Um ihre Mutter zu schützen, nimmt Cordelia Edvardson mit 14 Jahren eine Doppelstaatsbürgerschaft an. Eigentlich war sie durch eine Adoption und der damit errungenen spanischen Staatsbürgerschaft vor den 1935 in Kraft getretenen Nürnberger Gesetzen geschützt, doch man macht ihr schnell klar, dass man dann anstelle ihrer ihre Mutter verfolgen würde. Dela, wie Cordelia auch genannt wird, kann nicht anders und geht für Elisabeth Langgässer, bekannte deutsche Schriftstellerin mit Sympathie für den Nationalsozialismus, katholisch getauft aber mit jüdischer Herkunft und später mit einem Arier verheiratet, erst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz und überlebt alles, was ihr dort persönlich und vielen anderen angetan wird. Zunächst wird sie Zwangsarbeiterin in einer Glühbirnenfabrik, später muss sie Schreibdienst für Mengele leisten. Dass sie sich für ihre Mutter opfert, ist wohl dem zeit ihres Lebens vorherrschenden Gefühl geschuldet, mit ihr stimme etwas nicht. Dabei ist es weder sie noch ihr Glaube, den sie noch nicht einmal kennt, mit dem etwas nicht stimmt. Dieses Gefühl konnte Edvardson hoffentlich loslassen, als sie selbst einen Roman über ihre Lebensgeschichte verfasste.
1984, 39 Jahre nach Kriegsende – ein Krieg, der diejenigen, die ihn erlebt haben auf vielfältige Weise niemals verlassen hat und auch heute noch seine Spuren in Deutschland zeigt – schreibt Cordelia Edvardson ihren Roman Gebranntes Kind sucht das Feuer zwar auf Schwedisch, lebt aber zu dieser Zeit bereits in Israel. Erst in Schweden hatte sie tatsächlich zu ihrem Glauben einen Bezug finden können. in Die Perspektive, die sie einnimmt, um ihre Lebensgeschichte niederzulegen und somit gegen das Vergessen anzukämpfen, obwohl sie sicher persönlich nur allzu gerne vieles vergessen hätte, ist eine distanzierte von Draußen-Sicht. Mittlerweile denke ich, dass diese Darstellung, die ganz klar und manchmal kühl anmutet, die einzige ist, die die Autorin einnehmen konnte, weil alles andere noch viel schmerzvoller hätte sein müssen und natürlich wegen der Allgemeingültigkeit. Viele Autor*innen, die erlebte Traumata in Literatur verwandeln und hoffentlich damit ein Stück weit loslassen konnten, beschreiben die Entstehungsphasen ihrer Werke als äußerst schmerzhaft, nicht nur psychisch, sondern körperlich, was absolut plausibel klingt. Deshalb ist die Distanz, die Edvardson in ihrem Roman, der nun nach vielen Jahren wieder auf Deutsch vorliegt, in vielerlei HInsicht bemerkenswert und wohl notwendig.
So hart diese Lektüre war, so wichtig ist sie. Gerade in unseren Zeiten, in denen jüdische Menschen in Deutschland wieder in Angst leben, nicht sicher sind, ob die Mehrheitsgesellschaft sie schützen wird, in denen Politiker unsäglich gefährliche und dumme, im besten Fall unbedachte Sätze in Welt hinauslassen, in denen Solidarität mit Israel, dem einzigen Staat, in dem jüdische Menschen sich offensichtlich einigermaßen sicher gefühlt hatten vor dem 07. Oktober 2023, gleichgesetzt wird mit Empathielosigkeit den Palästinensern im Gazastreifen gegenüber, die von der Hamas lediglich als menschliche Schutzwälle mißbraucht werden, niemals aber durch eine Terrororganisation Befreiung finden werden – auch oder gerade deshalb weil diese Lektüre schonungslos ist, nur Klarheit zulässt und weh tun muss.
Sicherlich ist eine der ungeheuerlichsten Tatsachen in Edvardsons Leben die Feigheit ihrer Mutter, die ihre 14 jährige Tochter zunächst nur spärlich durch die spanische Adoption zu schützen versucht und dann hinnimmt, dass Dela sich für sie opfert, nur um nach dem Krieg, als klar ist, dass die Tochter überlebt hat Schilderungen des Unaussprechlichen zu erbitten, um es literarisch zu verarbeiten. Und dennoch schafft Edvardson es, ihre Mutter nicht aktiv an den Pranger zu stellen, das tut diese durch ihr Verhalten selbst, sondern ihr in gewisser Weise barmherzig gegenüberzutreten. Sie hat diese Mutter, die sie immer auch als schön bezeichnet geliebt. Um so bitterer ist, dass sie sich selbst als Überlebende sehen musste, die ihr Totsein, die „Schattenlandschaft der Unterwelt“ in der sie sein musste, ihr Leben lang mit sich trug.
Unbedingte, absolute und dringende Leseempfehlung! Mit Dank an den Verlag für die Neuübersetzung durch Ursel Allenstein und an Katharina Herrmann für das Aufmerksammachen auf dieses wichtige Buch durch ihre Besprechung auf kulturgeschwätz
Gebranntes Kind sucht das Feuer von Cordelia Edvardson ist am 21.08.2023 neuübersetzt von Ursel Allenstein gebunden bei Hanser erschienen. Für mehr Informationen zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

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