„Freiheit, Wecker, Freiheit, da brauchts keine Angst zu haben, vor nix und niemand.“
Konstantin Wecker in Willy
Juli Zeh ist bekannt für ihre deutlichen, klaren und unbequemen Ansichten, die sie auch öffentlich vehement vertritt. In diesem Taschenbuch, mit dem etwas irritierenden Titel(-bild), Nachts sind das Tiere, geht sie nicht etwa auf dunkle gesellschaftliche Ereignisse in der Nacht ein. Vielmehr prangert sie hauptsächlich falsch verstandene Ansichten und eine grundsätzliche lückenhafte Internetregelung an.
Die meist ca. 10 Seiten lang gehaltenen Essays behandeln hauptsächlich den modernen Individualismus, das Internet und werden ergänzt durch ganz private Gedanken und Erlebnisse.
Individualismus und der richtige Umgang mit den neuen Medien, dem Internet, gehören notwendigerweise zusammen. Dabei gibt es viele Fallen die man umschiffen und Sackgassen die gemieden werden müssen.
Die Neigung der Menschen, andere und auch sich selbst in Schubladen zu stecken, gehört ihrer Meinung nach abgeschafft, der moderne Individualist gehört keiner größeren Gruppierung an, ist schwerer zuzuordnen.
„Von wegen egal, rufe ich deshalb. Es ist nur so, dass ich mich keinem politischen Lager zugehörig fühle. Ich pflege ein Konglomerat von Ansichten, die in ihrer Gesamtheit weder parteiprogrammatischen Schemata noch der Stoßrichtung einer gesellschaftlichen Gruppierung entsprechen. Ich vermag nicht einmal zu sagen, ob ich rechts denke – oder eher links. Vermutlich bin ich ein radikaler Individualist.“
Dabei gibt es zwischenmenschliches Verhalten, die unbedingt beibehalten werden sollen, ein radikaler Individualist zeichnet sich nicht durch bedingungslose Freiheit im Privatleben aus:
„Wer die Treue auf den Schrottplatz der Geschichte werfen will, begeht einen Fehler. Zwar haben wir oder vielmehr unsere Vorfahren völlig zu Recht eine Menge daran gesetzt, den Einzelnen von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen zu befreien. Herausgekommen ist allerdings ein falsch verstandener Individualismus, der meint, die neue Freiheit vor allem im Privatleben verwirklichen zu müssen. Als ginge es nur um Konsumfreiheit, also um das Recht auf maximale Bedürfnisbefriedigung bei minimaler Verantwortung.“
Auch die Politik muss ihren Part dazu tun, Europa hat schon einen wichtigen Schritt dazu getan. Sich nicht separieren heißt die Devise, Flexibilität ist heute mehr als sonst gefragt.
„Das neue Europa hingegen handelt von Anpassung. Es zielt auf die Aufhebung von Grenzen, auf Annäherung, Integration, Harmonisierung und Chancengleichheit, kurz: nicht auf die Betonung, sondern auf die Nivellierung von Andersartigkeit. Individualismus ist das Recht, genauso auszusehen, zu essen und zu arbeiten wie alle anderen. Nicht im Eigensinn, sondern in höchstmöglicher Flexibilität liegt die wichtigste Tugend.“
Das Internet ist für Juli Zeh ein weiteres großes Feld, das noch beackert werden muss. Nicht nur in der allgemeinen Meinung, auch Regeln und Gesetze müssen her. Das Internet ist nicht zu bändigen, ist ein rechtsfreier Raum, schafft die Rechtschreibung ab oder fördert schlechte Manieren. Alles Unsinn, sagt Frau Zeh, das Internet wird von Menschen gemacht und kann auch von Menschen dementsprechend geregelt werden. Nicht Resignation, dass alles gemacht wird was machbar ist, sollte die Folge sein, nein in der der Vergangenheit hat die Menschheit schon gezeigt, dass sie eben nicht alles getan hat was technisch möglich ist. Wir sollten hingegen das Internet positiv nutzen. Es bringt neue Organisationsstrukturen mit, die große kreative Aktivität entfalten, wie das Beispiel Wikipedia zeigt, wo freiwillig und unentgeltlich Millionen von Stunden für eine gemeinsame Enzyklopädie gearbeitet wird. Auch Open-Source Produkte wie Linux gehören in dieses Umfeld.
„Der Hacker ist in einem Umfeld glücklich (und effektiv!), in dem hierarchische und soziale Kontrollmechanismen von individuell-selbstregulativen Organisationsformen abgelöst werden.“
Doch gehören auch Regeln zum Internet. Private Daten gehören dem Einzelnen und deren Verwendung sollten immer von diesem kontrolliert werden können. Dazu muss es Gesetze geben! in zwei offenen Briefen an die Kanzlerin Angela Merkel, beschreibt Juli Zeh dieses Problem sehr anschaulich. Doch eine Lösung – ja noch nicht einmal ein Anfang, ist in Sicht.
Auch ein gefährlicher Schritt des Einzelnen ist, sich von der Technik abhängig zu machen, sich zu verdrahten, sich offenzulegen, ein statistischer Fall aus Nullen und Einsen zu werden. Individualismus erfordert auch insbesondere Stärke diesen zuzulassen.
„Diese Einstellung ist kein Akt der Emanzipation, weder vom Schicksal noch von einem bröckelnden Gesundheitssystem. Sie ist ein Rückschritt in der Geschichte des humanistischen Denkens. ‚Quantified Self‘ verabschiedet sich von einer Vernunft, die zum Bestimmen des richtigen Lebens keinen Taschenrechner braucht. Ein mündiger Mensch kann auf seine Fähigkeiten vertrauen, das rechte Maß der Dinge ohne Messgeräte zu ermitteln. Selbstvermessung hingegen ist das Gegenteil von Selbstvertrauen. In dem Wunsch die eigene Existenz möglichst restlos zu beherrschen, drückt sich vor allem die Angst aus, als Individuum in der großen weiten Welt der schönen und schrecklichen Möglichkeiten verloren zu gehen. Wir sind alle fehlerhaft.“
Wenn wir dies beachten „dann wird das Internet das werden was es sein kann und soll: ein Kommunikationsmedium.“
Juli Zeh hat, außer den großen angesprochenen Themen, noch viel privates hinzugefügt, besonders schön fand ich ihren Ausflug in Lanzarote an den Vulkan, die Macht der Natur die sie dort erlebt hat, beschrieb sie unglaublich empathisch mit den Worten: „Ich stehe und schaue, während Zeit vergeht. Antworten bekomme ich keine. Aber die Fragen schweigen.“
Die Essays und angeschriebenen Themen sind hier von mir zusammengefasst, in den jeweils 10-seitigen Texten überscheneidet sich natürlich vieles und ist dadurch insgesamt redundant.
Ein ungemein lehrreiches Buch, mit vielen klugen Bemerkungen über die dringenden Fragen unserer heutigen Zeit, klar sachlich und direkt geschrieben.
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe : 11. April 2016
- Verlag : btb
- ISBN: 978-3-442-71353-0
- Taschenbuch: 288 Seiten
Das ist aber schnell zu lesen und durch die kurzen 10 seitigen Essays ein perfektes Buch für den Nachttisch – falls Du da noch Platz hast 🙂
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waaah noch eins das ich lesen muss *heul* – irgendwann wird mein SUB mich erschlagen 😉 Liebe Grüße …
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