Als langjähriger, hochgradig abhängiger Lesejunkie ist man ja immer irgendwie auf der Suche nach dem nächsten Kick und glücklich neuen Stoff zu entdecken. Wenn dieser die anfänglich erwartete Euphorie dann auch noch durchgehend hochhält, oder sogar toppt, bestens! Ich grase ja seit vielen Jahren bevorzugt querfeldein durch das geschriebene und gedruckte Wort, Von feuilletonfähiger Literatur über Science Fiction (eine große Liebe) Fantasy Trash, Thrillern, Biographien und Sachbüchern bis hin zu lockenden Titel und Cover ist alles dabei. Sicherlich etlichen sich auf Buchplattformen rumtreibenden Vielleser Buchjunkies nicht unähnlich. Bevorzugtes Beutschema: humorvoll, gerne auch mal schwärzer, skurril, sprachlich erfreulich und stilistisch nicht einschläfernd.
Vom New Yorker Autor Donald Antrim, den ich hier auf WordPress bei booksterhro in einer sehr verlockenden Rezension entdeckt habe versprach ich mir beste Unterhaltung und …Strike! Aus Sparsamkeitsgründen habe ich mir die alte Ausgabe von „Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt“ besorgt – die „Beschießung des botanischen Gartens“ 1999 auf deutsch bei Edition Epoca Zürich erschienen – und war bereits ab der ersten Seite hingerissen.
Er bringt aber auch beste Referenzen mit: Jonathan Franzen, Thomas Pynchon, Richard Powers und Jeffrey Eugenides – der in der aktuellen Ausgabe wohl auch das Vorwort, welches man laut booksterhro besser als Nachwort goutieren sollte schrieb – loben ihn begeistert.
Antrim wirft einen in seinem Debut – der „Beschießung des botanischen Gartens“- in eine Welt die einem vage bekannt vorkommt und doch hochgradig irritierend ist. Sein Protagonist und Ich Erzähler ist ein ausgemachter Unsympath, selbstverliebt, und am Rande des Wahnsinns – meint man, bis man erkennt: diese schmale Grenze hat er schon längst weit überschritten und er ist nicht alleine damit – Anteile der Welt die er schildert kennt man, doch ist sie in den wichtigen Details völlig aus den Fugen. Der Firnis der Kultur blättert bedenklich.
Ist es ein ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Ist es Satire? Vor allem ist es das (klein)bürgerliche Milieu das Antrim hier kongenial beschreibt, und weiterentwickelt. Die kleinbürgerlichen Haus- und Grundbesitzer, Familienväter und Mütter, und ihre Lebenswelt; Paarbeziehungen, Ausschussvorsitzende, die anstehende Bürgermeisterwahl, Schulbildung, alles was einem elbst im Alltag begegnet, die kleinen Eifersüchteleien und unterschwellig ausgetragenen Querelen, die nachbarlichen Gräben, findet sich in Antrims fiktiven kleinen Ort am Meer. Die Form bleibt gewahrt, verschiebt sich aber ins surreale, überspitzte, zeichnet damit ein leicht verfremdetes Spiegelbild der Schwachpunkte dieser Gesellschaft.
„Die Gruben fanden damals allgemein Anklang. Sie waren der letzte Schrei. Alle mussten sich eine zulegen. Abraham de Leon schaufelte sich unter seinem Schlafzimmerfenster ein tiefes Loch, in das er Krockettore verkehrt herum einbettete, so dass die spitzigen Enden nach oben zeigten. … Interessant auch jener der Isaacs, drüben an der lLovejoy Street. Ihre Grube hatte Betty Isaac entworfen, eine der Konzeptkunst verpflichtete Landschaftsarchitektin aus dem Ort, die sich sehr mit der erniedrigung des Sexus in unserer Kultur beschäftigte. Die Grube verlief nicht gradlinieg, sondern zog sich in Schlangenlienien von der Vorderseite zu den Hofflächen beiderseits des Hauses und war knüppelvoll mit anatomisch halbkorrekten Barbie- und Kenpuppen, mit durch den Reißwolf gedrehten und zu Brei zermanschten Männermagazinen, mit mehreren Schachteln billigsten Valentintagsramsches und mit etwa zwei Tonnen toter Makrelen. Insgesamt ein provozierendes Werk, funktional und zugleich anspruchsvoll.
Am allerbesten war Jerry Hendersons Wallgraben voller Mokkassinschlangen. Der Graben ließ sich auf einer schmalen und aus Redwood- Decksplanken zusammengezimmerten Zugbrücke überqueren. Der Mechanismus funktionierte über den Dimmerkontakt im Eßzimmer, der durch ein Verlängerungskabel mit einem reaktivierten und in einer Hecke versteckten Garagentoröffner verbunden war. Einfach, unheimlich, wirkungsvoll.“
Der Humor ist tiefschwarz böse, zynisch, haarsträubend und doch leise, hintersinnig- und hältig. Kommt er doch so untergründig daher, dass man sich erst kringelt um gleich darauf schockiert zurückzuschrecken. Die Beschießung des botanischen Gartens ist der Auftakt einer Trilogie über das Kleinbürgertum und unbedingt einen Besuch wert. kein Komfortzonenlesen, das sicher nicht, aber so überragend gut, dass ich mir bereits ein zweites Buch von dieser literarischen Neuentdeckung besorgt habe und mich wohl auch an Antrims hochgelobte Kurzgeschichten, trotz ausgeprägter Short Story Aversion wagen werde. Antrims Blickwinkel ist so schräg und dabei realitätsnah, seine Ideen so phantastisch skurril, das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe : Oktober 2015
- Verlag : Rowohlt Taschenbuch
- ISBN: 9783499270789
- Flexibler Einband 208 Seiten
Da muss ich gleich schauen. Habe Seltsames darüber gelesen, und war unschlüssig, denn mit seinem Buch „Ein Ego kommt selten allein“ bin ich immer noch nicht so recht warmgeworden. Stilistisch sehr gut, aber ich bringe einfach nicht genug Interesse für diesen völlig verqueren Charakter auf um weiterzulesen.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Die Stories sind gelesen – und haben mir sehr gut gefallen! Inzwischen habe ich das nächste Buch von Antrim abgeschlossen. „Die Hundert Brüder“ – eine Lektüre, wie ich sie noch nicht hatte. Großartig!
https://leseseiten.wordpress.com/2016/06/07/donald-antrim-die-hundert-brueder/
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Das ist geschickt😊, dann kann ich hoffentlich bei dir nachlesen, ob ich sie lesen möchte. „Ein Ego kommt selten allein“ lauert schon im SuB .
Gefällt mirGefällt 1 Person
So habe ich mir das Buch vorgestellt! Der Autor steht auch auf meiner „Entdeckerliste“; ich will allerdings mit den Kurzgeschichten anfangen, die waren beim Anlesen vielversprechend.
Gefällt mirGefällt 1 Person