Dem Teufel ein Schnippchen geschlagen

Der Faust – Mephisto Stoff ist ja nun beileibe nichts Neues. Vielfach und in unterschiedlicher Weise wurde er bereits verarbeitet, es gibt unzählige lesenswerte Versionen. 2015 hat Castle Freeman, den ich wegen seiner Reihe um den in Vermont ansässigen Sheriff Wing sehr liebe, den Stoff, der von Christopher Marlowe über Johann Wolfgang von Goethe hin zu Klaus Mann bearbeitet wurde, eine durchaus konkurrenzfähige Version geschaffen, die sich auch prima für jüngeres Publikum eignet.

Als Langdon Taft sich darüber klar wird, dass er in seinem Leben irgendwie in eine Art Sackgasse geraten ist, taucht plötzlich ein überaus ungewöhnlich gekleideter Mann bei ihm auf. Mitten in Vermont, mitten im Nirgendwo aus dem Nichts.

Stoff, sagte Taft, Inhalt Story Wo ist die Story? Ich brauche eine. Läuft nicht gut. Könnte besser laufen. Ein bisschen festgefahren, keine Frage. Warum? Was fehlt? Ich bin gesund, hab Freunde (na ja, einen) genug Geld, ein Haus, ein gutes Haus – ein Heim. Und doch fühle ich mich wie auf dem Trockenen, abgehängt, festgefahren, als wäre der Zug stehen geblieben, aber noch nicht angekommen. Kein Bahnhof, keine Leute. Draußen nichts als Schotte, vertrocknetes Unkraut und Abfall: Folien, alte Reifen, kaputte Einkaufswagen, Plastiktüten. Ödland. Dieses Gefühl – was ist das? Das Alter? Klingt so. Das Alter, also nichts Neues: noch einer der mit seinem Rucksack durch den dunklen Wald stapft. Hat den Weg verloren. Sich verlaufen. Alte Geschichte …
Langeweile.
Alte Geschichte. Und jetzt? Muss einen Weg finden, mich aufraffen. Was war das?
Ich sagte: Langeweile. Langeweile, Langeweile, Langeweile.
Taft zuckte zusammen. »Was?«, sagte er. »Wer?«
Langeweile. Sie langweilen sich zu Tode, Chief.

Taft, gebildet, mit einem leichten Hang zu Alkohol (aber nur eine bestimmte Sorte Scotch wegen dessen Herkunft und Namen, die auch Taft nachweisen kann) und Selbstgesprächen trifft also auf besagten Mann, der sich im Lauf des Gesprächs als Dangerfield vorstellt. Er bietet Taft einen Handel, einen Vertrag an: Leihweise erhält Taft die Talente von Dangerfield und erreicht so alles, was er sich nur denken kann. Nach einer bestimmten Zeit, üblicherweise nach 6 Monaten, Taft kann einen Monat mehr rausschlagen, holt Dangerfield Taft ab und dieser wird die Ewigkeit – wie ist es anders möglich – in der Unterwelt verbringen.

Tatsächlich fällt es Dangerfield schwerer, Taft zu dem Handel zu überreden, als er wohl dachte. Und hier zeigt sich bereits eine besondere Qualität Tafts: Er ist kein gieriger Mensch. Was er möchte ist irgendwie ein wenig frischen Wind in seinem Leben, ein bisschen mehr Aufgabe. Keine Reichtümer oder Werte, sondern tatsächlich ein wenig mehr wahre Intensität. Deshalb nimmt er den Handel letztendlich an und Dangerfield wähnt sich auf der sicheren Seite, was den Fang einer weiteren Seele angeht.

Doch dabei hat er weder mit Calpurnia Lincoln, Eli Adams oder Trooper Madison gerechnet. Jede dieser drei Personen hat eine wichtige Funktion im weiteren Verlauf der Geschichte. Während Calpurnia, die 98 Jährige, vor der nichts geheim gehalten werden kann und die jeden in der Gegend kennt, schon so lange im Hospiz weilt, dass sich selbst die Schwestern dort einen kleinen Scherz über die Zähigkeit der alten Dame erlauben, ist Eli quasi der Mittelsmann zwischen Taft und Calpurnia. Eli besucht Calpurnia täglich, sie gehen die Neuigkeiten über Unglücke aller Art, die ihre Nachbarn unverschuldet ereilen durch und Eli trägt die Neuigkeiten mit den Gedanken daran, dass Taft, der plötzlich über grenzenlose Möglichkeiten zu verfügen scheint an diesen weiter.

Wie von Zauberhand wird den unterschiedlichsten Menschen geholfen. Immer ist es Taft, der eine Lösung findet. Dabei entpuppt sich sein Charakter immer mehr als uneigennützig, womit er sich schlussendlich auch Calpurnias Achtung erringt und Trooper Madison, nicht ohne einen unsichtbaren Schubs, auf ihn aufmerksam wird.

Dennoch ist nach bald 7 Monaten der Moment gekommen, an dem Taft seine Schuld gegenüber Dangerfield begleichen muss. Jetzt, wo er sich wieder lebendig fühlt, soll er die Bühne verlassen und für immer die Langeweile in der Unterwelt erdulden. Doch Castle Freeman ist ein cleverer Erzähler und so findet sich doch eine Möglichkeit für Taft den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Freemans Spezialität sind unerwartete Wendungen, die er klug und völlig nachvollziehbar aber gleichzeitig unauffällig aufbaut. Ein Meister des Aufbaus und der pointierten Sprache. Er beobachtet extrem genau, ihm ist nichts menschliches fremd und deshalb, so meine Vermutung, fällt es ihm so leicht, Figuren zu erschaffen, die einerseits nicht ohne Fehl und Tadel sind, andererseits aber zwischen Gesetz und Gerechtigkeit sehr gut unterscheiden können. Da wird manchmal ein Auge zugedrückt, wenn etwas unternommen wird, das vielleicht einem Einzelnen nicht ganz wohl bekommt, aber der Gemeinschaft gut tut.

In Zeiten wie unseren tut es gut, solche Lektüre parat zu haben. Zumal Freeman spannend und verdichtet erzählt. Seine Romane erstrecken sich meist nur über ca. 200 Seiten und beinhalten dennoch extrem viel Lebensweisheit und Witz. Es ist ein Heidenspaß, seine Geschichten lesen zu dürfen. Er ist, wie Dangerfield oder Taft, eben ein Mann mit vielen Talenten. Hoffen wir, dass er noch viel Zeit hat, um uns weitere Geschichten zu erzählen.

Der SWR hat diese durchaus vielschichtige Erzählung als Hörspiel in zwei Teilen bearbeitet – wer dafür ein Faible hat, sei auf die ARD Mediathek verwiesen. Eine weitere sehr schöne Besprechung findet sich bei Buch-Haltung.

Ein Mann mit vielen Talenten von Castle Freeman ist grandios (wie immer) übersetzt von Dirk van der Gunsteren als Taschenbuch im April 2025 bei dtv erschienen. Für mehr Informationen zum Buch über Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

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