Wie man eine Demokratie schnell zerstören kann

Dem ORF Korrespondenten Paul Lendvai ist mit diesem Buch eine brillante, gut recherchierte Analyse der ungarischen Politik seit 1989 gelungen. Insofern ist das Werk für alle Ungarnfreunde sehr wichtig, aber auch für all jene, die sich für Politik interessieren, denn es kann auch als politisches Lehrstück verstanden werden, wie ein machtgeiler rechtspopulistischer Politiker innerhalb von 7 Jahren eine zwar relativ neue, aber trotzdem gut funktionierende Demokratie nachhaltig zerstören kann.

In Deutschland ist es ja noch nicht ganz so weit, denn die Regierung ist – trotz aller Vorbehalte, die man gegen ihre Politik haben mag – stark und agiert wenigstens proaktiv und löst Probleme, anstatt sich seit Jahrzehnten ständig gegenseitig zu blockieren. In Österreich fahren aber die mittlerweile sehr erfolgreichen rechten Populisten im geheimen Schlepptau mit dem identitären Mob durch Angstmache das analoge Programm zu Ungarn und werden genauso wie beim südlichen Nachbarn von einer Jahrzehnte quasi gelähmten und inaktiven Regierung nicht daran gehindert. Orban ist ja auch das erklärte Vorbild von H.C. Strache und Norbert Hofer. Irgendwie erinnert mich die reale Situation in Ungarn an die fiktive politische Satire „Endlich Strache“ aus dem Jahr 2010, in der dieser rechtspopulistische Hetzer nicht hauptsächlich durch seine eigenen Qualitäten an die Macht kommt, sondern durch die Inkompetenz aller anderen Parteien in den Sattel gehoben wird. Leider ist diese Situation in Ungarn tatsächlich fast genauso quasi drehbuchmäßig passiert. Insofern sollte diese Analyse eben von allen irgendwie an Demokratie Interessierten gelesen werden, denn sie gibt natürlich sehr gute Hinweise, wie solche Situationen entstehen und wie sie auch vermieden werden können.

Lendvai, der sich als 1956 aus Ungarn Geflüchteter als neutraler österreichischer Chronist seines emotional abgelegten Heimatlandes sieht, also 100% Österreicher, der nur zufällig ungarisch spricht und Ungarn kennt, verfolgt in seinem Sachbuch mit allen Hintergründen und Beziehungen sowohl das Leben von Orban als auch die Wandlung der vormals linken Fidez Partei zu einer autokratischen Einmannshow des Viktor Orban inklusive Speichel leckenden Günstlingen, die in unglaublicher Machtfülle irgendwo rechts von Attila dem Hunnenkönig agiert. Wirklich selten eine so gut geschriebene strukturierte Analyse gesehen, wie nach einer parlamentarischen 2/3 Mehrheit durch die Aushöhlung und Änderung der Verfassungsgesetze im Wochentakt, zuerst das Wahlsystem, die Medien, die Wirtschaft, das Geldwesen und die Nationalbank, die Bildung  … einfach alles an sich gerissen und auch langfristig nachhaltig (also auf Jahrzehnte) durch geschickte strategische Planung im Einflussbereich des Günstlingssystems von Viktor Orban bleiben wird. Dies konnte nur dadurch geschehen, dass die Opposition wie paralysiert und in gegenseitige Grabenkämpfe verwickelt einfach nichts dagegen getan hat, und die Bürger der Linken und vernünftigen politische Mitte Ungarns, anstatt ein lautstarkes zivilgesellschaftliches politisches Gegengewicht zu bilden, quasi geflüchtet also schlicht und ergreifend irgendwo anders in die EU ausgewandert sind – hauptsächlich nach Österreich, Deutschland und Großbritannien. Mich schaudert, dass Orban sein System auch exportieren und der EU aufstülpen will.

Orban lavierte in seiner Karriere von links nach rechts völlig egal – Hauptsache Sieg und Macht. Lendvai spart hier auch nicht mit einer sehr guten psychologischen Analyse der Person Viktor Orbans. Wie nannte man diese Leutchen bei Euch mal in Deutschland? Wendehals? Na in diesem Fall wendet sich der Hals nicht nur, sondern er dreht sich um 360 Grad, da wir ja nun mittlerweile wieder postkommunistisch in der Zeit vor 1989 durch Ungarns Anbiederung an Putins Russland angekommen sind. Während der gesamten Lektüre kam mir ein Satz immer wieder in den Sinn „Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut“, was auch die Conclusio des Buches auf der letzten Seite ist.

Fazit: Absolut lesenswert, eines der besten politischen Bücher, das ich seit langem gelesen habe.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 1. Oktober 2016
  • Verlag : Kremayr & Scheriau
  • ISBN: 978-3-218-01038-2
  • Gebunden: 240 Seiten

11 Gedanken zu “Wie man eine Demokratie schnell zerstören kann

  1. Es ist so krass – die Sozialdemokraten verspielen hier so eine Chance, weil sie sich immer mehr den Christlisch – sozialen etc. angleichen. Kein Profil, keine Visionen. Wenn man mal ein wenig „inside“ einer Partei war, im Alltagsgeschäft, dann kommt einem das Gruseln … da geht es nicht um gesellschafltiche Veränderungen, sondern nur um „Verkaufsstrategien“ der eigenen Person und damit um Macht und Geld … ein super Nährboden für jedwede Lobbyarbeit …
    Ein guter Film zur von dir angesprochenen ökonomischen Krise ist The Big Short. Wirklich sehr empfehlenswert.

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  2. ich stimme Dir zu, dass die Politik den Kontakt zu den Wählern verloren hat. Eine Theorie ist, dass die ökonomische Krise von 2008 uns von den politischen Eliten nie erklärt wurde (obwohl diese noch anhält und Auswirkungen bis heute zu spüren sind). Weiters gibt es die gesellschaftliche Krise und die Massen der Überforderten im Rahmen der der Geschwindigkeit und Komplexität der Globaliserung im globalen Informationszeitalter. Nebenebei droht auch die ökologische Krise. In diese Lücke stossen die Rechten mit einfach gestrickten falschen Patentrezepten: Fremdenfeindlichkeit, Sündenböcke und Abschottung. Sie holen die Leute in Ihrer unbestimmten Zukunftsangst ab, und transformieren diese in Panik, Weltuntergangsstimmung und Wut. Siehe Orban, Brexit, Trump, Strache/Hofer in Ö. Die Leute verspechen sich von diesen Populisten eine leichte Systemänderung, aber merken nicht, dass das Ziel die Zerstörung des Rechtsstaates und der Bürgerkrieg ist. Strache faselt schon seit einem halben Jahr von Bürgerkrieg, Trump beschwört den Weltuntergang herauf.

    Da es ja in diesen Krisen der letzten 10 Jahre vorrangig um die Arbeitnehmer geht, müsste eigentlich die Sozialdemokratie diese ideologische Lücke auffüllen, aber die kapieren es nicht. Hab den Link schon weiter Unten bei Thursday gepostet in dem Fall das 3. Video ganz unten ansehen – ich finde die Analyse sehr spannend http://derstandard.at/2000046574870/Walter-Oetsch-ueberKampfrhetorik-undRechtspopulismus-und

    dazu passt auch der Zeit Artikellink im Antwortkommentar von mir an Thursday zur amerikanischen Situation.

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  3. Deutliche Worte, die man dieser Tage einfach nicht oft genug wiederholen kann. Es ist gut zu wissen, dass unsere bundesdeutsche Demokratie nach außen hin noch positiv zu wirken scheint, auch wenn sie natürlich nur mit etwas Abstand noch wirklich glänzt. Ganz so arg, wie vom Rand her lautstark proklamiert, scheint es ja doch nicht zu sein. @Thursdaynexts Mahnung, dass die Politik den Kontakt zu den Wählern zu verlieren droht, halte ich für sehr berechtigt. Aber zumindest wollen die Konzerne keine Ab- und Ausgrenzung.

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  4. @awogfli – zu Günther Oettinger – der ist leider kein Sonderfall … solche gibt es viele bei uns bzw. jetzt im EU Parlament … es kann einem Angst und Bange werden. Aber es gehen wohl echt nur Menschen in die Politik, die wenig bis nichts davon wirklich verstehen, aber über einen gewaltigen Hang zu Macht haben.Die Leute, die es wirklich könnten, mit denen es Sinn machen würde, die tun es nicht, was ich komplett verstehen kann.

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  5. 😂 Jaja Euer Öttinger ist schon ein Sonderfall – hier sieht man, wie erfolgreich das Peter-Prinzip werden kann, wenn jemand von Anfang an nie irgendetwas konnte – da habe ich auch ein gaaanz süßes Video https://www.youtube.com/watch?v=OYhBUy3_Fzo

    Apropos seine Entschuldigung bei den Chinesen war reinstes Kabarret – klang fast nach Chinesisch sein Englisch 😜

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  6. Ich lese wohl viel zu viel. Alles war besser als die freiwillige News Sperre meinerseits kurzfristig bestand. 😉 Dass die Populisten ohne Umwege Richtung Untergang steuern ist mir klar. Nationalstaatentum und Abgrenzung vermischt mit Fremdenfeindlichkeit, Rassissmus und allgemeiner Intoleranz ist die Lösung nicht, auch das ist sonnenklar. Eben das ist das Problem vieler Kleingeister. BTW schon Öttinger gehört?
    Das schlichte Gemüt verlangt nach schlichten Lösungsansätzen und immerwährendem Konsum, ohne Moral. Aber genug an davon diesem wundervollen Sonntag (graubewölkt, Nieselregen 7°C ) Wünsche dir Sonne im Herzen und gute Lesezeit 🙂

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  7. Lass Dampf ab Thursday 👍 Es stimmt schon, dass einiges im Argen liegt, aber die Problemlösungsstrategien der Unzufriedenen führen gleich direkt in den Untergang. Wir in Österreich müssen uns ja ein bisschen mehr damit beschäftigen, da der Hut brennt. Hier eine sehr gute Analyse in 3 Videos wie rechte Populisten derzeit kommunizieren und jegliche Sachdiskussion mit Kampfrhetorik zertrümmern: http://derstandard.at/2000046574870/Walter-Oetsch-ueberKampfrhetorik-undRechtspopulismus-und

    Den Zeit Artikel über Trump hast Du wahrscheinlich schon gelesen
    http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/donald-trump-puzzle-phaenomen-us-wahl-populismus/komplettansicht

    und nicht ärgern an diesem wundervollen Sonntag 😜😎

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  8. Als Deutsche stimme ich mit deinen Beobachtungen leider nicht gänzlich überein. Unsere Regierung löst zwar Probleme, allerdings nur jene der starken Lobbygruppen von welchen sie großzügig gesponsored wird. Diese Eingriffe der Wirtschaft in den Staat sind immer offensichtlicher, werden kaum noch verschleiert, ein Skandälchen hie und da (VW) und dann wieder business as usual. Tatsächlich sehe ich die Bundesrepublik ebenfalls auf dem erschreckenden Weg, durch Inkompetenz für das Gros der Wähler (jener paar die noch wählen gehen) völlig unattraktiv zu werden. Ein Blick in die Staaten wo demnächst die Wahl zwischen Sodom & Gomorrha ansteht zeigt, dass sich das Problem global verbreitet. Die politische Kaste verkommt immer mehr(es gibt löbliche Ausnahmen) zum reinen Wasserträger der Konzerne (siehe TTIP , CETA) das Wohl der Gesamtheit der Bevölkerung, gar des Planeten wird zugunsten kurzfristiger finanzieller Interessen einiger weniger Individueen nicht berücksichtigt. Profit und Wachstum sind die goldenen Kälber, obwohl wir alle wissen, dass die Ressourcen begrenzt sind und die Verteilungskämpfe bereits begonnen haben. Orban, Erdogan, Trump, die Liste der Populisten die das Unbehagen der Massen symbolisieren lässt sich beliebig fortsetzen, wenn man sich weltweit umschaut.
    Danke dir für die Möglichkeit den Frust am Sonntag abzuladen. Jetzt kann frau sich wieder beschwingt dem Rückzug ins Private widmen 😉

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