Ich kann mich erinnern als ich als Vierzehnjähriger anfing, Science Fiction Bücher zu lesen und bald die Bücher der Heyne Serie sammelte. Bis in das neue Jahrtausend hatte ich die Angewohnheit in deutschen Städten in Antiquariate zu eilen und auf Flohmärkten nach diesen schwarzen Büchern Ausschau zu halten. Jede Kiste zu durchwühlen, um vielleicht am Ende staubig und glücklich ein Buch in den Händen zu halten welches eine Lücke in meiner Sammlung schließt.
Was ist passiert? Das Internet ist passiert. Und plötzlich konnte ich die Lücken durch ein paar Klicks füllen. Toll, oder? Im Nachhinein, nein! Denn langsam verließ mich die Lust am Sammeln und das allmähliche Schließen der Antiquariate tat ihr übriges, denn selbst die die noch offen waren, verlegten ihr Hauptmerk auf das Verkaufen der Bücher im Internet. Die Vervollständigung der Sammlung war plötzlich in Reichweite, Verfügbar geworden. Keine Spannung, kein Wühlen – und eben auch kein Anreiz mehr.
Nicht falsch verstehen, ich finde das Internet toll. Wenn jeder damit richtig umgeht, dann ist es eine Bereicherung. Halbwissen wird ausgeschaltet, viele tägliche Fragen lassen sich einfach beantworten, ich weiß jederzeit durch Google Maps wo ich bin, wo die nächsten Restaurants sind (die mit der guten Bewertung) … Doch es nimmt dem Leben manchmal seinen Reiz.
Diesem unbestimmte Gefühl, welches der eine oder andere gegen diese kommerzialisierten und technisierten Welt mit sich herumschleppt, gibt Harmut Rosa in diesem kurzen sozialpsychologischen Buch über die Unverfügbarkeit einen Namen, eine Definition. Die Einleitung beginnt über ein Naturphänomen: Schnee. Schnee ist de Facto unverfügbar, er lässt sich nicht festhalten, im Eisfach konservieren, er kommt mit dem richtigen Wetter, aber nicht dann, wenn wir wollen (die Schneekanonen in Skigebieten sind nur ein kläglicher Versuch, Schnee verfügbar zu machen).
Unsere moderne Welt, ist daran ausgerichtet, ihre Reichweite in allen Gebieten zu vergrößern. Nach außen in den Weltall, nach innen in den Mikrokosmos, entfernte Länder der Erde sind für viele erreichbarer als noch vor einhundert Jahren. Vergleichbar ist dies mit dem Aufwachsen, erst fahre ich mit dem Roller, dem Fahrrad, dem Auto und erweitere meinen Radius, die Erreichbarkeit der Welt. Hartmut Rosa ordnet diese Verfügbarmachung der Welt in vier Punkte ein: 1) sichtbar, erkennbar machen 2) erreichbar bzw. zugänglich machen 3) beherrschbar machen 4) nutzbar machen, sie unserem Zweck unterordnen.
„Die Verheißung der Vergrößerung unseres Radius des Sichtbaren, Zugänglichen und Erreichbaren vermag die Motivationsenergie hinter der gesamten Technikgeschichte zu erklären“
Doch Erreichbarkeit heißt für ihn nicht gleich Verfügbarkeit. Die Dinge sind für ihn nur verfügbar, wenn wir in eine Resonanz zu ihnen treten. Und in eine Resonanz treten bedeutet:
1) Das Moment der Berührung (Affizierung) Wir müssen von Menschen, Dingen berührt oder bewegt werden. Es beginnt Bedeutung zu bekommen.
2) Das Moment der Selbstwirksamkeit (Antwort) Ich reagiere aktiv auf den Moment der Berührung.
3) Das Moment der Anverwandlung (Transformation) Ich verändere mich durch die Berührung und durch meine Antwort.
4) Das Moment der Unverfügbarkeit Die Punkte 1-3 lassen sich nicht künstlich oder durch Willen herstellen.
Resonanz bedeutet also eine gewisse Unverfügbarkeit, die nicht mit Erreichbarkeit zu verwechseln, aber Erreichbarkeit in einem responsiven, ergebnisoffenen Geschehen bedeutet. Hartmut Rosa untermauert seine Thesen, indem er dies an sechs Stationen eines Lebenslaufs darstellt. Geburt, Erziehung, Lebensplanung, Grundorientierungen des täglichen Lebens (Hausbau, Urlaub etc.), Alter und Pflege, Tod. An allen Stationen zeigt er, dass der Mensch versucht, diese Verfügbar zu machen, aber in den meisten Punkten scheitert, da sie sich ihm größtenteils entziehen. Unsere moderne kommerzialisierte Welt ist natürlich auf Gewinnmaximierung bedacht, doch lassen sich solche Komponenten wie Pflege eines Menschen nicht in Arbeitsabschnitte zerteilen. Und so entzieht sich dem Menschen diese Welt, je mehr er versucht sie sich verfügbar zu machen, was im Endeffekt einen Frustrationseffekt hervorruft. Ich bezahle viel für diesen Urlaub in einem fremden Land, jetzt muss er toll sein, einzigartig und mich bestenfalls noch berühren. Doch so funktioniert es eben nicht und die Welt sperrt sich immer mehr gegen diese Versuche der Kontrolle.
Im vorletzten Kapitel beschreibt er noch das große Scheitern der künstlichen Intelligenz, diese kann nicht wie der Mensch begehren und auch dieses Gefühl sperrt sich der Verfügbarkeit. Erreichbar sind begehrliche, sexuelle Ziele, doch begehre ich diese damit automatisch? Zusammenfassend sagt der Autor, dass sich die technisierte und moderne Welt letztendlich als unverfügbarer als erwartet zeigt und dass wir weniger zielorientiert aber intuitiver und offener an Situationen gehen sollen. Hartmut Rosa schildert sehr klar und strukturiert, die Zustände und das Dilemma des ewigen Erreichbaren, welches mit dem Verfügbaren verwechselt wird.
Ein klar und logisch aufgebautes Buch unserer sozialen menschlichen Entwicklung, welches mich zum Nachdenken gebracht hat. Das einzige Manko fand ich, dass er doch für meinen Geschmack zu viele Fremdwörter verwendet hat (ist wohl in dem Bereich Usus). Weniger wäre mehr gewesen und hätte vielleicht mehr Menschen erreicht. Ansonsten ein sehr gelungenes Werk!
Unverfügbarkeit von Hartmut Rosa ist broschiert im Dezember 2018 bei Residenz erschienen. Weitere Informationen durch einen Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.