Einwanderer traditionsreicher Kulturen haben es schwer, besonders in Amerika. In Amerika ist alles möglich, sagt man, dabei ist dies doch das spießigste Land der Welt. Andererseits kann es nicht mit einer jahrtausendalten Kultur aufwarten wie z.B. China. Und in China ist der Aberglaube weit verbreitet. Getragene Kleidung an einer Beerdigung muss verbrannt werden, sonst bringt sie dem Träger Unglück. Dieser Aberglauben wird in das gelobte Land mit übernommen und Traditionen der Heimat werden weiter gelebt.
Schon der erste Satz: „Es fing alles mit meinem fehlenden Jungfernhäutchen an.“ weckt des Lesers Interesse. Fiona Yu, eine intelligente Juristin, die mit beiden Beinen im Leben steht, hat das Problem, in ihrem Elternhaus zu wohnen und ihre sehr traditionellen Eltern förmlich an der Backe kleben zu haben. Selbst noch Jungfrau, zeigt sie kein gesondertes Interesse am männlichen Geschlecht. In der Eingangsszene versucht sie sich mit einem Dildo die Jungfräulichkeit zu nehmen, stellt aber mit Entsetzen fest, dass sie kein Jungfernhäutchen mehr hat.
Bei der Konsultation mit einem Schönheitschirurgen, der sich auf die Wiederherstellung von Jungfernhäutchen spezialisiert hat, trifft sie auf einen alten Schulfreund. Er hilft ihr zwar nicht das Jungfernhäutchen wieder herzustellen, hat aber sehr kreative Tipps gegen die unliebsamen Verabredungen mit den chinesischen Männern, die ihre Eltern für sie verabreden.
Knallig bunt kommt dieses rasante Buch daher. Die Kitschfigur Kitty als Totenkopf und das pinke Outfit des Titels zeigt dem Leser, wohin diese durchgeknallte Geschichte hin läuft. Fiona Yu ist zwar eine in den Traditionen Chinas aufgewachsene Frau, hat aber auch eine typisch amerikanische Art Frau zu sein und auf Mode und Schmuck zu achten. Dies äußert sich vermehrt in den Darstellungen der Personen, die sie sieht. Als allererstes wird genauestens Farbe, Modell und Firma der Kleidung beschrieben, als würde dies tiefergehende Rückschlüsse auf den Charakter der tragenden Person zulassen.
Die Tradition und Sprache wird zuweilen spaßig von ihr umschrieben. Ihr andauerndes ‚Hai Papa‘, bei väterlichem Rat umschreibt sie etwas bitter:
„Das kantonesische Wort für ‚ja‘ ist ‚hai‘, wenn man die Tonhöhe senkt. Das kantonesische Wort für ‚Fotze‘ ist ‚hai‘, wenn man die Tonhöhe hebt. Wer da behauptet, Mandarin wäre eine bessere Sprache als Kantonesisch, sollte einen Sinn für die subtilen Feinheiten von Tonhöhe, Flexion und Intonation entwickeln, die ‚ja‘ wie ‚Fotze‘ klingen lassen können.“
Überhaupt Männer. Mit denen hat sie die eine oder andere Erfahrung gemacht. Den richtigen oder wenigstens einen ihren Ansprüchen gerechten, hat sie in der Zeit nie gefunden.
„Eddie war in der vierten Klasse in mich verknallt. Im Gegensatz zu anderen Jungen, die den Objekten ihrer Zuneigung Schmuck aus dem Kaugummiautomaten schenkten, schenkte er mir ein paar Ohren. Zwei kleine rosafarbene Fleischtellerchen, die zuvor Sammie, dem Hamster aus dem Sachkundekurs, gehört hatten. Ich konnte sie nicht tragen. Sie hatten keine Ohrstecker. Sie führten lediglich dazu, dass mein Schreibtisch stank.“
Und Fiona Yu ist eben nicht die nette, unterwürfige und gehorsame Frau, die sich chinesische Männer wünschen, ganz im Gegenteil. Der Schulfreund, den sie bei dem Wunsch ihre Unschuld chirurgisch wieder hergestellt zu bekommen, näher kennenlernt, entpuppt sich als eine Art ‚Dexter‘, der die Erde vom menschlichen Schund befreien möchte. Ein in der Tat lobenswertes, aber doch zum Scheitern verurteiltes Ziel.
So changiert dieses Buch zwischen der Kritik am American Way of Life, ein wenig Kriminalistik – ohne dort in die Tiefe zu gehen – aber hauptsächlich von den Sprüchen der Fiona Yu. Das ist sehr trashig und auch wirklich lustig, für mich auf die Dauer etwas ermüdend, auch wenn solche schönen sinnigen Sprüche im Buch vorkommen:
„Es gibt eine menschliche Fähigkeit, die sich meinem Verständnis bis heute entzieht: wie es ihnen gelingt, ihrem Schmerz eine gewisse Schönheit abzuringen oder ihn sogar so lange zu unterdrücken, bis er in Freude umschlägt. Das ist widernatürlich. Aber ich habe es immer wieder erlebt.“
Ein netter Happen für den Strandurlaub, besonders durch die Farbe und das Cover des Buches immer wieder gerne in die Hand genommen.
„Hello Kitty muss sterben“ von Angela S. Choi ist 2012 bei btb erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
Oh nein … krass.
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Ne im verdammten Abwasserkanal.
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What, nee … Schlüssel … auweia … das ist alles nur im Paralleluniversum unterwegs.
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Ich hatte zwei Exe in der Biblio und war mit Tablet unterwegs. Da verschwindet durchaus was. So wie mein geliebter Schlüssel seit heute.
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Was? Aber die verschwindet doch nicht so einfach … hmm, merkwürdig.
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Es gab eine, hatte sie auch gesucht und gefunden, wollte dann nochmals lesen und dann war sie weg.
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naja, jeder liest ein anderes Buch stimmt schon in gewisser Weise. Aber ein Text kann nicht komplett umgedeutet werden, etwas, was vorhanden ist im Text, sollte schon auch – gerade so, wie du es hier eben beschreibst – Niederschlag finden. Deswegen fände ich ja einen Vergleich recht interessant.
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Wie thursdaynext schrieb, jeder Leser liest ein anderes Buch. Mir war die Art der Marken-merchandising-Beschreibung zu affektiert und die feministische Darstellung zwar vorhanden aber eher auf die chinesische (autobiografische) Tradition gemünzt. Brutale satire durch die drastische Darstellung, ja, aber zu wenig heraus gearbeitet. Satire arbeitet natürlich durch Übertreibung, aber es war mir teilweise zu platt um wirklich auf den Punkt zu treffen
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@biroxi @bluesforuse und ich haben uns mal vor 3 Jahren, als ich begann, für unseren Blog zu schreiben, intensiv über dieses Buch unterhalten 🙂 hab aber keine Rezi von Ihr in der Bibliothek gefunden
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Auch ich sehe den ganzen Roman als sehr feministische brutale Satire. Vor allem Frauen, die ein Abgrenzungsproblem haben, nicht nur weil sie nicht können, sondern, weil es die Macho-Umgebung nicht zulässt, werden oft zu psychopatischen Mörderinnen. Das ist übrigens lt. FBI Serientäter-Profiler Thomas Müller der häufigste Fall und der Grund, weshalb Frauen überhaupt in der Realität zu Serientäterinnen mutieren. Siehe in meiner Umgebung an der Elfriede Blauensteiner oder in der fiktiven feministischen Literatur an Magdalena Sünderin von Lilian Faschinger
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Na aber da ist es ja wohl … wenn Du das so siehst, dass es in Schichten von Kleidung etc. verpackt ist, ist es da. Und Du hast es so einfach nicht erfasst. Mag dran liegen, dass du da nicht das Augenmerk – aus Gründen – darauf gelegt hast. Mich würde eine Rezi dazu von Thursdaynext interessieren … na, wie wärs? Oder gibts die schon?
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ja, aber es muss ja im Text drin stecken, sonst kannst du es nicht so empfinden.
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Vielleicht empfand ja nur ich es so. Du weißt ja, jeder Leser liest ein anderes Buch.
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Kommt im Buch aber auch nicht so raus, sondern wird unter Schichten von Kleidung und Trashkommentaren vergraben
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Das kommt hier nicht wirklich raus …
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Es ist ein feministisches Buch. Unter anderem.
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