Maja ist tot. Jedenfalls kam da so eine Karte. Aber das kann nicht sein, da Maja immer vorher Bescheid gegeben hat wenn sie etwas tut.
Wie war das eigentlich noch als man jung war? Oder wie ist das eigentlich heute, wenn man jung ist? Da muss man doch cool und anders sein. Sich hervorheben, etwas Neues tun, hip sein. Und das wird immer schwieriger.
„Heute schleppte sich dahin und wollte einfach nicht morgen werden. Wir lagen zu viert auf der Couchlandschaft und sahen auf den Fernseher und stritten über Zeug, das uns beschäftigte, weil uns sonst wenig beschäftigte. Es ging vage um Politik, Popkultur, Geschlechterrollen und Literatur.“
Die vier, um die es in diesem Buch geht, sind Jonas, Karl, Leonie und Nora, die Ich-Erzählerin. Ach ja, Leonie hat ein Kind, Emma-Lou, das nicht spricht. Alle vier sind jung, haben eine gute Arbeitsstelle oder sind selbstständig und leben in einer Viererbeziehung zusammen. Alle haben miteinander Sex, wobei dies nur zart angedeutet wird und nicht wichtig ist. Alle vier langweilen sich.
„Später blätterte er auf meinem Bett in einem Erziehungsratgeber. Ich sah ihm einige Zeit dabei zu, dann sortierte ich meine Bücher nach Farben. Ihm machte es Sorgen, dass Emma-Lou so wenig spricht. Mir macht es Sorgen, dass er in meinem Bett ein fremdes Kind interessanter findet als mich.“
Um ihre Beziehungen aufzufrischen, fahren sie in ein Haus am Strand um dort zusammen – ja was? Den Sinn des Lebens herausfinden, zu philosophieren? Den Dingen Sinn aufzuladen?
„Ich vertrieb mir die Zeit damit, Dinge mit Symbolik und Metaphorik zu beladen. Schweigen? Metapher. Intakte Matratzen? Metapher. Gemeinsames Lied? Wie trinkt der andere seinen Kaffee? Metapher, Metapher, Metapher. Lauter Dinge, die krampfhaft versuchen, mehr zu sein, als sie nun einmal sind, nämlich gottverdammter Kaffee oder eine gottverdammte Matratze. Dinge, die sich irgendwann dafür rächen würden, dass wir sie mit Metaphorik beladen.“
Maja wusste früher immer, was zu tun war. Maja hatte auf alles eine Antwort, aber Maja meldet sich nicht. Und Maja wird so dringend wie noch nie gebraucht von Nora.
„Die nette Frau sah sehr besorgt aus, erklärte uns, dass das Klima sich bald ändern werde und dass wir schuld an allem wären und über kurz und lang auf diesem verwüsteten Planeten sterben würden. Eher über kurz. Ich kuschelte mich an Maja, und sie sagte: ‚Wir müssen halt in Zukunft die Bierdosen in den Glascontainer werfen und nicht auf die Straße, dann kriegen wir das mit dem Klimawandel schon in den Griff.‘ Ich nickte.“
Vielleicht funktioniert eine Party. Eine Party mit allen Personen die man kennt, das erfrischt das Leben, es kommt Bewegung in die bleierne Zeit. Aber auch eine Party ist mit Stereotypen besetzt, nicht mit Personen oder mit Leben. Da werden Menschen in interessante neue Schubladen gesteckt.
„Die Frau sah aus wie jemand, der gern brunchen geht und seinen Laptop ‚Schlepptop‘ nennt. Ihr Freund stand daneben und sah aus wie jemand, der Wortspiele wie ‚Schlepptop‘ lustig findet.“
Doch insgesamt verfliegt die Langeweile nicht und wer hat eigentlich Schuld? Insgesamt ist man doch so beladen mit Zeit und Ereignissen, dass man gar nicht anders reagieren kann.
“ … und Jonas erklärte, dass alles okay sei, wir seien die Generation, die aufarbeitet, Epigenetik heiße das, wir seien die wohlbehütetste und depressivste von allen Generationen, wir verarbeiteten die Kriege unserer Großeltern, wir verarbeiteten abgeschossene Beine, verlorene Söhne, wir verarbeiteten Schützengräben. Wir müssten keinen Grund für unsere Traurigkeit haben, sie sei uns bleiern in die DNA gegossen, sagte Jonas.“
Nora hat da aber eine andere Sicht der Dinge:
„Natürlich war es nicht die Epigenetik. Natürlich ist es unsere neurotische Hyperreflexion, das ständige Hinterfragen der eigenen Rolle, die manische Beschäftigung mit uns selbst, die Zeit, die sich öde und unendlich vor uns ausbreitet und die vage Langeweile unserer sandigen Leben.“
Hier brennt nichts mehr, Asche brennt nun mal nicht. Nora verliert sich in Gedanken, in Metaphern, kommt zu keinem Ziel, was ist nur mit dieser Generation los, wovon träumt sie, ist dies ein intellektueller Poproman?
„Und am Ende stirbt einer. Klar. Wir sind doch kein verdammter Poproman.“
Ich kenne den Blog von Ronja von Rönne nicht. Ich bin auch kein hochgestochener Literaturkritiker. Ich beurteile dieses Buch nicht nach ihrem Blog, oder Dingen die sie gesagt oder getan hat, wie ich es oft in Kommentaren zu dem Buch gelesen habe. Das Buch sollte unabhängig davon betrachtet werden! Ich lese Bücher, um unterhalten zu werden und mir einen Eindruck von der Gesellschaft zu machen in der diese AutorInnen leben und Bücher schreiben. Ich finde Ronja von Rönne ist ein beeindruckendes Buch gelungen das mit der Sprache spielt, Worten andere Bedeutungen gibt, die Zuordnungen der bekannten Begriffe durchwirbelt, unterhält und mich witzig von einer Sackgasse in die andere getrieben hat. Wobei so mancher Witz einem im Halse stecken bleibt. Klar, so manches klingt etwas glatt und gewollt, aber in dem Buch kommen diese Kommentare so angenehm in der Situation passend rüber, dass sie nicht einzeln betrachtet werden sollen.
Wir kommen ist ein kluger Blick auf die neue Generation, die da kommt, gelungen. Und, das Buch nimmt sich selber nicht ganz ernst. Das hat mir am meisten gefallen. Ein Höhepunkt dieses Jahres und ein ganz großes Debüt von einer jungen Autorin, die ihren Weg sicher noch findet und mit einem großen Talent ausgestattet ist. Und am Ende führen alle Wege zur Kindheit, zu Maja.
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe : 04. März 2016
- Verlag : Aufbau
- ISBN: 978-3-351-03632-4
- Gebunden: 208 Seiten