Mystikerinnen und Martyrium – USA Today

<<„Es riecht nach Lagerfeuer“ sagte er irgendwann. „Riechst du das?“

„Das ist bloß Gras.“

 „Nein, ist es nicht  – es kommt aus der Innenstadt. Ich frage mich was die da verbrennen?“

Blandine reißt den Rest der Nagelhaut vom Fingernagel ihres kleinen Fingers. „Die Zukunft.“>>

Tiffany, die sich nach einer Märtyrerin neuerdings Blandine nennt. Achtzehnjährige, wunderschöne Hildegard von Bingen Verehrerin, in einer kleinen Stadt im Rust Belt, die ihre Zukunft weggeschmissen hat und die Relevanz sucht. Sie weiß Bescheid. Oder glaubt zu wissen, wie in diesem Alter üblich.

Tatsächlich ähnelt das Photo der Autorin, Tess Gunty, Blandines Beschreibung.

Der Kaninchenstall ist bereits der zweite Debütroman einer jungen Autorin, der sich als Pageturner herausgestellt hat. 22 Bahnen von Caroline Wahl habe ich mit großem Genuß regelrecht verschlungen und es war ein Highlight. Guntys Kanichenstall war lange ein Pageturner, bis ein wenig Ermüdungserscheinungen hinzukamen. Ich mochte die wechselnden Perspektiven, haderte aber mit der Hauptfigur Blandine. So clever und zugleich so jugendlich naiv in ihrer Märtyrerinnenverehrung. Sie hatte die Chance Vacca Vale, diese sterbende Industriestadt zu verlassen, bekämpft stattdessen obsessiv (und sehr gewitzt) das Bauprojekt zur Wiederbelebung der Stadt, welches zugegebenermaßen, das einzig Schöne an der runtergekommen Kleinstadt vernichten wird.

Stilistisch und sprachlich ist der Roman ein Genuß. Clever konstruiert, smarte Dialoge, gesellschaftskritisch, besonders in Bezug auf soziale Medien und deren gesellschaftlichen Auswirkungen. Es sind viele kleine Geschichten in einer großen, die Tess Gunty hier bravurös erzählt, doch sie bleiben seltsam leer, lassen mich unbeteiligt dabei sein. Wobei diese allumfassende Leere natürlich perfekt diese siechende Stadt, das Land und die Welt darstellen. Dennoch gab es mittig für den Lesfluss eine kleinere Unlust weiterzulesen. Diese vielen Leben, untereinander verknüpft, denen die Fähigkeit zum Glücklichsein, wie in der amerikanischen Verfassung verankert, so tiefgreifend abgeht, das ist hart. Die Leseunlust hielt allerdings nicht lange vor, denn der rote Faden der die Geschichte trägt ist der angekündigte Tod Blandines dessen Umstände im Dunkeln bleiben, mit viel Raum für Spekulationen. Man möchte wissen wie diese Geschichte endet.

LeserInnen, die, wie ich, Philip Roth, mit dem Gunty verglichen wurde wenig schätzen, können beruhigt zum Buch greifen. Der David Foster Wallace Vergleichch hingegen ist berechtigter. Der Kaninchenstall war ein Lesevergnügen mit kleinen Abstrichen, auf weitere Romane der Autorin darf man gespannt sein.

Fazit: Lohnt sich.

 

Der Kanichenstall von Tess Gunty ist im Juli 2023 bei Kiepenheuer&Witsch als Hardcover erschienen. Weitere Informationen bei Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.

 

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