Cotswolds statt Barbary Lane – aber bunt wie eh und je

Als mich meine Freundin Birgit, aka daslesendesatzzeichen, in der furchtbarsten Fertigstellungsphase meiner Magisterarbeit – ihr sehr schon am Begriff Magister wie lange das her sein muss – mit Armistead Maupins Stadtgeschichten bekannt gemacht hat, war ich zunächst naiv. Ich kaufte nur den ersten Band, sie sagte mir gleich, das reicht nicht lange – und hatte damit natürlich vollkommen Recht. Damals waren schon die ersten sechsten Bände der Kultgeschichten um die Bewohner der Barbary Lane auch in deutscher Sprache erschienen. Was soll ich sagen? Ich kaufte Freitag, war Samstag Nachmittag fertig und den ganzen Sonntag mies gelaunt, weil die Buchhandlung erst am Montag wieder öffnen würde.

Nach und nach habe ich alle Bände der mittlerweile nicht nur in bestimmten Kreisen als Kult geltenden Geschichten verschlungen und vielfach verschenkt. Fasziniert hat mich dabei, dass Maupin eben nicht in einer gewissen Blase geblieben ist, sondern alles mögichen Lebensentwürfe in seinen Geschichten koexistieren durften. Und das schon in den 1970er Jahren. Manchmal glaube ich fast, dass wir gesellschaftlich in den 1980er Jahren weiter waren, als wir es jetzt sind.

Wer sich mit den ursprünglichen Erzählungen aus dem Kosmos der Barbary Lane ein wenig auskennt, wird sich manchmal schon gefragt haben, was aus den einzelnen Personen wohl später geworden sein mag. Denn sie mussten ja mit vielen HIndernissen kämpfen, allen voran Michael Tollilver, der so etwas wie eine zentrale Rolle, zumindest für mich, in der Barbary Lane einnahm. Der sechste Band der Stadtgeschichten wurde tatsächlich immer als Schluss der Reihe betitelt. Die ehemaligen Bewohner der Barbary Lane, die natürliche Familie die sich Anna Madrigal, die schillernde Vermieterin, geschaffen hatte, ist in alle Richtungen zerstreut, neue Mieter besiedeln ihr Haus. Ein tatsächlich gelungenes Ende, doch irgendwie wollte man doch wissen, was aus Michael, Brian, Mary Anne, Mona udn Anna Madrigal geworden war. Glücklicherweise spann Maupin die Geschichten weiter – allerdings immer mit einem der Charaktere im Fokus. Bisher wurden Michael, Mary Anne und Anna näher unter die Lupe genommen. Hier fehlten mir noch Mona und Brian – der über die Reihe hinweg für mich die stärkste Wandlung erfuhr und mein heimlicher Liebling wurde.

Mona hat es am weitesten von der Barbary Lane weg verschlagen. Ich will hier nichts spoilern, ich denke, einige von euch kennen die Stadtgeschichten nicht – ihr solltet die Lücke auf jeden Fall schließen. Als eine Art „Katalogbraut“ schaffte sie den Sprung über den großen Teich von Amerika in die britischen Cotswolds. Ihr Ehemann, ein homosexueller Adliger, konnte sich damit seinen Lebenstraum erfüllen und zog im Gegenzug nach San Francisco, um dort frei von Verpflichtungen sein wahres Leben führen zu können. Leider nichr allzu lange, denn wir erinnern uns: Ende der 80er Jahre wütete eine Seuche, die aus dem Nichts kam: AIDS. Aus Mona Ramsey wurde nun als Alleinerbing eines ansehnlichen britischen Anwesens Lady Mona Roughton. Und offenbar scheint sie darin ihre Bestimmung gefunden zu haben.

Um das Anwesen halten zu können, vermietet Mona mittlerweile an reiche amerikanische Touristen. Sie hat sich eingelebt in der Gemeinde und wird offenbar auch akzeptiert. Ihr Adoptivsohn William hilft ihr und rundet das Bild einer bunten Gemeinschaft vollkommen ab. Natürlich gibt es nicht nur Sonnenschein, denn Mona hat eine lockere Beziehung zu der jungen hübschen Leiterin des örtlichen Postamtes laufen. Aufgrund ihrer Herkunft sieht Mona manche Themen in einem anderen Licht, als es Poppy tut und so zeigt Maupin auf, dass gewisse Diskussionen beileibe nicht neu sind. Und dann wäre das noch das amerikanische Ehepaar, bei dem irgendetwas nicht so ist, wie es sein sollte. Mona merkt schnell, dass die nette Amerikanerin etwas verbergen möchte.

Bereits in den 1990er Jahren gab es Diskussionen über jegliche Form von Sexualleben – gerade auch wegen Aids – vielleicht ist gerade diese Seuche dafür verantwortlich, dass aus dem von mir damals so erfahrenen „Tu was Du willst, solange es andere nicht belästigt“ etwas viel Restriktiveres und warf uns gesellschaftlich um Jahre zurück. Die Themen, die hier verhandelt werden reichen von Gewalt gegen Frauen, Homo- bzw. Transphobie über allgemeine Beziehungsprobleme bis hin zur Frage, man sich als Fremder in einem anderem Land angenommen fühlen kann.

Zeitlich sind die Landgeschichten also nach dem sechsten Band der Stadtgeschichten angesiedelt. Was die Reihenfolge der Lektüre, wenn man sie inhaltlich chronologisch lesen will, bezüglich ihres Erscheinen etwas durcheinanderwürfelt. Aber das die Bände auch unabhängig voneinander gelesen werden können, tut das keinen Abbruch. Ich erhoffe mir von Maupin, der in der Regierungszeit Trumps Amerika den Rücken gekehrt und die britische Staatsbürgerschaft angenommen hat, mindestens noch eine weitere Geschichte aus dem Barbary Lane Kosmos. Denn obwohl es lange her ist, dass ich mich in einen der bisher neun erschienenen Bände vertieft habe, war die Lektüre des zehnten Bandes von Seite eins an, wie ein lang ersehntes Nachhausekommen.

Landgeschichten von Armistead Maupin ist am 13.02.2024 als Hardcover und übersetzt von Michael Kellner und Agnes Krup bei Kindler erschienen. Für mehr Infos zum Buch durch Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

5 Gedanken zu “Cotswolds statt Barbary Lane – aber bunt wie eh und je

  1. Das ist ja eine ganz wunderbare Neuigkeit. Ich habe die Stadtgeschichten damals auch verschlungen. Und hätte nicht schlecht Lust, sie erst noch einmal zu lesen, bevor ich an die Fortsetzung gehe. Schöne Lese-Aussichten!

    Gefällt 1 Person

  2. Da schrieb ich noch letztes Jahr in meiner Besprechung von Band 9:

    „Laut Cover ist „The Days of Anna Madrigal“ der endgültig letzte Roman in Armistead Maupins „Tales of the City“-Reihe. Ich würde mich darauf nicht hundertprozentig verlassen, immerhin hat der Autor die Reihe schon einmal offiziell abgeschlossen, und auch die Bücher 7 und 8 waren so verfasst, dass man sie jederzeit als geschlossenes Ende hätte nehmen können. „

    Dass es so schnell geht mit einem weiteren Buch hätte ich aber doch nicht erwartet.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..