
JohnQube auf pixabay
Abends in Mitte
Melanie Grabow befand sich in Decken gehüllt auf ihrem 80er Jahre Liegestuhl in der besten Position; besaß alle Zeit der Welt, wie sie so direkt vor dem noch geschlossenen Eingang des einzigen Berliner Ladens für jene überaus begehrten Avril Lavigne club session Eintrittstkarten fläzte und nur hin und wieder ein kleines Schlückchen Tee aus ihrer Thermoskanne schlürfte.
Sie war zu dem Zeitpunkt erschienen, als der Laden schloss und hatte sich sogleich direkt vor den Eingangstüren plaziert. Und nicht umsonst.
Denn keine zehn Minuten später war schon eine Gruppe auf den Plan getreten und nicht alle von ihnen sprachen Melanie im weiteren Verlauf ihre Glückwünsche aus.
Im Laufe des Abends und der darauffolgenden Nacht kamen mehr und mehr Fans in der Absicht, um jeden Preis eine Eintrittskarte zu ergattern.
Doch je länger die Schlange der Wartenden wurde, desto verdrießlicher schauten etwaige Neuankömmlinge drein.
Doch Melanie war das egal. Selbst schuld. Wären se halt früher gekommen, äußerte sie im Falle, dass sie einer auf diesen Umstand hin ansprach.
Um sich die Zeit ein wenig zu vertreiben, hatte Melanie ihren eigenen youtube – Kanal ins Leben gerufen und allen Bescheid gesagt, was sie nun in die dankbare Situation versetzte, alle naselang sich selbst und das wachsende Wartecamp zu filmen und ihrer Folgergemeinde mit ihren neuesten Eingebungen auf dem Laufenden zu halten.
Später schauten noch ihre besten Freundinnen und Erstabonnenten ihres youtube – Kanals Freddy und Luise vorbei, um ein wenig Stimmung zu machen. Sie hatten noch Marcel, Na-Han, Dominik und Stefan im Schlepptau, die angesprochen, sogleich dabei gewesen waren. Zusammen mit ein paar Getränken.
Durchsetzungsfähige Mobilphonlautsprecher wurden an ein entsprechendes Gerät angeschlossen und aufgedreht.
Eine zeitgemäße und rigoros standartisierte Produktion in all ihrer klanglichen Eindimensionalität mit vereinzelten, sinnentleerten Textpassagen suchte ihren Weg in den Selbstmord; stieß aber nur auf jugendliche Begeisterung.
Bald schon umtanzten sie wogend Melanies Liegestuhl, während eine der Flaschen in genau entgegengesetzter Richtung kreiste.
Jubelrufe erschollen. Festivalstimmung kam auf. Lebenssucher und Spontanfeierexperten wurden aufmerksam und reihten sich ein. Freunde wurden angerufen. Bestellungen aufgegeben. Und bald schon sah sich Melanie von einer beachtlichen Menschenmenge umringt, die munter um sie her tanzte, trank und lachte.
Da wechselte auch schon die erste Brieftasche ihren Besitzer. Doch ein aufmerksamer Zielfahnder befand sich Kreis der Tanzenden und der Langfinger wurde endlich geschnappt.
Der erfolgreiche Fahnder bekam wenig später neue Instruktionen und wurde wieder ungesehen eins mit der Berliner Nacht.
Drei Stunden später war der Rummel polizeibedingt beendet worden und seitdem hatten sich Äußerungen auf Gemurmel und vereinzelte Lacher beschränkt.
Melanie wünschte allen per Videobotschft eine gute Nacht. Danach glitt sie per Handy noch ein letztes Mal durch ein paar Foren, bevor sie die Weckerfunktion aktivierte und die Augen schloss.
Ein Sicherheitsangestellter drehte gelassen seine Runde, was zwei Füchse, einen Waschbär und ein Korb voll Ratten allerdings nicht abhielt, weiter ihren ureigensten Angelegenheiten nachzuspüren.
Kurz bevor die Weckfunktion aktiviert wurde, erhielt Melanie wohl per exklusiver Club Session App die Nachricht, wonach das Konzert abgesagt war.
Da wird sie wohl schlagartig wach gewesen sein.
Mehr weiß ich allerdings auch nicht.
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