Andersherum ist ebenso übel

Die zehnjährige Doris Scagglethorpe aus England wird eines schönen Sonntags von Sklavenjägern geraubt und nach Aphrika verschifft. Sie erzählt ihre Leidensgeschichte, nun wird sie in Grossambossanien Omorenomwara genannt und als Gespielin der Tochter einer reichen Familie gehalten. Omo hat drei Kinder geboren, sie wurden ihr nach der Geburt weggenommen, ob die Liebe ihres Lebens noch lebt weiß sie nicht, sie sieht viele MitsklavInnen sterben, berichtet von Vergewaltigungen, Gewalt, Toden, Hinrichtungen, Bestrafungen und als sie versucht mit der Gospelbahn, dem Äquivalent der Underground Railroad zu fliehen findet sie sich als Plantagensklavin wieder. Es ist ein brutaler Bericht, doch Doris überlebt, anders als viele ihrer aus allen Ländern Europas zusammengeraubten LeidensgenossInnen und WeggefährtInnen. Sie träumt immer wieder von ihrer Heimat, ihrer Familie. Sie gibt sich nicht auf. Sie will frei sein.

All diese Grausamkeiten sind schrecklich , besonders weil man weiß, dass sie sich millionenfach immer wieder in der Geschichte der Welt ereignet haben, dass Sklavenjäger, -händler und  SklavenhalterInnen sich an den Menschen und der Menschheit derart versündigt haben. Bis hierhin war, dank Evaristos Erzählperspektive aus Doris Sicht all das, was jeder von uns schon weiß und womit man sich nicht gerne beschäftigt, schon schwer zu ertragen. Total unerträglich war dann für mich als  die Erzählperspektive zu  Doris „Bwana“  Chief Kaga Konata Katamba dem 1. wechselte. Die Waißen, die „Wigger“ sind in Grossambossanien Ware. Ihr Wert bemisst sich nach ihrer Arbeitskraft und wie auch in der so bitteren Realität der Geschichte der Sklavenhaltung finden sich bei ihm die ganzen geheuchelten Pseudoargumente für diesen lebensunwürdigen Umgang mit ihnen beim Chief wieder. Ich konnte dieses Kapitel nicht zu Ende lesen. Dieses jämmerliche Geseier des reichen Sklavenhalters habe ich nicht ausgehalten, besonders weil die Autorin den selbstgefälligen Ton der Menschen, die sich über andere erhaben fühlen weil es ihnen materielle Vorteile verschafft, so exakt herausarbeitete.

Bernadine Evaristo dreht die Geschichte der Sklaverei was die Hautfarbe betrifft einmal auf links. Das ist hier kein Wohlfühlbuch wie Mr. Loverman, dessen Geschichte nur so sprüht vor Esprit, Witz und Charme. Das ist knallharte Realität über das, was Menschen anderen Menschen antun. Ein- und nachdrücklich geschrieben und bitter zu lesen und dabei doch umwerfend, wie Doris ihre Sehnsucht nach Freiheit behält, sich nicht ihrem Schicksal ergibt. Es gab viele Doris Scagglethorpes im Kolonialismus nur hießen sie anders. Und immer noch gibt es Menschen, die andere aufgrund ihrer Hautfarbe oder sonstiger Merkmale diskriminieren. Ihnen ihren Wert absprechen und denken, sie könnten sich über sie erheben. Rassismus ist immer noch nicht ausgerottet in den Köpfen der Menschheit. Die neuen Versklavten kommen aus anderen Ländern, armen Ländern, sind dem Anschein nach frei, werden aber immer noch ausgebeutet. Ich denke hier an die ErntehelferInnen, Putzkolonnen, Lieferdienste, AltenpflegerInnen aus Osteuropa und die Sexsklavinnen. Man nennt es nicht mehr Sklaverei, es ist neoliberaler Kapitalismus und Misogynie. Ausgeübt von armseligen Würstchen, die entweder komplett der Gier oder der Dummheit, manchmal auch beidem, erlegen sind. Der Chief und der aktuelle amerikanische Präsi samt seiner Wähler reihen sich hier perfekt ein. Dieses dunkle Kapitel des Homo Sapiens ist immer noch nicht auserzählt noch beendet. Solange braucht es, Romane wie diesen auch wenn es LeserInnen, die sich intensiv mit der Thematik beschäftigt haben, ein wenig redundant erscheint. Das verstehe ich unter Erinnerungskultur. Nicht nachzulassen im Bemühen, eine bessere Welt für alle zu schaffen, besonders nicht in Zeiten wie diesen.

 

Blondes Herz von Bernadine Evaristo ist im Mai 2025 als Hardcover bei Tropen erschienen. Weitere Informationen bei Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.

 

3 Gedanken zu “Andersherum ist ebenso übel

  1. Merci, hab mir das gerade auch angehört. Interessant. Die Intention der Autorin und den Humor, für den ich sie bei Mr. Loverman sehr geschätzt habe, habe ich beim lesen nicht erfahren. Die Brutalität der Sklaverei und des Kolonialismus haben das für mich komplett negiert. Vielleicht auch angesichts der Tatsache, dass die Menschheit immer noch nicht weiter ist. Aber schön, dass Evaristo Spaß hatte beim Schreiben.

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  2. Danke für die Lektüre und Vorstellung. Von dem Buch habe ich gehört. Dem kritischen Kommentar kann ich folgen.

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