Wahre Liebe gibt es nur unter Schwestern

… und bis heute weiß ich nicht, ob meine Eltern wussten, was sie da taten. Wir wurden eine Familie, aber erst später ist uns allen klar geworden, was das bedeuten sollte.“

Familie Jeruscher hat vielfältige Wurzeln. Das führt, wie bei allen Familien, die so zusammenkommen, durchaus zu schrägen Situationen und im schlimmsten Fall zu Komplikationen, deren Ursprünge kaum mehr zu identifzieren sind. Bei den Jeruschers fanden sich durch Zufall zwei völlig verschieden angelegte Menschen zu einem Paar, gründeten sehr rasch und wahrscheinlich ungeplant eine Kernfamilie, die mit den Vergangenheiten des jungen Paares im Grunde nicht zurande kommen konnte.

Während in Dana von Suffrins Debütroman „Otto“ das Zentrum eben der Familienpatriarch ist, der von seinen beiden Töchtern verlangt, immer für ihn da zu sein, ist Mordecai Jeruscher ein eher ängstlicher vom Jom-Kippur-Krieg geprägter Mann, der nach dem Weggang seiner Frau versucht, sich um seine Kinder zu kümmern. „Es war die Angst, die meinen Vater vergiftete und sogar vor der Zeit umbringen werde, sagte meine Mutter.“ – Und damit hatte Viktioria wohl leider recht. Geblieben ist Mordi Jeruscher zuletzt der regelmäßige Kontakt zu seiner Tochter Rosa, die nach seinem Tod versucht, der Familiengeschichte auf die Spur zu kommen und uns durchaus situationskomisch daran teilhaben lässt.

Erinnerungen sind trügerisch, sie tauchen auf, wann sie wollen – nicht unbedingt dann, wann wir sie gebrauchen können. Rosa verlebt die Tage nach dem Tod ihres Vaters auch damit, den mehr als losen Kontakt zu ihrer Schwester Nadia wieder herzustellen, was ihr schlussendlich gelingt. HIer zeigt von Suffrin, wie nah die beiden Schwestern sich vielleicht immer noch sind, indem sie die Erinnerungen der beiden zusammenfallen lässt. Nadia hatte sich früh von der Familie entfernt, ihren Weg in der Kunst gesucht und gefunden und lebt nun in einer nicht zu ihr passenden hässlichen Umgebung mit ihrer Freundin, was in Rosa den Eindruck entstehen lässt, dass die frühere Rebellion ihrer Schwester mittlerweile in Gleichgültigkeit abgestumpft ist. Während der gemeinsamen Zeit entdecken die Schwestern, welche Teile ihrer Eltern doch in ihnen schlummern.

In einer Rückblende auf einen Besuch in Israel lässt Rosa uns teilhaben, wie ihre Großmutter Zsazsa zum wiederholten Mal versucht, den Enkelinnen von ihrer Herkunft zu erzählen. Aber dafür ist es bereits zu spät. Die Erinnerungen lassen sich nicht mehr aus dem Konglomerat des Gewesenen herausschälen, nur Fakten wie Namen, Geburtsdaten, Schulablüsse zeigen sich noch. Das Wesen der Menschen, die sie ihren Enkelinnen näher bringen möchte, ist zwar für Zsazsa greifbar, von Suffrin lässt zeigt hier das Mädchen Zsazsa, das viele Verluste erlitten hat, die – und hier wiederholt sie das Motiv des Verlustes durch eine große Welle, die alles mit sich reißt – sie kann es aber nicht mehr in Worte fassen.

Während des Besuchs Rosas bei Nadia wird deutlich, wie sehr die intergenerationellen Verletzungen noch in die Gegenwart der Mädchen gewirkt hatten und wie vertraut die Beziehung zwischen den beiden (gewesen) war. Wie in vielen Familien hatte das, was nicht ausgesprochen werden konnte, dennoch den Weg in das Leben der Nachkommenden gefunden. Oder vielleicht gerade deshalb? Aber was macht man, wenn man die Verbindungen, die ins eigene Leben reichen, nicht klar sieht, aber sehr deutlich fühlt? Was für ein Glück, wenn da jemand ist, der ähnliches gefühlt hat, aus den gleichen Gründen. Das zu erkennen, dauert aber manchmal fast zu lange.

 „Weißt Du,“ sagte Nadia dann, “ das Problem ist, dass niemand je irgendwas kapiert und, dass das ganze Gerede sowieso sinnlos ist.“

Erfahrungen, die man selbst nicht gemacht hat, die einen aber dennoch bestimmen, loslassen zu können ist oft eine Lebensaufgabe. Den Ursprüngen nachzuspüren so gut wie unmöglich. Die Struktur, die von Suffrin für ihren Roman gewählt hat, ist eine völlig lose. Wie das Leben selbst ist hier nichts geradelinig. Die weltpolitischen Ereignisse, die von Suffrin einflicht, zeigen auf, wie unvorhersehbar ein Leben eben ist. Die Gegensätzlichkeit der beiden Schwestern steht im Grunde für zwei unterschiedlichen Weisen, mit dieser Unwägbarkeit umzugehen. Während Nadia wütend über die von ihr als Opferhaltung empfundene Duldung ihres Vaters gegenüber den Traumata in seinem Leben ist, versucht Rosa sich von Dingen fernzuhalten, die sie nicht ändern kann um ihre Energie für Wichtiges zurück zu halten. Und erst jetzt, nachdem die beiden Schwestern ohne weitere Familienangehörige sind, finden sie in ihre alte Verbundenheit zurück.

Wie schon in ihrem ersten Roman zeigt von Suffrin die ganze Bandbreite möglicher Emotionen auf, die in einem Menschen schlummern können, nie wertend, immer auch mit Verständnis und vor allem einer gewissen Komik. Denn Lachen ist häufig das einzige Mittel, allzu Unerträgliches zumindest auf Distanz zu halten.

Nochmal von vorne von Dana von Suffrin ist im März 2024 gebunden im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Für mehr Information zum Buch durch Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

 

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