In den letzten Jahren ist das Verhältnis der Medieninteressierten vom Fernsehen zum Internet und zu den Anbietern von Online Filmen und Serien gekippt. Gerade Serien werden regelrecht verschlungen und auch dementsprechend produziert. (Wobei sich der Rezensent von dieser Sucht auch nicht ganz freimachen kann – ja ich bin ein Serienjunkie). Warum geliebte Personen und Umgebungen denn schon nach knapp 90 Minuten verlassen, oder nach zwei Buchdeckeln? Gerade hat man sich in ihr Leben eingewöhnt, schon ist der Film, das Buch wieder vorbei.
Und so ist man immer wieder auf der Suche nach Neuem, am Besten in Serie. Im Buchbereich gibt es viele Serien. Die meisten sind auf drei Bücher begrenzt, manche länger, selten gibt es sogar Serien, die Seitenlinien haben. So wie diese Science-Fiction-Serie, die im Polisuniversum spielt, und wo es außer den fünf zusammenhängenden Büchern um den ECS (Earth Central Security) Agenten Ian Cormac (eine Art Zukunft-James-Bond) noch fünf zusätzliche abgeschlossene Bücher gibt, die im selben Universum spielen. Und der Autor arbeitet an weiteren!
Genau an so etwas musste ich als Science-Fiction Begeisterter ran, auch wenn der erste Band schon 16 Jahre alt ist. Nach dem ersten Band war ich nicht enttäuscht, aber auch nicht begeistert und habe zum Glück bis Band fünf durchgehalten, wobei schon der zweite eine deutliche Steigerung bot.
Ian Cormac ist schon ein riesiges selbstgefälliges Arschloch, wenn der Leser ihn anfangs kennenlernt, deswegen wird ihm von der obersten Künstlichen Intelligenz (KI) der Netzzugang gesperrt, damit er wieder einen menschlichen Bezug bekommt. Der erste Band schleudert den Leser ohne Umschweife in das Polisuniversum – so irgendwann 500-1000 Jahre später als jetzt. KIs beherrschen die Erde und die bewohnten Planeten. Die Raumschiffe werden von ihnen gesteuert und die Runcibles, die Tore zwischen den Welten, können sowieso nur noch von hochintelligenten KIs bedient werden. Die Menschheit hat viele Probleme gelöst, der Tod wurde weit hinausgezögert, Verletzungen werden schnell und problemlos behandelt, man kann seinen Körper aufrüsten. In allen fünf Büchern werden zu Beginn der Kapitel Begriffe, aus dem ‚Quittenhandbuch‘ oder aus ‚So wie es aussieht‘ einer Art Hitchhiker’s Guide durch das Polisuniversum, erklärt. Die Erklärungen geben natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des Polisuniversums wieder, sind aber nicht nur informativ, sondern auch voller Witz.
Humor ist zum Glück auch ein Faktor dieses Universums. Inmitten dieses Technikbashings, das auf den Leser einstürmt, ist dies auch bitter nötig. Diese Serie ist nichts für Science Fiction Anfänger. So ein wenig muss man sich da auch auskennen, mit Gravoplatten, Wurmlöchern, künstlicher Intelligenz und – im ersten Band ganz ausgeprägt – Waffen. Ja es geht ziemlich blutig zu in Neal Ashers Universum, nichts für zartbesaitete Seelen.
Doch wer hier eine Art Warhammer Serie wittert, liegt komplett falsch. Asher baut mystische Elemente wie die Sagenfigur Horace Blegg, einen Überlebenden Hiroshimas, ein. Seine KI’s sind vollständige Charaktere. Mit Drache wird eine mystische aber auch unverständliche außerirdische Figur eingeführt. In jedem weiteren Buch findet Asher noch einen Tick, noch eine interessante Schleife mehr.
Der Höhepunkt der Serie ist (außer dem Ende) der dritte Band. Der Messingmann, Mr.Crane, ist ein gebrochener psychopathischer Golem der zwanziger Serie, der fast unbesiegbar scheint, aber mich an den Zauberlehrling erinnert. „Die ich rief, die Geister Werd‘ ich nun nicht los“.
Der Plot der Romane ändert sich mit jedem Band, auch Geschehnisse in mittelalterlichen Welten kommen vor. Ritter auf schildbewehrten schnellen Schweinen, außergewöhnliche Untiere, die selbst die Gebrüder Grimm Unholde locker in den Schatten stellen. Die Bücher sind angefüllt mit biologischen, technischen Begriffen und mythischen Gestalten und Geschichten. Einfach macht es Asher dem Leser nie. In jedem Buch gibt es meist fünf bis sieben Parallelhandlungen, die sich teils am Schluss jedes Bandes auflösen. In Skellor findet Cormac sein adäquates böses Gegenüber, die Myzelien-Dschaina-Struktur ist die Büchse der Pandora und Jahrmilliarden alte Artefakte von schon längst ausgestorbenen Zivilisationen hat es Mengen!
Den vierten und fünften Band muss man hintereinander lesen, hier zeigt sich auch eine kleine Schwäche des Autors. In beiden Bänden werden seine Beschreibungen ausufernd und breit, der Plot kommt kaum noch von der Stelle. Aber man muss da durch, zumal er ein paar Perlen des Humors verstreut, die einen doch wieder breit grinsend zurücklassen.
„Der Hammerkopf Bertha landete unweit der Stadt und öffnete den kompletten Rumpf zu einer Reihe von Rampen. Polistruppen, Gravotanks, Geschützplattformen und Automatikgeschütze auf Beinen schwärmten daraus hervor wie Termiten aus ihrem Bau. Die King of Hearts landete auf dem Bauch, im Schatten von etwas, was nach einer Stahlklippe aussah, was tatsächlich aber die Flanke eines gewaltigen Atmosphärenschiffs bildete, das im laufenden Krieg schon abgeschossen war. Cormac stieg die Rampe des Angriffsschiffs hinab, während Arach zu seiner Linken entlangklapperte, Smith ihn zur Rechten begleitete und Narbengesicht schon am Fuß der Schiffsflanke auf allen vieren lag und im aufgewühlten Schlamm herumschnüffelte. Am Himmel leuchteten Hartfelder wie Nordlicht auf; Laser bohrten sich durch Rauchschichten, und unidentifizierte Objekte explodierten in der Luft, sodass ihre Trümmer zur Erde herabregneten. Der Lärm war fürchterlich: teils Gewitter, teils Sprengung. Und die Rampe bebte in einem fort unter Cormacs Füßen. ‚Ich bin zu Hause!‘ rief Arach und huschte im Halbkreis hin und her, um sich das Gemetzel anzusehen. ‚Na na‘ mahnte Hubbert Smith, ‚Du weißt, dass der Boss solche Sprüche nicht mag.‘ Cormac fixierte den Golem lange mit seinen Augen, blickte dann die Rampe hinauf zur King of Hearts, dann hinüber zu Arach und schließlich zu Narbengesicht, der einen Erdklumpen zu inspizieren schien. Er fragte sich, warum er sich eigentlich diese Gesellschaft zumutete: ein Komödiantenduo aus verrückten KIs und einen drachengebürtigen Borderline-Psychopathen, alle an Bord eines Schiffs, dessen KI Menschen verabscheute.“
Und ein wenig Philosophie und Menschlichkeit bei den allwissenden KIs kann nicht schaden, denn wer hat denn diese Intelligenzen geschaffen? Eben!
„Erebus empfand auf einmal tiefe Traurigkeit. In einer unvermittelten Aufwallung von Wut über diese Schwäche beauftragte er Programme damit, diese Emotion aus seinem Bewusstsein zu löschen. Das nun eintretende Gefühl der Einsamkeit war jedoch schweriger zu beseitigen.“
Klar, ein wenig DMAX-Unterhaltung hat das Ganze manchmal, aber so ein wenig KRABUMM macht einfach Spaß. Und das ist aber auch ein intelligentes KRABUMM, das Asher da auf uns loslässt und literarisch bewegt er sich sowieso auf hohem Niveau.
Verstanden habe ich die Veröffentlichungstaktik von Bastei-Lübbe nicht ganz, die Bände 1-3 und 5 gibt es (leider nur gebraucht) in einer Neuauflage, den vierten Band (Das Tor der Zeit) nur in der alten Auflage, auch nur gebraucht. Aber es lohnt sich, zumal es noch fünf abgeschlossene Bände aus dem Polisuniversum als Parallelgeschichten existieren. Da reibt sich der SF-Freund die Hände, und euch möchte ich die Serie ans Herz legen.
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe (erste Band, Neuauflage): 12.Mai 2009
- Verlag: Bastei-Lübbe
- ISBN: 978-3-404-23336-6
- Taschenbuch: 558 Seiten (alle fünf Bände ca. 3000 Seiten)
Hamilton ist sicherlich immer lesenswert. Die Cormac Serie ist aber mal so ganz was anderes.
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Ah verflixt Ralf, grad bin ich schon einer Serie verfallen, Peter F. Hamilton lauert noch im SuB der sich ja auch wenig Zwang zur wörtlichen Sparsamkeit auferlegt und dann kommst du mit einer derartigen Hammer Rezi, dass ich nur noch haben will. Humor und Gadgets und Krabumm und das mit SInn, du kennst deine Pappenheimer.
Dennoch, wie immer, herzliche Grüße 😉
P.S.: DEr Süße ist auch schon angefixt. *GG*
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