Anne Tyler ist eine der Autorinnen, die mich seit geraumer Zeit, genauer gesagt seit Ende der 1980er begleiten. Jedes Mal, wenn ich in ein neues Buch von ihr einsteige, fremdle ich ganz kurz, weil mindestens eine der Figuren irgendwie ungewöhnlich handelt und ich nicht so recht an sie rankomme. Doch schon nach kurzer Zeit war ich jedes mal wieder eingefangen durch den Anne Tyler Sound: flüssig, aufgeräumt und dennoch nicht konfliktfrei, authentisch alltäglich ohne beliebig zu sein. Und was soll ich sagen auch Drei Tage im Juni hat mich einfangen, warm eingehüllt und sehr zufrieden zurückgelassen.
Einen Tag vor der Hochzeit ihrer Tochter erfährt Gail, von der Direktorin der Schule, in der sie arbeitet, dass große Veränderungen anstehen, die auch ihren Arbeitsplatz betreffen. Entgegen der Annahme, dass sie die Direktorin ersetzen wird, immerhin ist sie deren Stellvertreterin, wenn diese aus dem Schuldienst scheidet, ist sie ihre Stelle plötzlich los. Besser gesagt, ihr wird geraten, zu überlegen, ob sie nicht wieder unterrichten möge, anstelle langweiligen administrativen Kram zu erledigen. Prinzipiell keine schlechte Idee, denn das hat Gail immer Spaß gemacht. Doch als die langjährige Chefin ihr vorwirft, sie besäße keine Sozialkompetenz, ist Gail vollends geladen und verlässt die Schule. Zuhause erwartet sie die nächste Katastrophe: Ihr Exmann Max steht vor ihrer Tür und das auch noch mit einer Katze aus dem Tierheim um bittet darum bei ihr übernachten zu können, da der zukünftige Mann ihrer Tochter eine Katzenhaarallergie habe und die geplante Übernachtung dort, nicht möglich ist.
Tyler hat das ehemalige Ehepaar Gail und Max mit feinen Strichen gezeichnet und doch merkt man recht schnell, diese beiden sind zwar sehr unterschiedlich in ihrer Art, aber prinzipiell könnten sie es gut miteinander haben. Die Frage, weshalb sie kein Paar mehr sind, erhält nach und nach eine Antwort. Was ich als Leserin aufgrund der zunächst als eher kühlen, pragmatisch angelegten Figur der Gail, die fast schon ganz leichte autistische Züge trägt und deren Entwicklung wieder einmal erkannt habe, ist die Vielschichtigkeit jedes Menschen, die man eigentlich nie in voller Gänze fassen kann.
Während sich Gail über alles Sorgen und Gedanken macht, lässt sich Max durch nichts aus der Ruhe bringen und reagiert flexibel auf alles, was so passiert. Beide versuchen jedoch die Zeit, die sie nun ungeplant und gezwungermaßen miteinander verbringen, so reibungslos wie möglich zu gestalten. Und siehe da, es gelingt. Gail fängt sogar an, Max in etwas anderem Licht zu sehen.
Wie häufig in ihren Büchern schafft es Tyler auch dieses Mal wieder vorzüglich, die Komplexität menschlicher Beziehungen zu zeigen, ohne die unterschiedlichen Verhaltensweisen zu werten. Dazu erzählt sie die Geschichte dieses ungleichen Paares, das im Grunde gerade deshalb so gut funktioniert hat und auch wieder funktionieren könnte, in ihrem unaufgeregten, verschmitzten Ton, der mich hin und wieder auch auflachen ließ. Ein Wohlfühlbuch der besonderen Sorte.
Seit dem ersten Roman, den ich von Anne Tyler gelesen habe, sind viele Jahre vergangen und dennoch ist die Lektüre eines neuen Romans von ihr immer wie ein Nachhausekommen. Wohltuend und einfach tröstlich.
Drei Tage im Juni von Anne Tyler ist im November 2024 im Verlag Kein & Aber, von Michaela Grabinger übersetzt, erschienen. Für mehr Infos zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.
