„Auf der Rolltreppe (und nur da) stehe ich immer rechts“

„‚Cause with my mid-youth crisis all said and done
I need to be youthfully felt ‚cause, God, I never felt young“¹

Es soll so etwas wie ein faustischer Pakt sein: Ein junger Mann, knapp vor der magischen 30 – wer sagt eigentlich, dass diese Altersgrenze magisch ist? – bekommt ein Angebot. Sieben Nächte soll er durchleben, wie er sie noch nie erlebt hat. Wann es damit losgeht, ist ungewiss. Er bekommt Nachricht, muss an einem bestimmten Ort erscheinen und sich dann auf eine der sieben Todsünden einlassen. Danach hat er die Nacht über Zeit, das Erlebte und seine Gedanken dazu niederzuschreiben – bis morgens um 7 Uhr. Jeweils sieben Seiten. Faust ging den Pakt mit dem Teufel ein, weil er das ergründen wollte, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, dem Leben also auf den Grund gehen. Per Intellekt und Studiererei hat er das bereits getan, was fehlt ihm also noch? Das Gefühl lebendig zu sein.

Simon Strauß möchte in seinem Text Sieben Nächte wohl Ähnliches. Und er selbst ist es, dem der Verlag, wie er in einem Interview erklärt, genau das Setting vorschlug, das hier eingangs beschrieben wird. Er selbst könnte der junge Mann sein, von dem er erzählt, der in den Mittelpunkt seines Textes gestellt wird. Strauß ist im Brotberuf Journalist, promovierter Historiker alter Geschichte, mit knapp 30 Jahren. Hat also alles erreicht, von dem andere noch lange träumen. Intellektuell gesehen zumindest.

Er selbst hat Angst. Angst davor, dass dies schon alles gewesen sei, Angst, in zu frühe feste Bahnen geraten zu sein. Und er beklagt sich darüber, dass die Generation seiner Eltern – in die ich persönlich auch noch knappest fallen könnte – so aktiv und lebendig war. Ihm wäre zu viel aus dem Weg geräumt worden. Hmm, das ist natürlich aus meiner Sicht betrachtet, Jammern auf allerhöchstem Niveau. Doch für Leidenschaftslosigkeit, die ja in einer Person selbst steckt, die nicht von außen angefacht werden kann, ist das keine Begründung. Die Komfortzone verlassen, das muss nun schon jeder selbst, andere dafür verantwortlich zu machen, als Jugendlicher nicht revoltiert zu haben, sich zu früh im vermeintlich Erfolg eingerichtet zu haben, ist recht einfach und ein gewisses Opferverhalten mir meist suspekt und auf die Nerven gehend.

Sieben Nächte wurde vom Feuilleton gerühmt als das Buch, das zum Kult für eine ganze Generation werden, das der zeitgenössischen deutschen Literatur frischen Schwung geben könnte. Dennoch hat mich seine Lektüre nicht gereizt. Das mag snobistisch sein, entspringt es doch im Grunde dem Wunsch, einem gewissen Hype nicht zu verfallen oder sich gar von der Masse abzuheben. Ähnlich meinem Verhalten als Teenager, als ich anfing, mich für die Existentialisten, Jazz und den Feminismus zu interessieren. Jazz und Feminismus sind geblieben, die Existentialisten stehen zwar noch in meinem Regal, doch so ganz überzeugen sie mich heute nicht mehr. Bestätigung für meine Verweigerung, mir ein eigenes Urteil über Simon Strauß angeblichen „Generationenroman“ – ein Begriff der im Feuilleton tatsächlich so verwendet wurde, obwohl wir genau wissen, dass dieser Begriff nicht das bezeichnet, was hier gemeint war – fand ich in meiner eigenen Filterblase. Recht viele der Blogs, die ich gerne und mit Genuss verfolge, konnten dem Text – nirgends auf dem Buch steht, dass Simon Strauß einen Roman geschrieben hat – nicht viel abgewinnen. Überzeugt hat mich vor allem dieser Beitrag von Katharina Herrmann auf 54books. Wahre Textarbeit hat sie da geleistet und mir eindeutig bestätigt, dass ich dieses schmale Bändchen nicht lesen muss. Doch mit der Zeit drehte sich der Wind und plötzlich wurde in den verschiedenen Medien eine rechtsgerichtete Gesinnung Strauß diskutiert, gar sollte sein Text diese Gesinnung innerhalb der Literatur, vor allem der jungen Literatur, manifestieren, vorbereiten. Alles was ich zu diesem schmalen Bändchen dazu bisher gelesen hatte, ließ nichts davon erkennen, dass dies das Begehr hinter dem Text sein konnte.

Das Feuilleton, das Sieben Nächte nicht lange zuvor so hochgelobt hatte, seine (durch seinen Text wohl deutlich gemachte) Forderung nach einer Neo-Romantik so bejubelt hatte, wollte nun doch auch zumindest eine rechtslastige Tendenz darin entdeckt haben. Da frage ich mich doch ehrlich, wie kann es spontan zu solch einer veränderten Lesart kommen? Offensichtlich wurde hier werkübergreifend vorgegangen, was in diesem Fall hieß, man zog die journalistischen Arbeiten des Simon Strauß, die in ihrer recht provokativen und für mich eher uneindeutigen Art diskutierbar sind, heran, um sein Buch und seine Person öffentlich zu zerlegen. Bezögen sich diese journalistischen Arbeiten inhaltlich auf das Buch, wären hier Verbindungen ganz bewusst gezogen worden, so könnte ich diese Vorgehensweise nachvollziehen. Doch nichts davon ist der Fall. Ein ganz besonders hanebüchener Versuch, Strauß und sein Buch ins politisch rechte Lager zu stecken, findet sicher in diesem Artikel, der wiederum mit anderen Artikeln zur Folge hatte, dass eine junge Gruppe von Literaten – die Rich Kids of Literature (wieso muss eine offensichtlich deutschsprachig orientierte literarische Gruppe / Lesungsreihe sich eigentlich einen englischen Namen geben?) oder auch RKOL – sich vehement verwehrte, dass Strauß (angeblich) auf das im Korbinian Verlag erschienen ultraromantische Manifest von Leonhard Hieronymi Bezug nahm. Für die von mir dargestellte Chronologie der Ereignisse kann ich tatsächlich keine Gewähr geben. Dargestellt ist hier die Entwicklung, wie ich sie nach und nach aufschnappte.

Langsam aber sicher wurde mir jedoch klar, jetzt muss ich mir doch eine eigene Meinung bilden. Besiegelt war dieser Vorsatz dann, als auch noch Katharina Herrmann  einen Text über die Causa Strauß verfasste, der mir gehörigen Respekt abverlangt und die Debatte sehr viel besser und weiter zusammenfasst, als ich es je könnte. Ein wenig verwirrt war ich dennoch, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass ihre Besprechung des Buches so falsch gewesen sein sollte. Nun aber schrieb sie darüber, das Konzept des Buches nicht verstanden und deshalb eine zu harsche Kritik abgegeben zu haben – distanzierte sich also nicht gänzlich inhaltlich, sondern formal. Und hier stellt sich mir dann die Frage: Kann ein Konzept denn ein gutes sein, wenn es sich so versierten Lesern wie Katharina Herrmann nicht von selbst offenbart oder sollte man es dann nicht gleich dem Text vorangestellt erklären?

Nach der Lektüre, die wahrlich nicht lange gebraucht hat, kann ich sagen: Es lohnte nicht, das Buch zu lesen. Nicht für mich, zumindest nicht im Sinne von: Hier habe ich Neues entdeckt, hier hat mich etwas überrascht. Das Konzept selbst wirkt nicht, weil es nicht aus sich selbst entstand, sondern ein konstruiertes ist. Ja klar, jedes Konzept ist konstruiert, aber dieses hier ist auf allen Ebenen zu artifiziell, zu gewollt, als dass es das auslösen könnte, was es zum Ziel hat: wahres Erleben. Was das Feuilleton in seinen Lobeshymnen als Forderung nach einem neuen Gefühl, einer neuen Leidenschaft, einem Abwenden vom allgegenwärtigen Zynismus und der damit verbundenen glatten Oberfläche erkannt haben will, erschließt sich mir nicht. Der Rahmen der sieben Todsünden wird nicht gefüllt, er ist einfach nur ein Rahmen, der im Raum steht. Es findet sich keine Verbindung von Konzept und Ausführung, jedenfalls keine literarisch, künstlerische. Als Essay gekennzeichnet ließe sich das Ganze noch einigermaßen verstehen, doch ein literarisches Konzept, gar ein zukunftsweisendes, wird daraus nicht werden können. Zu wenig stringent ist das Verzeichnete, zu wenig literarische Kraft hat es für mich. Journalistisch würde ich es nennen und über eigene Befindlichkeiten nicht genug hinausgehend.

Dennoch, rechtem Gedankengut den Weg in die Literatur ebnen durch dieses Buch? Nein, das ist mir zu abwegig. Dass die ganze Debatte sich auf die offensichtlich gewollte Fokussierung auf eine literarische Ultra-Romantik und damit auf den Mißbrauch und die Umdeutung der Romantik durch die Nationalsozialisten, ist mir etwas zu seicht. Tatsächlich kommt mir Sieben Nächte eher blut- und inhaltsleer daher, komplett an der glatten Oberfläche bleibend. Ob das ironisch und / oder gewollt ist, ist mir in diesem Fall gleichgültig. Was seine journalistischen Texte angeht und die darin enthaltene „neue emanzipatorische Ästhetik“ muss man seine Absichten sicherlich kritisch hinterfragen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Um zum Abschluss das Ganze noch ein wenig in meine Art, die Dinge zu verknüpfen, zu führen, die weder wissenschaftlich noch sonst irgendwie untermauert werden kann, ein kurzer Einblick in das, was ich pure Leidenschaft nenne und was mich tatsächlich daran glauben lässt, dass Menschen, die rein rechnerisch knapp meine Kinder sein könnten doch noch Möglichkeiten haben, das zu vermitteln, was Simon Strauß Gerneration angeblich nicht mehr erleben kann, weil deren Eltern das alles bereits vorexerziert und damit unmöglich gemacht hätte – allerdings muss man dazu noch singen können.

 

¹Hozier – Jackie and Wilson

Weitere Besprechungen zu Sieben Nächte finden sich unter anderem bei

Lesen macht glücklich

Literaturgeflüster

Letusreadsomebooks

Bookster HRO

TWENTY7THIRTYTWO

und auch schon bei uns

Und hier noch der Link, quasi der Stein des Anstosses, um das Buch selbst zu lesen, der unbedingt zu lesende Beitrag von Katharina Herrmann auf 54books zu der ganzen Geschichte.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 08. Juli 2017
  • Verlag: Blumenbar
  • ISBN: 978-3-351-05041-2
  • Gebunden: 144 Seiten

 

 

10 Gedanken zu “„Auf der Rolltreppe (und nur da) stehe ich immer rechts“

  1. Sehr gerne – ich mag den jungen Mann sehr, den möchte ich unbedingt mal live sehen. Er schreibt alles selbst, sein Album Hozier ist klasse, ein wahrer Künstler und die Texte sind großartig. LG

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  2. Das ist der Folgetext und Du hast Recht Jochen, den sollte ich noch verlinken. Ich mach aber noch ein Sätzchen dazu, denn das ist ja nicht die eigentlich Besprechung, sondern der Text, der mich dann tatsächlich auch dazu brachte, mir das selbst näher anzusehen. LG und dank, Bri

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  3. Ahhh, was habe ich an diesem Buch gelitten, besonders weil mir der wohlberechnete Lesestoff im Urlaub ausging, da das Teil nach der Hälfte entnervt ins Eck flog. Dieses Gejammer!!! Diese Attitude, dieser verwöhnte, lahmarschige Möchtegerne, der zwar schön schreiben kann aber ja, passt! völlig unkreativ und selbstverliebt ist und mit seinen Ergüssen dann derartigen Ennuie verbreitet. Saturierte Ödnis.
    Meinen Hut vor deinem ambitionierten Projekt. Da liest sich der Ullysses angenehmer!
    Am Ende verschwendete Lebenszeit. Und die Bäume, diese armen Bäume die so unnötig starben *G*

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  4. Danke Dir. Gerne verlinkt, ich habe ja auch bei Dir entdeckt, dass ich es eigentlich nicht lesen müsste – aber diese ganze Diskussion hat mich dann doch dazu gebracht. LG, Bri

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  5. Sehr schön geschrieben und bringt es noch mal zusammen, warum ich dieses Buch auch nicht mochte. Auch wenn die Begründung anders hergeleitet war. Danke fürs verlinken.

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