… but I like it – zwar schlich sich mir diese Liedzeile der Rolling Stones während der Lektüre von Daisy Jones & The Six immer wieder in mein inneres Ohr, doch beschreibt sie den grandiosen, ausschließlich in einer Art Oral History verfassten Roman von Taylor Jenkins Reid nicht annähernd. Sex, Drugs und Rock‘n Roll, das Lebensgefühl und die Atmosphäre der 70ies, garniert mit menschlichem Drama glaubhaft in 360 Seiten zu packen, das ist Literatur vom Feinsten. Und jetzt mal Hand aufs Herz: Habt ihr euch auch ab und an mal gefragt, wie es dazu kommen kann, dass eine super erfolgreiche Band auf dem Höhepunkt ihrer Schaffens plötzlich und unerwartet hinschmeißt? Die Mitglieder der (leider fiktiven) Band The Six und ihre (ebenso fiktive) Frontfrau Daisy Jones laden nicht nur Musikbegeisterte ein, ihren Erinnerungen zu lauschen und Gründe zu erfahren, die dazu geführt haben, dass sie sich Knall auf Fall und mitten in einer erfolgreichen Tour zu ihrem Megaalbum Aurora auf fortan getrennten Wegen wiederfanden …
Daisy ist ein lebenshungriger Teenager – es sind die wilden 60er in Kalifornien und der Sunset Strip lockt mit seinen vielen Clubs und interessanten Menschen, zumal es weder ihrer Mutter noch ihrem Vater auffällt, wenn Daisy mal wieder die Nacht nicht zuhause verbracht hat. Es scheint die Eltern nicht einmal zu interessieren, ob Daisy klar kommt oder mit wem sie ihre Zeit verbringt. Bald ist sie in den Clubs bekannt, ihre Schönheit ist da natürlich nicht abträglich. Aber irgendwann will Daisy mehr, nämlich als Künstlerin anerkannt werden und das nicht nur auf Grund ihrer Schönheit, sondern wegen ihres musikalischen Könnens und ihrer Art Texte zu schreiben. Songs selbst schreiben ist das, was sie lange schon will. Ihr erstes Soloalbum kommt zwar gut an, doch sind es nicht ihre Gedanken oder Gefühle, die sich darin finden. Daneben hat Daisy noch ein Problem: Alkohol und Drogen sind zu ihrem täglichen Begleiter geworden.
Doch Taylor Jenkins Reid legt nicht nur auf Daisy Jones, ihre Herkunft und ihre Lebensweise einen Fokus, sondern lässt Daisy mit einer aufstrebenden jungen Rockband zusammenkommen. Wie meist, zieht im Hintergrund ein Mann die Fäden, die zu einer Zusammenarbeit führen: der Manager von The Six. Die Band braucht eigentlich keine Sängerin, profitiert aber letztendlich von der Zusammenarbeit Daisys mit ihrem Frontmann Billy, der selbst so seine Probleme mit Alkohol und Drogen hatte, bis er vor eine lebensentscheidende Wahl gestellt wurde. Taylor Jenkins Reid gelingt es an dieser Stelle ganz wunderbar, die unterschiedlichen Beweg- und Hintergründe, die zu exzessivem, gesundheitsschädigendem Verhalten führen können, völlig wertfrei und dennoch einleuchtend darzulegen. Dabei wird hier nicht gejammert, sondern eindeutig auf gesellschaftliche und private Gründe verwiesen, die damals galten und einfach hingenommen wurden. Dass man alles, was sie sich hier ausgedacht hat, für bare Münze nehmen könnte, liegt auch an der Art und Weise, wie sie von Daisy, Billy und den anderen Bandmitgliedern erzählt und wen sie erzählen lässt oder eben nicht.
Oral history – ein Begriff, der sich nicht so einfach ins Deutsche übertragen lässt – bezeichnet in der Geschichtswissenschaft eine Methode der Geschichtsschreibung. Zeitzeugen erinnern sich in freiem Sprechen, ohne Beeinflussung durch eine Intervention von außen und vermitteln so ein möglichst authentisches Bild der Zeit. Was dabei natürlich immer Einfluss nimmt, ist die Tatsache, dass Wahrnehmung und Erinnerung verschiedener Personen zum selben Ereignis durchaus unterschiedlich sein können. Für Literatur, also fiktive Geschichte, die durchaus den Anschein erwecken will, authentisch zu sein, ist genau das ein unschlagbarer Pluspunkt, den Taylor Jenkins Reid sich in ihrem Roman über eine 70er Jahre Super-Rockband und deren plötzliche Trennung klug zunutze machen konnte. Die Gefahr einer dadurch eher flachen Figurenzeichnung umschifft sie dabei gelungen, indem sie sowohl Situationen als auch Personen von vielen Seiten betrachten lässt. Dabei wird sofort klar: Wahrnehmung ist eine äußerst subjektive Sache. Und das hat sowohl mit persönlicher Erfahrung und Erinnerung, als auch mit männlichen und weiblichen Sichtweisen zu tun.
Ein weiterer Kniff, die Authentizität zu verstärken – neben den Liedtexten – ist der Einsatz eines Interviewers, der oder die ganz professionell, wie es sich gehört, im Hintergrund bleibt. Bis auf ein einziges Mal – und das macht einen gravierenden Unterschied, der eine weitere Person von außen als DIE Gewährsperson für alles Geschehene bestätigt, weil sie Einsichten besitzt, die allen anderen Bandmitgliedern fehlen. Ein kluges, sehr warmherziges, nicht kitschiges Moment obwohl es, wie so oft, auch bei allem um Liebe geht.
Daisy Jones & The Six ist für jede*n Musikliebhaber*in, alle 70ies Begeisterte und alle Menschen, die einfach gute, unterhaltsame, kluge Literatur mögen ein Muss. Für mich war es eines der absoluten Lesehighlights 2020. Als Playlist zur Lektüre absolut zu empfehlen ist Rumours von Fleetwood Mac – da Taylor Jenkins Reid für die Arbeit an Daisy Jones & The Six fundierte Recherchen vor allem Stevie Nicks anstellte, deren Lebensdaten und Erfahrungen denen Daisys nicht unähnlich sind. Aber ob Daisy nun das alter ego von Stevie darstellen soll oder nicht, Taylor Jenkins Reid hat einen fulminanten Musik-Roman geschrieben, der alles enthalt, was man sich in diesem Geschäft so vorstellt: Sex, Drugs and Rock*n*Roll.
Daisy Jones & The Six ist im Juni 2020 als Hardcover im Ullstein Verlag erschienen. Für mehr Information zum Buch Doppelkick auf das im Beitrag enthaltene Cover oder auf der Verlagsseite.
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Ja, das könnte ich mir auch vorstellen …
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Klingt nach nem Buch für mich…
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