Ein sehr literarisches Werk, das sehr ruhig, unaufgeregt und stilistisch fein formuliert wurde. Eine kleine irische Insel, auf der für einen Sommer ein französischer Sprachwissenschaftler und ein englischer Maler koexistieren müssen, obwohl sie ab Minute 1 eine große Antipathie füreinander hegen. Beide eignen sich auf unlautere Weise die Besonderheit und Einzigartigkeit dieser Menschen und der Insel an und nutzen sie ausschließlich für egoistisch motivierte Ziele. Die irische Sprache und die Frage nach Selbstbestimmtheit stehen im Zentrum der Handlung und ein kluger, talentierter Inseljunge namens James, der dem Künstler über die Schulter schaut und selbst malen lernt, durchschaut alle und alles und bleibt trotzdem ein Spielball in den Händen des Schicksals …
Auch die kluge, schöne Mutter von James nimmt eine wichtige Rolle ein im Roman, denn sämtliche Männer begehren sie, da sie seit vielen Jahren Witwe ist und somit ihrer Meinung nach ganz dringend einen Mann braucht. Doch sie hat einen inneren Kompass, dem sie folgt, ihre eigene Moralvorstellung und vor allem ein starkes Selbstbewusstsein und lässt sich nicht vereinnahmen.
Zwischen den Kapiteln, die von der Insel handeln, werden drastisch und protokollartig die schrecklichen Attentate des Nordirlandkonflikts zwischen Katholiken und Protestanten eingeflochten. Das liest sich hart und weckt, wie immer, bei mir das extreme Unverständnis, wie Menschen einander solche Dinge antun können – egal aus welchen Gründen, sei es aus religiöser Motivation oder aus Besitzgier, mehr Territorium zu bekommen. Ich kann das rational erfassen, aber es ist mir emotional nicht möglich, das nachvollziehen zu können. Da macht sich Sprachlosigkeit bei mir breit und große Furcht vor dem, wozu wir Menschen bekanntermaßen fähig sind.
Für alle, die ruhige Texte aushalten können und Freude an guter Formulierung und besonderer Literatur haben, eine wunderbare Entdeckung!
Das Buch „Die Kolonie“ von Audrey Magee ist 2025 als Hardcover bei Nagel und Kimche erschienen. Aus dem Englischen wurde es übersetzt von Nicole Seifert. Zu mehr Infos zum Buch kommt Ihr per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder über Doppelklick auf die (verlinkten) Verlagsnamen.


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