Adelige haben, das wissen wir spätestens seit Ernst August von Hannover (der auch liebevoll Pipiprinz, oder besser der „Sid Vicious der Aristokratie“ genannt wird), einen an der Schüssel. Daran kann auch das ansonsten untadelige Benehmen von Queen Elizabeth nicht hinwegtäuschen. Menschen denen, aufgrund ihrer Geburt, Rechte eingeräumt werden, über andere zu herrschen, gehören auf den Müllhaufen der Geschichte. Doch insgeheim bewegen uns die skurrilen Gestalten und das alte viktorianische Zeitalter im Herzen. Vielleicht, weil in einer Monarchie die Rollen klar verteilt sind, einer herrscht, alle anderen gehorchen – und Demokratie ist halt doch anstrengender und man muss auch noch selber aktiv werden.
Solche anachronistischen Gestalten haben die schönsten und absonderlichsten Eigenschaften. Adlige sind aber auch ’nur‘ Menschen mit ihren gleichen Problemen, wie wir ’normal‘ Geborenen. Nur werden auf der adligen Seite andere Lösungen gesucht und auch das Umfeld bietet Alternativen die uns Normalos gar nicht einfallen würde. Auf die satirische adelige Spitze getrieben, hat es Forrest Leo mit seinem köstlichen Debüt Gentleman.
Adlige haben meistens Geld. Wenn sie das nicht mehr haben, dann haben sie zum Beispiel eine Möglichkeit, durch Heirat Geld zu bekommen. Lionel Savage ist der unsympathische, selbstverliebte Gentleman, die Hauptfigur des Romanes. Ein Dichter, der die Blüte seiner dichterischen Kunst mit sechszehn Jahren erreicht hat. Seitdem passierte nicht mehr viel Essentielles, an diesem Ruhm hält er fest. Durch seine ausschweifende Lebensart musste er heiraten – und seitdem ist ihm die Muse komplett verloren gegangen. Als seine Schwester ihn besucht, reagiert sie entsetzt auf die Tatsache, dass ihr Bruder verheiratet ist:
„Ich bin verheiratet, Lizzie, weil uns das Geld ausging und ich mich deshalb, um weiter unsere Kleidung bezahlen und unser Haus führen und deine SCHULKOSTEN zahlen zu können, an eine reiche Frau verkauft habe, und jetzt kann ich nicht mehr schreiben und weiß nicht, auf welche Art ich mir das Leben nehmen soll, ohne den Hinterbliebenen fürchterliche Umstände zu machen, und – MEIN GOTT, DU HATTEST EINE LIEBELEI?“
Bei einer Party verschwindet seine Frau. Der Versuch jetzt endlich dichterisch Fahrt aufzunehmen, scheitert kläglich. Nach und nach erkennt er, dass er seine Frau vermisst und liebt.
„Ich warb um eine Göttin und heiratete nur eine Frau. Man hört, dass das häufig passiert, und ich möchte hier kurz innehalten, um mit aller Deutlichkeit zu betonen, dass ich die Ehe für die furchtbarste Institution von allen halte. Wenn wir doch ewig umeinander werben könnten!“
Doch sie bleibt verschwunden. Der Teufel hat seine Finger im Spiel gehabt. Da muss man in der Hölle suchen. Mit dem aufgetauchten Bruder seiner Frau, ein Abenteurer wie er im Buche steht, dem herrlich britischen Butler (der hier der eigentliche Gentleman ist) und seiner Schwester, die ein Auge auf den Abenteurer geworfen hat, machen sie sich auf die herrlich chaotische Suche.
„Wir suchen alle Bücher zusammen, die Wissen über die Hölle, den Teufel, übernatürliche Entführungen und verschwundene Ehefrauen enthalten könnten. Wir legen sie auf drei Stapel und durchsuchen sie, bis wir etwas gefunden haben. Ich bin verliebt und habe die beste Privatbibliothek Großbritanniens. Ich habe noch nicht erlebt, dass die Liebe oder die Bücher versagt hätten, und wüsste nicht, warum sie das jetzt sollten. Kommen Sie, Lancaster, holen wir ihre Sachen.“
Der US-Amerikaner Forrest Leo, erst 27 Jahre alt, hat ein wunderbares Debüt geschrieben. Der Ursprungstext war ein Bühnenstück, das der Autor in ein flottes, hauptsächlich durch die Dialoge getragenes Buch transkribiert hat. Der Gentleman ist witzig, intelligent und hat ein paar nette Gimmicks. Das Buch wird nämlich vom Autor mit Fußnoten begleitet à la Jonathan Strouts Bartimäus. Der Autor ist ein weitläufiger Verwandte von Lionel Savage und ihm nicht unbedingt zugetan. Diesen Spagat aus dem Theaterstück und dem erzählenden Text hat Forrest Leo wunderbar bewältigt und herausgekommen ist eine lustige, rasante Komödie. Ein Buch, das richtig Spaß macht.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe : 11. April 2017
- Verlag : Aufbau Verlag
- ISBN: 978-3-351-03673-7
- Gebunden: 296 Seiten
das könnte durchaus was für mich sein 👍
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Hach *schwärm* ein wunderbares Lesevergnügen. Ging mir ebenso. Schön, dass es dich auch so gepackt hat Übrigens, das Zitat:“Ich warb um eine Göttin…“ *G* das ist mir jetzt erst bewusst geworden. Welch wuchtige Wahrheit doch in diesen fiesen kleinen Seufzersatz steckt *G* Schöne Rezi. Würde es sofort anschaffen, hätt ich es nicht schon.
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Ist es auch – eine rasante viktorianische Komödie
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Danke für die Beschreibung! Hört sich wirklich sehr amüsant an.
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