Einsamkeit und Paranoia im Aussteigerland

Dieser Roman ist mir sehr an die Nieren gegangen, denn er vermittelt so intensiv und gleichzeitig subtil eine extrem bedrohliche, angsterfüllte, einsame Grundstimmung, die fast nicht auszuhalten ist.

Sehr authentisch wird die Geschichte aus der Sicht eines kleinen Mädchens erzählt, dessen Eltern als Aussteiger leben. Man ist sich nicht klar, in welche Richtung sie tendieren, aber sie haben etwas sektenhaft eskapistisches, öko-esoterisches, manchmal sogar ein reichsbürgerhaftes Verhalten an sich. Das beginnt mit der eigenen Bushaltestelle und dem Universum von Bananama, geht über die völlige Abschottung der kleinen Familie von der Umwelt, bis auf den Postboten, der die Pakete bringt, über die Selbstversorgung und Selbstkasteiung, bis zur Ablehnung von medizinischer Versorgung und vieler anderer alarmierender gruseliger Einstellungen.

Das Mädchen ist so einsam und isoliert bei ihren Eltern, dass es sich eine Freundin oder eine Schwester wünscht. Bei Anfrage nach einem Schwesterchen, um die Einsamkeit zu überwinden, beißt sie auf Granit, denn die egoistischen Eltern sind schon glücklich. Relativ bald wird sie auch noch im Rahmen einer totalen sozialen Isolation aus der Schule genommen, weil das SYSTEM den Kindern nix beibringt, alle Medien und Bücher werden verwehrt. Die Eltern verhalten sich im Gegenzug sehr ambivalent und leben nicht vor, was sie dem Kind verbieten. Sie surfen im Internet und bestellen wie wild Sachen – selbstverständlich handgearbeitet und total nachhaltig– die sie meist gar nicht benutzen.

Durch die komplette Isolation und das total paranoide Verhalten der Eltern hat das 6-jährige Kind sehr viel Angst – die sich zu einer ausgewachsenen Angststörung ausweitet – es weiß aber nicht mal wovor tatsächlich (normalerweise fürchten sich die Knirpse ja konkret vor etwas wie zum Beispiel vor Monstern oder Einbrechern). Die von der Autorin beschriebenen Überlebensstrategien des Mädchens gegen die Einsamkeit und die Angst sind so herzzerreißend und grandios – beispielsweise werden Wörter, vor denen sie sich fürchtet, im Garten vergraben oder der Spiegel wird eine Weile als Schwesterersatz herangezogen. Das Kind ist in seiner Intelligenz und der isolierten Selbstreflextion zu einem altklugen Erwachsenen in einem Kinderkörper geworden.

Wir wohnen in einem Koffer, auf dem in großen, schiefen Buchstaben Bananama steht. In diesem Koffer steht unser Haus. Der Koffer reicht bis zum Wald, zur Landstraße, zum nächsten Hügel, aber weiter nicht. Dort hört er auf. In diesem Koffer ist es hell. In diesem Koffer scheint immer die Sonne, in diesem Koffer ist alles tot. Der Koffer, in dem wir wohnen, öffnet sich niemals. Wir haben ihn fest verschlossen, weil wir Aussteiger sind.

Sprachlich grandios wird hier aus der Sicht des Mädchens dieses für Menschen wie Du und ich total unwirkliche Szenario gezeichnet – die furchtbare, einsame entbehrungsreiche Welt von Bananama. Mein Lesetempo war sehr langsam, da ich permanent diesen Wahnsinn der Protagonisten immer wieder überdenken, reflektieren, und wieder sacken lassen musste. Zudem kenne ich solche Leute tatsächlich persönlich, die wohnen alle nördlich von mir in der Einsamkeit des Waldviertels. Historisch ist dort schon seit den 80er Jahren das Zentrum der gestörten Eskapisten, die sich von der Gesellschaft abgenabelt haben und die die Einsamkeit der Wälder und leeren Landstriche zu schätzen wissen. Solche Leute und vor allem ihre gnadenlose Missionarstätigkeit machen mich in der Realität immer ur-aggressiv – das musste ich auch ständig beim Lesen verdauen.

Einige Wendungen im Plot werden von der Autorin nicht aufgelöst. Sind die Leichen im Garten echt oder Ausdruck der beginnenden Wahnvorstellungen des Kindes? Wenn sie existieren, warum liegen sie im Beet und wer hat sie umgebracht. Ich muss sagen, solche offenen Handlungsstränge stören mich immer ein bisschen, aber das ist meine ganz persönliche Meinung, die viele nicht teilen werden.

Auch das Ende ist relativ unvollendet und offen. Meine Interpretation versucht aber eine optimistische, großartige Wendung zu konzipieren: Diese wundervolle traurige kleine total reflektierte sechsjährige Person startet einen ganz persönlichen Befreiungsschlag gegen den Wahnsinn der Eltern und versucht, einfach aus Bananama zu emigrieren, was ihr auch gelingt. Wie weit sie damit langfristig Erfolg hat, sei dahingestellt. Aber auch das Verhalten der Eltern lässt viel Interpretationsspielraum und Kritik an der Gesellschaft offen. Ist die propagierte nachhaltige völlig autarke Lebensweise per se schon zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht durchführbar ist? Oder scheitern die Eltern nur persönlich auf Grund ihres Charakters, weil sie ihre Ideale einfach selbst nicht konsequent genug verfolgen und alles auf das Kind projizieren? Fragen über Fragen, die noch lange nach der Lektüre wirken.

Fazit: Ich bin immer wieder überrascht, welche relativ neuen gesellschaftsrelevanten Themen von österreichischen Verlagen dem Leser präsentiert werden. Hut ab vor dieser deutschen Autorin, die dieses spannende Werk und brandaktuelle Thema sprachlich grandios und atmosphärisch sehr dicht umgesetzt hat.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 1. Februar 2018
  • Verlag: Kremayr und Scheriau
  • ISBN:  978-3-218-01103-7
  • Hardcover: 192 Seiten

16 Gedanken zu “Einsamkeit und Paranoia im Aussteigerland

  1. Ich bezweifele keinen Moment, dass es sich um sehr lesenswerte Literatur handelt, und das Thema, das jetzt noch so wirkt, als behandle es ein Phänomen am äußersten Rand der Gesellschaft, könnte erstaunlich schnell sich der Mitte nähern. Keine halbe Stunde ist es her, dass mir durch den Kopf ging, dass auch dies wieder zeigt, wie uns eben diese Mitte verloren geht, wie bedroht sie ist, dass sie dünn und brüchig werden und die Gesellschaft auseinanderbrechen könnte.
    Danke für Deine nachdrückliche Empfehlung, Ich hab’s jetzt notiert und werde in der Bibliothek mal reinlesen. 🙂

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  2. Dogmatismus ist oft von Übel. Die feinen Nuancen von Grau scheinen mir sowhl im politischen, da besonders, wie auch im eher privaten leicht verlorengegangen zu sein derzeit. Das schöne leben und leben lassen fehlt ein wenig.
    Eigentlich wollte ich sagen, dass es mir bei dem Titel so ähnlich ging wie dir. Bin sehr gespannt darauf. Die Autorin hat mich mit ihrem Debut derart begeistert und aus der Komfortlesezone ins faszinierend Ungewohnte gelockt und das genial umgesetzt. Ganz großes Kino …für Wes Anderson Liebhaber 😉

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  3. Ja, da sieht man mal, wo dann doch überraschende Berührungspunkte sind. Ich hätte früher Aussteiger aller Art eher links verortet, und das Ablehnen medizinischer Hilfe ist unbestreitbar sektiererisch. – Also, ich glaube, das Buch merke ich mir vor für einen Anfall von Masochismus. Die Kinder solcher Eltern tun mir in jedem Fall leid – selbst wenn sie nicht völlig vom Rest der Welt isoliert werden.

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  4. Ich passe da schon auf bei meinen Beurteilungen, aber in diesem Buch ist es die Ablehnung des Staates, indem man quasi einen eigenen Bereich gründet, eine eigene Bushaltestelle, die dies manifestiert, die totale Abschottung des Kindes von der Umwelt, die Verweigerung der Schule und der medizinischen Versorgung – all diese Eigenschaften gehen dann doch ins reichsbürgerhafte. Zudem noch diese Paranoia.

    Du hast völlig Recht, am meisten nervt diese messianisch agressive Missionarstätigkeit, wenn sie denn doch nur so leben würden, wie sie es wollen, aber andere in Ruhe lassen würden. Ständig anderen Leuten mit dem erhobenen Zeigefinger der moralischen Entrüstung im Gesicht herumzufuchteln, wobei man ihre krusen Theorien absolut nicht logisch hinterfragen darf. Ja das hat was religiös autoritäres …. ein paar meiner ehemaligen Freunde sind da total hineingekippt … es ist seehrrr mühsam.

    Mittlerweile zitieren sie in ihrem Hass auf Ärzte den Stürmer – da hört sich bei mir dann auch die Toleranz auf

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  5. Bei dem Wort Bananama stelle ich mir eine dicke Mama vor, die jede Menge Bananen an die Kinder verteilt. Aber es schient eher das Gegenteil der Fall zu sein. Mit der Definition eines „reichsbürgerhaften Verhaltens“ sollte man allerdings vorsichtig sein. Mir scheint, dass bald jeder, der sich mit Leib und Seele der Land- oder Forstwirtschaft widmet, unter Verdacht steht, solche Tendenzen zu entwickeln. Und das ist natürlich Quatsch. Aber ob nun reichsbürgerhaft oder nicht, sind mir Leute, die ihre Lebensweise zu einer Art Religion, in jedem Fall aber zu einer Ideologie stilisieren, immer unangenehm – auch wenn sie nicht aussteigen (denn von denen bekommt man ja wenig mit), sondern als personifizierter Vorwurf mitten unter uns leben.

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  6. Ahh das ist eh das von Scheriau – ich dachte, Simone Hirth hätte in Deutschland noch in einem anderen Verlag veröffentlicht – weil Ihr vor mir den Verlag nicht kanntet. Supa klingt auch sehr gut

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