Wandernde Himmel

Mit der Enterprise und Spock fing es an, es folgten Jules Verne, Isaac Asimov, Stanislaw Lem, Aldous Huxley, George Orwell, Frank Herbert, Star Wars und danach war ich vollends infiziert. Science-Fiction-Literatur ist eines meiner Faibles. Es gibt hochklassige, intelligent verschmitzt humorvolle wie Douglas Adams Anhalter-Reihe oder die Klonkriege von John Scalzi. Im besten Fall eröffnet SciFi-Literatur Ausblicke in mögliche Zukunftsszenarien, ist gesellschaftskritisch, mahnend und wegweisend. Knüpft an aktuelles Zeitgeschehen an, verbindet Geschichte und Gegenwart mit der potentiellen Zukunft. Macht Lust und Hoffnung und regt zum Reflektieren an.

Philosophische Gedankenanstöße und technischer Schnickschnack, Vorstellungen von fremdartigen Wesen und Systemen, all dies hat seinen Reiz, wenn es gut gemacht ist.

Hao Jingfangs Werk „Wandernde Himmel“ ist gut gemacht. Well done! Die erste weibliche, chinesische Hugo-Preisträgerin hat ihren ganz eigenen Stil. Poetisch, sprachlich gekonnt die Bilder im Kopf des Lesers erscheinen lassend und trotz des Umfangs ohne jegliche Längen, begibt sie sich mitsamt ihren Leser*innen auf die Suche nach dem perfekten Gesellschaftssystem, wohl wissend, dass es dies nicht für alle Menschen geben kann. Die bestmögliche aller Welten zu finden, überlässt sie dem Hirn des Lesers. Der Mars wurde von Menschen besiedelt. Nach der Rebellion und dem darauffolgenden Sieg der Marsbewohner sind Erde und Mars getrennt und verfeindet. Erste diplomatische Missionen versuchen die beiden Planeten und ihre Bevölkerungen, die in sehr unterschiedlichen Gesellschaftssystemen leben, wieder einander anzunähern. Das ist nicht zuletzt deshalb sehr spannend, weil man sich beim Lesen immer wieder fragt, wie viel Kritik am politischen System Chinas sich die Autorin erlauben kann und wie sie diese verpackt. Die studierte Physikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin, die sich nicht als Schriftstellerin empfindet, sondern das Schreiben als Hobby betreibt, meint dazu: „Ich mag Science Fiction, denn sie gibt mir die Möglichkeit, die Wirklichkeit hinter mir zu lassen.“  Gerade dieser Aspekt ist sehr spannend, doch Hao Jingfang dringt in ihrem, dichtgewobenen, komplexen Epos viel tiefer in das ein, was das Menschsein ausmacht, sowohl für das Individuum, als auch für eine große Gruppe von Menschen. Dazu kommen ihre technischen Lösungsmöglichkeiten zur Urbarmachung des Mars, der bekanntermaßen nicht humantauglich ist, ihre Empathie für junge Menschen, besonders ihre achtzehnjährige Protagonistin Luojing, die nach fünfjährigem Aufenthalt auf der Erde zu Beginn der Geschichte frisch wieder in ihrer fremd gewordenen Heimat, dem Mars, eintrifft und die dortigen Verhältnisse viel offener und klarer sieht, als es die Daheimgebliebenen können.

„Die jungen Leute waren in der einen Welt geboren und in der anderen großgeworden. Die eine Welt war ein Hochhaus, in dem strenge Regeln herrschten. Die andere Welt, in der sie erwachsen wurden, war ein verwilderter Garten.“

Als spannend empfand ich beim Lesen aber auch den politischen Hintergrund. Hao Jingfang ist, wie gesagt, Chinesin. Was darf sie schreiben, wie drückt sie sich aus, wie gelingt ihr der Spagat des Vergleichs der Systeme, dessen eines doch stark an die westliche Welt angelehnt ist und dessen anderes sie wohl aus eigener Erfahrung sehr gut kennt. Diese Schwierigkeit meistert die Autorin charmant elegant, sie wertet nicht, überlässt dies den Gedanken des Lesers. Sie zeigt die guten und schlechten Seiten beider Systeme und auch den Rattenschwanz, der der jeweiligen Ideologie nachfolgt, und, was er für Auswirkungen auf einzelne Menschen, deren Leben und Entwicklung hat.

Dieser ruhige, philosophisch poetische Roman über zwei unterschiedliche Welten ist einer jener Science-Fiction-Romane, der im Kopf verbleibt. Besonders das Streben nach Schönheit, das der Autorin am Herzen liegt, macht es zu einem andauernden Hochgenuß. Ein Muss für SciFi-Liebhaber und eine Chance für literarturaffine Leser, die bisher um SciFi einen großen Bogen gemacht haben.

Wandernde Himmel ist im Oktober 2018 bei Rowohlt Polaris erschienen. Weitere Informationen durch Klick auf das Cover oder über die Verlagsseite.

8 Gedanken zu “Wandernde Himmel

  1. Na dann genehmige ich mir einen Donnergurgler und warte gerne 😉 Der SuB , der SuB *G* Ich finde es immer wieder spannend wie andere Leser*innen ein Buch „lesen“, auffassen, beurteilen.
    Liebe Grüße

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  2. Vielen Dank. Das Buch liegt mir am Herzen. Nicht zuletzt, weil es so verbindend und von einer Frau ist. Ich hoffe du schätzt es ebenfalls. Würde mich über Rückmeldung freuen. Liebe Grüße

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  3. Das werde ich mir gerne lesevormerken.
    Es gefällt mir, wie sorgfältig und informativ-erhellend Du die inhaltliche und stilistische Romanqualität beschreibst und wie differenziert Du auf das Genre Science Fiction eingehst. Lieben Dank!

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  4. Dankeschön. Wie bereits gelesen, ich kann es wärmstens empfehlen und man liest lange. Nicht nur wegen der hohen Seitenzahl, sondern auch weil immer wieder Gedankenspiele entstehen.
    Liebe Grüße, würde mich freuen deine Meinung nach Lektüre zu hören/lesen.

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  5. Das ist es tatsächlich, es liest sich wirklich schön und die Technik ist selbsterklärend. Wobei es schwierig ist, für mich das zu beurteilen, denn wie gesagt SciFi hat mich schon gebrainformed *G* . Will heißen, wenn nicht, wasche ich meine subjektiven Hände in Unschuld 😉

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