Eine sehr ungewöhnliche Kombination, die sich die Autorin hier einfallen hat lassen – wobei – gar so selten ist das Setting nicht, dass eine ungebundene alleinstehende eher ältere Frau mit der Pflege ihres Vaters beschäftigt, auch teilweise sehr überfordert ist und halt in dieser Lebensphase auch ihr doch noch recht aktives Sexualleben pflegt.
Ansonsten gibt es nicht viel zu berichten von unserer Protagonistin Stella, der Vater und ihre Libido sind fast alles, was ihre Tage ausfüllt, abgesehen von ein paar Jobs im Orgelbau und ein paar soziale Kontakte mit den Frauen der Gegend. Viel mehr spielt sich im Leben von Stella nicht ab, da sie auch sozial eher zurückgezogen agiert und leichte Anzeichen von Misanthropie zeigt.
Das Ganze ist sprachlich sehr schön mit viel Fabulierkunst arrangiert, ich fand zuerst die Plot-Kombination Versorgung des schwerkranken Vaters, Hilfe und Organisation des Siechens und Sterbens im Pflegeheim mit permanenten Krankenhaus-Einlieferungen, inklusive der ehrlichen Aufarbeitung der Vater-Tochter-Beziehung im Zusammenspiel mit dem sexuellen Begehren nach der Phase der Menopause mit expliziten, auch teilweise sehr erotischen Schilderungen schon arg schräg. Lange habe ich nachgedacht, ob es mir gefällt, was mich so irritierte, aber diese innovative Verknüpfung von Lebenssituationen, die wahrscheinlich öfter gemeinsam vorkommen, als man sich denkt, hat mich dann doch ein bisschen überzeugt. Ist zwar nicht meine Komfortzone, aber gerade ich könnte oder sollte mich in meinem Alter auch dort einrichten und mich mit Realitäten von Frauen in dieser Phase konfrontieren.
Wie gesagt, Stella lebt abgeschieden am Land mit ihrem heimlich begehrten Arbeitskollegen Finn und dem französischen Winzernachbarn Jerome. Mit beiden Männern hegt sie erotische Fantasien, was sich letztendlich auf Gegenseitigkeit beruhend herausstellt. Erfrischend realistisch aber auch sehr erotisch wird echte weibliche Sexualität beschrieben, was ich sehr wohltuend empfand. Wer meine Rezensionen regelmäßig liest, weiß, dass ich gleichzeitig einen Porno eines Mannes gelesen habe, der seine Geschichte aus Innensicht einer weiblichen Protagonistin aufbaute, was völlig unrealistisch war. Wie wohltuend war hier in diesem Roman im Gegensatz dazu eine wahrhaftige weibliche Protagonistin, die nicht minder erotisch agiert, aber viel glaubwürdiger Frauensexualität im Alter verkörpert.
Die im Roman beschriebene Begleitung des Vaters bis zum Tod mit der Beziehungsaufarbeitung und allen Kalamitäten mit den Pflegeeinrichtungen, Schwestern, Ärzten, Rettungssanitätern und Krankenhäusern inklusive Organisationsarbeit, menschlicher Überforderung, Kampf, Kapitulation vor den Gegebenheiten in der Pflege, bis zur letztendlichen Akzeptanz war zwar heftig, aber auch sehr authentisch konzipiert. Das kann die Autorin sehr gut: Realitätssinn im Plot und glaubwürdig konzipierte Figuren.
Fazit: Ich gebe eine Leseempfehlung für diesen Roman ab, wenngleich er sicher sehr ungewöhnlich und nicht für jeden geeignet ist.
Die Leibwächterin von Regine Koth Afzelius ist im Verlag Edition Roesner als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
