Traue ich mich?

amerikanischenachtAshley Cordova ist tot. Eine junge Frau von 24 Jahren hat sich in New York in einer verlassenen Lagerhalle das Leben genommen. Nur war dies nicht nur irgendeine Jugendliche. Sie war die Tochter des berühmten Regisseur Stanislas Cordova, der seit über 35 Jahren kein Interview mehr gab und dadurch zu einem Mythos geworden ist.

Scott McGrath ist ein investigativer Journalist und hat sich an Cordova, wie so viele andere, die Finger verbrannt. Eine Recherche über den Regisseur brachte ihm, außer einer verlorenen Verleumdungsklage und einem hohen finanziellen Verlust, nichts verwertbares ein. Danach wurde er von seiner Frau verlassen, die das gemeinsame Kind mitnahm und er musste sich langsam wieder auf die Füße stellen. Doch seine geheime Obsession ist Cordova, der Kult um ihn und natürlich seine Filme. (Die in der Art stark an David Lynch erinnern). McGrath fängt an zu recherchieren und erhält durch Kontakte mit der New Yorker Polizei einen Wissensvorsprung gegenüber der Familie Cordova, die die Spuren der Tochter verwischen will.

Auf seinem Weg zu dem Unglücksplatz lernt er den Herumtreiber Hopper kennen, der in einer geheimnisvollen Verbindung zu Ashley steht. Auch die junge Nora, die zu Hopper und Scott stößt, birgt einige Geheimnisse.

Scotts Suche findet nicht überall Gegenliebe:

„‚Weißt Du, was dein Problem ist, McGrath?‘, sagte Beckman und teilte den Rest Wodka auf unsere Gläser auf. ‚Du hast keine Achtung vor dem Trüben. Vor dem finsteren Unerklärten. Dem Nichtfestnagelbaren. Ihr Journalisten ebnet die Rätsel des Lebens einfach ein, ihr habt keine Ahnung was ihr da so schonungslos ans Licht bringt, und dass ihr nach etwas sehr Mächtigem grabt, das …‘ Er lehnte sich zurück und sah mit in die Augen.’… nicht gefunden werden will. Und das wird es auch nicht.‘ Er sprach von Cordova.“

Mit Noras Hilfe findet er Zugang zu den geheimen Blackbirds  Ein Platz im Internet, welcher von den Cordoviten, den Fans Cordovas, gegründet wurde. Nur Eingeweihte haben dort Zugang. Cordovas Welt wird dem Leser unterbreitet, eine Welt voller Geheimnisse und Düsterkeit, voller Schrecken, aber Ehrlichkeit ist hier ein Muss. Nur indem jeder seine dunklen Seiten auslotet und anerkennt, findet er zu sich und zu neuen Wegen.

„Diese Seite ist eine schreckliche Realität. Ein heiliger Arbeitsplatz. Ein gefährlicher Wald. Ein Ort, an dem du alles diskutieren und in Frage stellen kannst, was deine Familie und Freunde, deine Religion und deine Gesellschaft bedroht und in Angst versetzt. Dies ist eine Welt jenseits der kommerziellen Hochglanzwelt. Ein Ort, der dreckig und unheimlich und erschreckend ist, chaotisch und hässlich und faszinierend. Ein bodenloser, schrankenloser Raum. Hier geht es nur um den Kampf um etwas Wertvolles. Etwas Ehrliches. Das ist es, wozu uns Cordova in seinem ganzen Werk auffordert. Unser ehrliches Selbst in uns zu finden.“

Es ist Die Cordova Wahrheit: die des menschlichen Geistes. Die Sehnsucht nach Schrecken. Die Sehnsucht nach Liebe. Die Sehnsucht nach emotionalen Erfahrungen, die dich zerreißen.

Das Trio (Scott, Nor und Hopper) folgen den Spuren Ashleys und gewinnen durch Befragungen von Augenzeugen, die Ashley gesehen hatten, und eigene Erlebnissen, einen tiefen Einblick in die Welt des Stanislas Cordova.

Marisha Pessl ist ein komplexes, fein recherchiertes Buch über die letzten Geheimnisse in unserer digitalisierten Welt gelungen. Der Plot ist spannend und ausgereift, auch wenn so mancher Zufall an die TKKG Reihe erinnert, es gibt im Buch plötzlich immer nur noch einen roten Faden zu verfolgen. Der Leser hat keinen Wissensvorsprung vor den handelnden Figuren und so wird dieser von einer überraschenden Szene zu der nächsten geworfen. Schräge und geheimnisvolle Charaktere tauchen auf und wähnt sich der Leser am Rande des Verstehens, schlägt der Plot noch einen Haken.

Die wundersame Welt des Stanislas Cordova eröffnet sich dem Staunenden in dem Buch, durch Zeitungsausschnitte, Schnipsel aus dem Internet, zufällig gefundene Bilder, liegengelassene Zigarettenstummel. Pessl zieht alle Register, hat als Buchregisseurin aber eine wundersame Gabe diese Fäden immer wieder zu einem (Teil-) Ganzen zu verweben.

Besonders die Beschreibung der (fiktiven) Filme Cordovas und das Anwesen ‚The Peak‘ auf dem Cordova gelebt und gefilmt hatte, sind ihr sehr gut und mysteriös gelungen. Immer wieder wird Cordovas Bestreben, das wahre Ich aus den Menschen zu locken und aufzudecken, gezeigt. Das Zusammenarbeiten mit ihm gerät für viele Menschen zu einem Wendepunkt in ihrem Leben:

„Aber der wahre Lohn der Zusammenarbeit mit Stanny war nicht Geld oder Beifall, sondern das Danach. Wir Schauspieler sprachen alle davon. Wenn man nach der Arbeit mit Cordova wieder im echten Leben ankam, war es, als seien alle Farben verstärkt worden. Das Rot war roter. Schwarz schwärzer. Die Gefühle gingen tiefer, als sei das Herz riesengroß geworden, empfindlich und geschwollen. Man träumte. Was waren das für Träume.“

Die Wahrheit ist immer zwiespältig und nicht eindeutig. Scott McGrath verwirrt sich in seinen Untersuchungen immer weiter auch in seine Seele, in seine ureigensten Abgründe der Seele.

„Ein Tornado wirft ein Haus um und der Besitzer stirbt. Das ist eine Tragödie. Dann stellt sich heraus, dass dort ein Serienmörder wohnte, und schon gilt das Ganze als Wunder. Die Wahrheit über das, was in dieser Welt mit uns passiert, ändert sich. Ständig. Das hört nie auf.“

Teilweise werden die Assoziationen der Filme satirisch auf die Spitze getrieben. Ein alter Bekannter von McGrath ist ein obsessiver Filmnarr von Cordovas Werk, seine Betrachtungen zu den Filmen lesen sich wie exzessive Verschwörungstheorien, die Wahrheiten setzen und Zeichen suchen die diese Wahrheiten bestätigen. (Kennt noch jemand den Hype um das Album der Beatles, wo alle vier barfuß auf dem Zebrastreifen laufen und viele meinten Zeichen zu sehen, dass Paul tot ist?)

Pessl spielt hier mit den Ingredienzien der Scheinwahrheit, der Zeichen, der Dunkelheit, ja sogar echte (?) Magier sind am Werk. Die Gestalt Cordova ist immer mit einem Geheimnis verbunden. Dunkelheit, die Macht aus der er seine Kraft zieht?

„Dunkelheit. Ich weiß, heute ist es schwer nachzuvollziehen, aber ein echter Künstler braucht die Dunkelheit, um etwas erschaffen zu können. Sie gibt ihm Macht. Seine Unsichtbarkeit. Je weniger die Welt über ihn weiß, wo er sich aufhält, woher er kommt und was seine geheimen Methoden sind, desto mehr Kraft hat er. Je mehr Nichtigkeiten die Welt über ihn schluckt, desto kleiner und trockener ist seine Kunst, bis sie schrumpft und zu etwas zusammenschrumpelt, dass man in einer Schüssel mit Milch zum Frühstück isst.“

Was etwas nervt sind die kursiv geschriebenen Wörter, manchmal wahllos verteilt im Text, wollen sie den Leser beeinflussen, gewisse Dinge anders zu sehen? So ganz gelungen ist ihr die Verbindung Mystik, Ernst, Scherz und Krimirecherche nicht. So manches wirkt zu platt, ihr vorheriges Buch ist um einiges dichter, literarischer. Doch hat mich hier der Plot am meisten fasziniert und man legt dieses doch dicke Buch ungern zur Seite. Es ist nicht unbedingt wie ein Sog, aber man möchte doch wissen wie es weitergeht. Ein Buch das im Gedächtnis haften bleibt.

„Eines Tages würde ich den beiden die wahre Geschichte erzählen. Aber jetzt, heute Nacht, sollten sie ihr Märchen behalten.“

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe : 25.September 2014
  • Verlag : S.Fischer
  • ISBN:  978-3-596-18332-6
  • Taschenbuch: 800 Seiten

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