„Wir waren wie ihr, möchte ich heute glücklichen Liebespaaren zurufen. Und sie würden sich küssen, wie wir damals, und denken: Diese Alten diese negativen Alten, und sich ewig fühlen wie wir damals.“Chloe und Rasmus, seit zwanzig Jahren verheiratet.
Sie lieben sich. Rasmus, Regisseur, einst erfolgreicher „Junger Wilder“, mittlerweile in Vergessenheit geratener Intellektueller, erfolgloser Künstler. Chloe, die ihn einst verehrte, mittlerweile bemuttert. Am Leben hält.
„Wir haben den Grad an Symbiose erreicht, wo man sich verloren fühlt, wenn der andere nicht da ist.“
Rasmus versucht, wieder Fuß zu fassen, in einem Drittweltland ein künstlerisches Theaterprojekt aufzuziehen. Irritierenderweise sind seine freiwilligen Laienschauspieler wenig bei der Sache. Die Texte deutscher Heroen, wie Goethes Worte, sitzen nicht, das Projekt kommt nicht voran. Die Bevölkerung hätte lieber westliche Konsumartikel als künstlerische Selbstverwirklichung. Der Dramaturg muss sein unlustiges Ensemble mit Freibier ködern…
„Die Welt ist ein Sardellensalat;
er schmeckt uns früh, er schmeckt uns spat.
Zitronenscheiben ringsumher,dann Fischlein, Würstlein,
und was noch mehr in Essig und Öl zusammengerinnt
Kapern, so künftige Blumen sind-
man schluckt sie zusammen wie ein Gesind.“
Das Begehren kam beiden mit dem Thrill abhanden, war von Chloes Seite von Beginn an eher geistiger Natur. Die Jahre haben Spuren in der Beziehung hinterlassen. Chloes Beuteschema sind junge Männer, Rasmus‘ Körperlichkeit erträgt sie. Gutmütig, doch unwillig. Begeisterung beim Sex fehlt beiden. Die geistige Anziehung und das Paargefühl hält die beiden zusammen. Ist das Liebe?
Die kurzen Kapitel samt Überschriften haben es in sich. Überhaupt fasst sich die Autorin in ihrer Prosa erfrischend kurz, aber knackig. Sie seziert diese Beziehung derart authentisch und schonungslos, dass es eine wahre Freude, wenn auch zuweilen extrem deprimierend ist. Da sitzt jeder Satz und trifft exakt ins Schwarze. Schwarz sehen auch die Protagonisten, wenn sie an das nahende Alter denken. Mitvierziger, die mit Grauen dem Verfall entgegensehen, ohne Ablenkung, oder Hoffnungsschimmer durch Kinder, denen sie beim Aufwachsen und Leben zuschauen können. Völlig aufeinander fixiert ist dieses Paar. Im ewiggleichen Trott gefangen, dabei meist nicht unzufrieden. Sie genügen sich. Ihre beiderseitige Ablehnung des Mittelklassespießerdaseins um sie herum ist ihnen Hobby und Verbindung genug. Dazu noch ihr beiderseitiges Interesse an Rasmus’ Wohlergehen …
Da lernt Chloe Benny kennen.
Eine Amour Fou beginnt.
Rasmus, der das Singledasein verabscheut, den neue Liebschaften nicht locken, sitzt aus. Beobachtend, abwartend, nachsinnend.
„Ich freu mich an Chloes Gesicht. Sie versucht die Informationen zu verarbeiten, um ihren Urlaubsflirt einzuordnen. Verdammt, der Dildo kann ja sprechen, mag sie denken.“
So nennt Sibylle Berg ein Kapitel auch: Rasmus ist dankbar.
„Ich lebe Offenheit. Ich bin der Migrationsbeauftragte in meinem Mittelklasselebensentwurf. Ich bin beschwingt von meiner eigenen Toleranz, und dafür kann ich Benny nicht ausreichend danken.“
Erfrischend, wie die Autorin diese Paarbeziehung bloßlegt. Stilistisch grandios ausgeführt, wie sie jeweils die Protagonisten gedanklich zu Wort kommen lässt. Reduziert, schlicht und gerade deswegen derart genial ausgeleuchtet. Und HALLELUJA, da geht es mit erbarmungslos intelligentem Witz direkt zur Sache.
Großartig, diese Autorin. Allein der Titel ist ein kleines Gesamtkunstwerk mit seiner alles und doch nichts verratenden Aussage. Eine deutsche Schriftstellerin wohlgemerkt, wenn auch emigriert in die Schweiz. Hier dürften sich die vom Feuilleton hochgelobten neuen deutschen Langweilerautoren gerne dicke Scheiben abschneiden. Intellektuelle Selbstbeweihräucherung und lähmend langweilige Nabelschau, die Anspruch und Relevanz verdeutlichen soll, fehlt hier gänzlich. Frau Berg legt offen, zieht blank und sticht elegant mit feiner, fieser, teils vergifteter Klinge. TOUCHÉ!
Jeder, der in einer langjährigen Beziehung lebt, dürfte sich hier teils wiederfinden. Jeder, der die Jugend hinter sich gelassen hat, sich angesprochen fühlen. Das schmerzt, wäre fast unerträglich zynisch, wenn es nicht durch diesen hintersinnigen, sardonischen Humor permanent aufgelockert werden würde.
Für mich ganz klar ein Lesehighlight 2015, Anwärter auf den Dodo Award und der erste aber beileibe nicht letzte Roman dieser faszinierenden Autorin.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 2. Februar 2015
- Verlag: Carl Hanser
- ISBN: 978-3-446-24760-4
- Gebunden: 256 Seiten
