La famiglia

Ilaria Fasinga, von allen seit Urzeiten nur Honey genannt, kehrt nach langer Abwesenheit dorthin zurück, woher sie kommt. Ihren Familiennamen hat sie offiziell in eine amerikanisierte Schreibweise geändert, angeblich wäre dies nur der Einfachheit halber geschehen. Doch tatsächlich war das Austauschen der zwei zz in Fazzinga in ein einfaches s viel mehr. Genauso wie ihr Weggang, ihr Studium der Kunstgeschichte in Bryn Mawr und ihr freies Leben, dass sie sich, als aus einer einflussreichen italienischen Familie stammende Frau hart erkämpft hat. Alles hat nur den einen Grund: Wegzukommen von den Einflüßen von Gewalt, Angst und vor der Familie. Doch mit 82 Jahren hat Honey das Gefühl, mit den sprichwörtlichen Leichen der Familie in ihrem Leben aufräumen zu müssen. Ein Plot, der – aufgrund der Beschreibung des Buches – durchaus interessant hätte sein können. Doch irgendwie ist das alles in eine ganz andere Richtung abgebogen …

Erwartet hatte ich – und das untermauert durch die Anlage der Figur der Honey zu Beginn des über 460 Seiten starken Romans – eine Frau, die ihren Weg unerschütterlich geht. Tatsächlich aber ändert Honey ihre Einstellungen gerade zu ihrer Familie, von der sie sich so dringend lossagen wollte und es offensichtlich dann doch (aufgrund von Prägung und Erziehung – die Familie ist das Wichtigste in Italien?) nicht komplett geschafft hat, häufig innerhalb eines Dialogs so schnell, dass ich die Motivation für ihr Handeln nicht wirklich nachvollziehen konnte. Sicherlich könnte man argumentieren, sie wollte reinen Tisch machen mit den althergebrachten Mustern und im Grunde schafft sie das auch, doch irgendwie überzeugend war das alles leider nicht.

Ich hatte mich auf einen „rasant und witztig erzählten Roman“ gefreut, gerne mit etwas Schmackes … doch bekommen habe ich unzählige Verweise auf Kunst, Mode und spitituelle Ansätze. Das wäre alles nicht schlimm, hätte ich nicht Gefühl gehabt, hier hatte jemand zu Beginn eine ganz andere Idee, die auf dem Weg verlorgen ging. Plötzlich stand nicht mehr Honeys Handeln im Mittelpunkt, sondern eher sämtliche angesagten Themen, die man so in einen Roman packen kann. Für mich war das zuviel des Guten. Es hätte nicht die Anlage einer italienischen Familie aus dem Mafiamilieu gebraucht, um patriarchische Struktuen aufzuzeigen. Ebensowenig wie es den Kampf um die eigene Identität braucht, dass man aus einer solchen Familie stammen muss – diese Kämpfe spielen sich überall ab.

Was die sprichwörtlichen Leichen der Familie Fazzinga angeht, hier gab es leider auch keine wirkliche Auflösung – weshalb sie also überhaupt ins Spiel bringen? Der Kontrast, den Honeys Leben zu dem ihrer restlichen Familienmitglieder bietet, ist konkret genug gewählt, um die Frage danach aufzuwerfen, ob die eigene Freiheit zu jeder Zeit das Wichtigste im Leben ist oder ob es manchmal sinnvoller wäre, Menschen dabei zu unterstützen, diese Freiheit auch erreichen zu können, indem man sich ihnen zuwendet und Möglichkeiten aufzeigt. Honey hätte es sicherlich aus rein materieller Sicht schon früher gekonnt, als sie es schlussendlich tut. Verwerflich ist weder das eine noch das andere Handeln, wenn die Motivation stimmt. Doch eine Motivation konnte ich hier nicht erkennen.

Natürlich ist jedes Leben komplex und Menschen sind den unterschiedlichsten Beziehungen, Emotionen und – geprägt durch ihr bisheriges Leben – Verhaltunsweisen unterworfen. Doch einer Frau wie Honey hätte ich persönlich viel mehr zugetraut, als das ihr Erschaffer getan hat. Immerhin hat er ihr zuletzt so etwas wie einen Frieden geschenkt.

Aber wie immer gilt: Wir alle lesen anders und es ist tatsächlich wichtig, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Meine Erwartungen wurden leider – und das liegt tatsächlich auch an der für mich am Kern des Romans vorbeigehenden Beschreibung des Inhalts – nicht erfüllt.

Honey von Victor Lodato ist im September 2024 bei C.H. Beck in der Übersetzung von Claudia Wenner als Hardcover erschienen. Für mehr Informationen zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag enthaltene Cover oder auf  der Verlagsseite.

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