Wir brauchen alle ein wenig mehr Wildnis

Als mittlerweile seit 20 Jahren in der Großstadt lebend, frage ich mich in letzter Zeit des Öfteren, wie es wohl wäre, in eine Gegend umzuziehen, die naturverbundener ist. Aufgewachsen bin ich am Stadtrand von Nürnberg, häufige Ausflüge in die schöne Fränkische Schweiz waren mit Wanderungen durch, wie es mir damals vorkam, verwunschene Gegenden und Besuchen in der Teufels- oder der Bärenhöhle verbunden. Dass meine Mutter hier so freiwillig mitzog, lag wohl daran, dass ihr Vater in seiner Jugend und frühen Erwachsenenzeit Mitglied der Naturhistorischen Gesellschaft war und einige der Höhlen mit erforscht hatte. Eine gewisse Naturverbundenheit scheint mir also in die Wiege gelegt zu sein, doch mein Hang zu kulturellen Ereignissen und meine Abneigung, mich in Vereinen zu engagieren (irgendwie verbinde ich das mit einem Leben in kleineren Ortschaften), hat mich immer davon abgehalten, wirklich „aufs Land“ zu ziehen. Anne Siegel zeigt eindrucksvoll, dass mich Island vieles lehren könnte.

Dennoch faszinieren mich Landschaften seit jeher. Allen voran Küsten und Inseln. In den letzten Jahren allerdings hat diese Faszination einen neuen geographischen Fokus bekommen und Island ist eines der Länder, das durch seine unglaubliche Vielfalt immer reizvoller erscheint. Welchen Tätigkeiten man dort nachgehen kann und wie man dort lebt, das zeigt Anne Siegel in ihrem Buch Wo Islands wilde Seele wohnt anhand von 11 Porträts beeindruckender Menschen, die ihren Platz dort gefunden haben.

Es wäre nicht fair, euch hier von all diesen beeindruckenden Geschichten zu erzählen, die sollt ihr euch lieber selber erlesen. Gemeinsam haben aber die zehn Personen, mit denen sich Siegel mehrfach getroffen hat, dass sie die die Seele Islands offensichtlich zu 100% Prozent verkörpern. In Island wird vieles einfach gemacht, es werden Lösungen gesucht und keine Probleme erschaffen. Menschen werden nicht nach ihrem Reichtum oder ihren Worten gemessen, sondern nach ihrem Handeln und ihren Fähigkeiten. Flexibilität wird hier groß geschrieben und wenn man sich eine Arbeit interessiert, willens ist, sich neue Fähigkeiten anzueignen, dann macht man eben beruflich auch etwas anderes, als das, wofür man vielleicht studiert hat. Dass in Island mehr als die Hälfte alle Beschäftigten „unter dem Niveau ihrer Ausbildung“ arbeitet, wird hier nicht als Abstieg bewertet. Man geht dorthin, wo man gebraucht wird und wenn es einen glücklich macht, dann bleibt man da. Denn die wichtigste Frage bei der Bewertung von Arbeitsstellen ist laut Siegel in Island: „Bist Du glücklich mit dem, was Du machst.“

Die Landschaft Islands, die sehr viel vielfältiger ist, als ich zu Beginn dachte (wir haben in letzter Zeit einige Dokus zu Island auf Arte gesehen) formt die Menschen in ihrem Denken und Sein. Und jede dieser Personen, deren Leben und Wirken Siegel so wunderbar zugewandt präsentiert, hat ihren eigenen Kraftort in Island. Dass diese Kraftorte beschrieben und sogar mit den GPS Daten versehen angegeben werden, zeugt von der Offenheit, die zwischen den Porträtierten und der Autorin herrschen muss.

Wunderbare Bilder komplettieren visuell die Eindrücke, die bei der Lektüre im Kopf entstehen.

Ein Leben außerhalb der Großstadt hat seinen Reiz, doch muss man dabei auch immer bedenken, dass man sich einige Fähigkeiten angeeignet haben sollte, um etwaig auftretende unvorhersehbare Ereignisse handeln zu können. Auch davon erzählt Siegel. Die dunklen Winter, die Sommertage, die ja kaum aufhören, Klimaveränderungen und die geologischen Begebenheiten sollte man sich vor Augen führen, wenn man sich für ein – zugegebenermaßen sehr glücklich und reizvoll anmutendes – Leben an Orten wie Island entscheidet. Was einem dabei hilft ist in Island auf jeden Fall das hohe Maß an Gemeinsinn. Wenn das wild ist, dann plädiere ich allgemein für mehr Wildheit in unseren Leben und Gesellschaften.

Wo Islands wilde Seele wohnt von Anne Siegel ist im April 2025 bei Malik erschienen. Mehr Informationen zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

4 Gedanken zu “Wir brauchen alle ein wenig mehr Wildnis

  1. Man kann auf dem Dorf überleben ohne zu vereinsmeiern ;) Kunscht und Kultur … nada, aber das ist ja auch in Berlin teils weiter entfernt

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  2. Danke, liebe Sabine, ja es ist beeindruckend, wie flexibel diese Menschen sind. Ich glaube, Island wäre mir auch zu dunkel im Winter. Schottland hört sich auch gut an. LG, Bri

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  3. Das klingt sehr gut – ich pack das mal auf meine Liste. Danke für den Tipp 🙂 Möchte auch unbedingt mal nach Island, auswandern würde ich aber wahrscheinlich eher (wieder) nach Schottland. Liebe Grüße, Sabine

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