Generation: Ich bin ein Star

Vorab möchte ich gleich eine persönliche Befangenheitserklärung für diesen Roman abgeben: Ich bin zu alt für dieses Buch!

… Denn es ist in Jugendsprech geschrieben. Fehlende Verben und Präpositionen nerven mich sehr, vor allem wenn sowas niedergeschrieben ist. Aber was sage ich: ES NERVT MICH IMMER! Dabei muss bei mir nicht ständig alles total korrekt formuliert sein, und ich bin auch Verfechterin des Dialekts, aber diese Verkürzungen wie: „Kann ich ein Eis?“ (Was? haben? stehlen?) oder: „Ich geh Aldi“ (Was? Zu Aldi? Aldi ausrauben?) machen mich komplett wahnsinnig.
Gleich einer zwangsgestörten Deutschlehrerin, die berufliches von privatem nicht trennen kann, möchte ich permanent den Rotstift ansetzen und korrigieren, was meine persönliche Lesefreude gegen Null tendieren lässt.

Dabei ist dieser Stil selbstverständlich ur-authentisch, denn Lucy 23 kommt aus Wien Floridsdorf aus der Unterschicht und kann tatsächlich nicht anders sprechen, vor allem weil die Geschichte als innerer Monolog angelegt ist.

Inhaltlich thematisiert die Story sehr brilliant viele ernste Themen, mit denen junge Leute heutzutage konfrontiert sein können: Den Traum ein Star zu werden, um aus der miefigen Vorstadt und der Unterschicht rauszukommen, die Kritik an den Castingshows, die junge Menschen mit so einer Vision ausnutzen und diese wie ein Zootier quasi am Nasenring dem amüsierten Publikum vorführen, die vergeigte Ausbildung der Generation Z, die keinen Plan B zu ihrem relativ irrealen Traum hat, reich und berühmt zu werden, Mobbing in der Schule und vieles andere mehr.

Allmählich – je länger Lucy innerlich monologisiert – tun sich extreme Abgründe auf: Sexueller Missbrauch vom Stiefvater in ganz jungen Jahren und natürlich auch noch eine Co-Täterin, die eigene Mutter, die das Kind als Lügnerin abstempelt, machen bald klar, warum Lucy in der Schule auch ständig in Schwierigkeiten geriet. Sie manfestiert ihren Ruf als Schlampe erstens selbst, weil sie nichts dabei findet, recht wahllos Sex zu haben, ist aber auch permanent sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen ausgesetzt. Ein Teufelskreis aus sexualisiertem Verhalten von Pädophilenopfern – sie findet es ja schon nahezu normal, belästigt und vergewaltigt zu werden, denn sie verwechselt diese Untaten damit, beliebt zu sein – zieht sie immer tiefer in den Strudel als Opfer hinein.

Weiters wird auch angedeutet, dass Lucy an einer bipolaren Störung leiden könnte, was von den Burschen und Männern – was sage ich eigentlich – was von allen weidlich ausgenutzt wird.

Ihre Chancen auf echte Zuneigung und Liebe kann sie auch nicht erkennen und nutzen, am Ende ist sie nicht nur Opfer sondern auch ein bisschen Täterin, die vor allem ihr Leben versaut.

Fazit: Der Plot ist rasant und großartig. Wenn man über die furchtbare Sprache hinwegkommen kann, wird man die Geschichte sehr genießen. Ich konnte es leider nicht so gut.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 1. Februar 2016
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • ISBN:  978-3-218-01034-4
  • Hardcover: 192 Seiten

13 Gedanken zu “Generation: Ich bin ein Star

  1. Ich glaube, in der Praxis denke ich darüber auch nicht annähernd so ausführlich nach, wie wir das jetzt diskutieren.

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  2. Ja, klar braucht der Autor sein Gegenüber, sonst würde er ja nicht tun, was er tut 😉 Aber wieso nicht ein spezielles Thema in einem Roman bearbeiten? Viele lesen keine Sachbücher und manchmal kommt es direkter an, wenn es „leichter“ verpackt ist. Aber wie gesagt, das ist für mich immer von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ich damit klar komme oder nicht …

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  3. Schwierig. Ich gebe zu, dass es mich immer stört, wenn ich beim Lesen eines Romans merke, dass es dem Autor vordergründig darum geht „ein Thema zu beackern“. Warum dann kein Sachbuch? Auch ein Sachbuch kann ja unterhaltsam, spannend, literarisch anspruchsvoll, … sein. Andererseits begrüße ich es, wenn ein Roman einen handfesten Hintergrund hat, gut recherchierte Details, bei denen es sich um politische Vorgänge, einen besonderen Handlungsort, ein besonderes berufliches Umfeld, um alles Mögliche handeln kann. Aber eben nicht als zu bestellendes Feld, sondern als umgebende Landschaft. – Das mit der Zielgruppe hatte ich ja schon halb zurückgezogen, aber ein Gegenüber denkt sich jeder Autor oder spricht zumindest unbewusst zu einem Gegenüber.

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  4. Hmm, ich denke, das ist auch wieder unterschiedlich abhängig davon, was der Autor bezwecken möchte. Möchte er ein Thema beackern, oder muss es, weil es ihm ein Anliegen ist, damit eine Diskussion anzustoßen, dann wird er vielleicht die Ausführung dem Thema anpassen. Möchte er Geschichten erzählen, dann steht die Sprache im Vordergrund, gleichgültig, ob das Thema gerade en vogue ist oder so. Und Zielgruppen entstehen glaube ich nicht im kopf des Autors, sie sind nur gut für den Buchhandel, und das meine ich wertfrei, damit man besser empfehlen kann …

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  5. Mal beiseite lassend, dass mir der Plot grundsätzlich wichtiger ist als der Stil (ich will Geschichten, Geschichten, Geschichten, und mein absolut geheimes Lieblingsbuch ist wirklich Trash), sollte ich mich zurückhalten, denn ich habe das Buch ja nicht gelesen. Ich habe lediglich das Gefühl, nicht zur Zielgruppe zu gehören. Ich glaube, jeder Autor hat eine Zielgruppe, und vielleicht ist auch das schon ein viel zu „technischer“ Ausdruck. Jeder Autor schreibt für einen imaginären (manchmal auch ganz realen) Idealleser. Kein Buch ist für jeden geschrieben – abgesehen von einem Lexikon vielleicht. Lese ich eine „Sprache“ die schon wieder untergeht, kaum dass sie entstanden ist, fühle ich mich im wahrsten Sinne des Wortes nicht angesprochen.

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  6. Nun ja, die Frage, wer da mehr Einfluss hat, die Schule oder das Zuhause muss man sich schon stellen. Mein Sohn sagt auch so Dinge wie: kann ich einen Keks – worauf er jedes Mal die Antwort kriegt : einen Keks was? Malen, backen, an die Wand werfen? Steter Tropfen höhlt den Stein. Und die heutigen Kinder, die so sprechen, haben Eltern, die wahrscheinlich auch nicht sehr elaboriert kommunizieren 😉 Kein neues Problem. Was haben meine Großeltern manchmal gestaunt, wenn ich was erzählt habe, weil sie mich nicht mehr verstanden. Sprache entwickelt sich – das ist manchmal nicht zu ihrem Besten, aber an einem reichen Wortschatz kann man arbeiten. Und muss man wohl auch.

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  7. ich habe länger darüber nachgedacht, ob ich damit Schwierigkeiten hätte, ich denke ja. Aber, ja ein aber kommt, denn es geht wohl in diesem Fall gar nicht anders, sonst könnte man der Autorin vorwerfen, sie würde unrealtistisch schreiben. Ich glaube, wenn ich den Plot gut fände, würde ich meine Schwierigkeiten hintanstellen.

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  8. Ach ja das Krokodil – mein Avatar – ist ein seehrrr altes Tier, das seine evolutionären Vorteile daraus schöpft, sich in wichtigen Strukturen nicht zu verändern 😉

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  9. Naja der Roman ist ja inhaltlich alles andere als Müll insofern kann das nicht ganz zutreffen, aber bei dem Zwang der Literatur, sprachlich innovativ und anders zu sein, gebe ich Dir schon Recht, das kann man auch übertreiben. Leider sehe ich auch Probleme für die künftigen Generationen – Kinder reden schon seit der Jahrtausendwende wirklich so und nun ist diese Kohorte auch noch in das fortpflanzungsfähige Alter gekommen und könnte ihren Beitrag zur Zeitgeistsprache an die eigenen Kinder weitergeben. In ein paar Generationen wird möglicherweise gar nicht mehr richtiges Deutsch sondern dieses Zeitgeistkaudawelsch verstanden, wenn die Schulsysteme weiterhin finanziell so ausgehungert werden oder nicht eine Re-Installation der korrekten Sprache als Renaissance stattfindet.

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  10. Wenn es um die Zwanghaftigkeit geht – da sind wir schon zwei. Ich finde, für diesen „Zwang“ gibt es auch gute Gründe. Ohne die Wahrung einer gewissen Form in der Sprache wird Literatur für spätere Generationen unlesbar. Aber vielleicht liegt manchen Autoren ja auch daran nichts, oder sie glauben einfach nicht daran, dass sich in hundert Jahren noch jemand für ihr Zeug interessieren könnte.
    Ich glaube, die meisten von uns haben in ihrer Jugend eine bestimmte Sprache gepflegt. Das ist ja wie mit der Kleidung, Man hob ab, um sich abzuheben. Ob man das jetzt in Büchern exzessiv manifestieren muss …? Wobei ich die wörtliche Rede natürlich gelten lasse.
    Zu den Literaturrezensenten in Österreich: „authentisch“ und „innovativ“ sind keine Qualitätsmerkmale per se. Das gilt besonders für das „Innovative“, das manchmal schon zur Obsession wird, wie mir scheint. Hauptsache etwas ist anders und neu; dann darf es auch gerne Müll sein.

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  11. Komischerweise ist die Blogger- und Literaturkritikszene in Österreich da völlig gegensätzlicher Meinung. Sie loben den Roman, gerade weil er so geschrieben ist, als besonders authentisch und innovativ. Und ich rede da nicht von der Zielgruppe der jungen Leute, sondern Fans der gehobeneren Literatur. Keine Ahnung warum so viele Leute weniger Probleme mit Jugendsprech haben als ich. Vielleicht bin ich da einfach zu zwanghaft 😂

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  12. „Jugendsprech“ und dann noch die Form eines inneren Monologs – damit hätte ich auch Schwierigkeiten. Problematisch stelle ich mir das auch für die Autorin vor. Wen will sie erreichen, und was will sie erreichen? In unserer visuell orientierten Gesellschaft ist Lesefreude nicht leicht zu wecken, aber wenn, dann m.E. über Themen. – Ich bin mir nicht mal sicher, ob Jugendliche, die in ähnlichen Verhältnissen leben wie die Protagonistin, einen Roman über eben diese Verhältnisse lesen möchten, und ob sie sich dann verstanden fühlen, usw.

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