden am Tag mit dem Glotzen auf Displays und hatten keine Ahnung, was daran falsch sein sollte, weil die Welt im Netz aus Fotos, Filmen und Spielen bestand, die Offline-Welt jedoch aus schlechtem Wetter und Drogenabhängigen, aus renovierungsbedürftigen Häusern und Langeweile.“

Bergs Roman spielt in Rochdale einer abgehalfterten Stadt in Großbritanien, könnte aber in jeder Stadt mit ihren wachsenden Armenvierteln spielen. Städte, deren Normalsterbliche langsam an den Rand, oder am liebsten in die Friedhöfe gedrängt werden. In dieser über 600 Seiten starken Litanei ist kaum ein Hoffnungsschimmer vorhanden. Sibylle Berg beschreibt erschreckenderweise nicht die mögliche Zukunft – nein, die Zukunft ist schon hier. Bei ihr klingt sie aber deprimierender und aussichtsloser, als in jeder anderen Dystopie, die ich gelesen habe. Es existiert kein Held, der mit flammendem Schwert den Schmutz beseitigt. Ihre Hauptcharaktere sind vier Jugendliche, die durch Zufall zusammen kommen und mehr mit sich, als mit der ihnen umgebenden zerfallenden Gesellschaft zurecht kommen müssen.

Ein roter Faden ist in diesem Buch nicht vorhanden, jedenfalls habe ich keinen gefunden. Jeder, auch wirklich jeder, hat irgendwie Dreck am Stecken und wird von Frau Berg gnadenlos und mit geschliffenen Worten niedergemacht. So kam es mir vor. Will ich das lesen, dachte ich oft. Doch mich hat dieses unbändige Wort Gemetzel auch wieder morbide angezogen. Selten hat jemand so gnadenlos über die westliche Welt geschrieben.

„Das Leben der meisten Menschen ist Warten. Darauf, dass etwas passiert. was sie aus ihrem Warten holt, bei dem sie sich beobachten und wissen sie werden es bereuen, ihr Leben nicht genossen zu haben. Aber wie nur? Wie genießt man das Leben, wenn nichts in einem brennt? Und wie viel kann man fernsehen. Vor allem wenn der Strom limitiert ist. Vor allem, wenn einem der Hintern wehtut vom Sitzen und Ausgehölt werden, von all dem Schwachsinn, den man in sich stopft, und das ist die Freiheit die wir meinen. Die Freiheit der Selbstverwirklichung und Möglichkeiten, die uns allen durch die freien Märkte beschert wurde, schenkt den meisten doch nur die Möglichkeit, Reichen beim Freisein zuzusehen. Den Armen steht die Freiheit theoretisch zu, sie haben einfach nur zu wenig Geld um sie auszuleben, die Freiheit.“

Es ist eine selbstgewählte heile Welt, die wir uns da gebaut haben. Konsum, Konzerne, Gier und Macht beherrschen unseren Alltag. Doch halt, was ist mit denen, die sich dem entgegenstellen. Den Gretas dieser Welt, die die sich verweigern, die Liebe und Frieden in ihren Herzen und Köpfen haben. Auch unsere vier Jugendlichen vergraben ihre Endgeräte und leben ein – nun 1.0-Leben.

„Sie wären nie auf die Idee gekommen, ihr Leben für so langweilig zu halten, dass sie es freiwillig für stundenlange Ausflüge in virtuelle Realitäten aufgegeben hätten. Sie haben nie die Idee gehabt, sich mithilfe von Apps und Trackern selbst zu optimieren, nur um dann in der virtuellen Welt ein optimierte Version ihrer selbst von unbekannten Volldioten bewerten zu lassen. Sie haben nie mit einer App gezahlt, keine internetfähigen Dildos in ihre Öffnungen gesteckt, sie haben ein 1.0-Leben geführt mit dieser 1.0-Leben Romantik, mit Kneipe, Freunden, Frauen hinterherstarren, sich verlieben und von Eigenheimen träumen. Und darum lieber Abschaum der Gesellschaft, seid ihr jetzt hier und starrt in die Nacht und wisst nicht weiter.“

Interessant ist Sibylle Bergs Konzept des Omega (Omega wegen OhMyGod – klingt so ähnlich) Tags im Jahre 2050, von dem wir in ihrer Zeittafel nur noch wenige Jahre entfernt sind. Der Niedergang geht in ein Viertel Schritten immer näher dem Abgrund zu. Dystopie ist jetzt, unseren Untergang haben wir schon besiegelt. Wird eine neue Zivilisation das Licht erblicken? Ein bitterböses Buch, das dich als Leser wirklich fordert, es nicht frustriert in die Ecke zu werfen. Ein Buch an dem aber ehrlich gesagt niemand vorbei gehen sollte.

GRM-Brainfuck von Sibylle Berg ist 2019 im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen. Weitere Informationen über einen Klick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

 

 

6 Gedanken zu “Hoffnungslose Dystopie

  1. Pingback: Apokalyptische Vision einer nahen Zukunft | Feiner reiner Buchstoff

  2. Weil das Fünkchen Hoffnung wirklich fett kitschig rübergebracht wird am HappyEnding, das Fünkchen Hoffnung an sich ist ja bereits vorher schön beschrieben. Lies ihn, oder hast du schon?
    Wenn ja würde ich mich wundern.

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  3. Ich habe viel und gerne Sybille Berg gelesen, aber GRM war mir too much. Weil sie mit allem Recht hat, weil sie kein Apfelbäumchen pflanzt, sondern brutal raushaut was Fakt ist, geschliffen und großartig unbenommen nur lenkt das den Blick derat straight auf die Probleme, dass für mich kein Fünkchen Hoffnung rausblitzt, nur Elend, Leid und Depression, das wollte ich mir nicht antun, deswegen abgebrochen. ZUviel Realität für mein sonst weniger zimperliches Seelchen. Love & Peace

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