Song to rest in hell

Nicht nur die Liebe zum Blues haben wir beiden Buchsüchtlerinnen gemeinsam, oft erwischen uns dieselben Bücher und erobern unser Herz. So auch Vintage. Gleichzeitig gelesen, geliebt und gemeinsam goutiert und rezensiert – eine absolute Leseempfehlung von Thursdaynext und Bri.

Wach endlich auf Mann, der Rock ’n‘ Roll ist tot, da stehen nur abgehalfterte Typen drauf. Die rauchen, saufen, ohne Gummi vögeln und mit zweihundert Sachen durch die Gegend rasen. Alles völlig out…“

Mieser Laune geschuldete, totale Fehleinschätzung seitens Alain de Chévignés, zweiundsechzig Jahre alt, Autor von „Die Gitarren der Pop Generation“ aus Grégoire Herviers Roman VINTAGE.

Einem Roman für die Liebhaber des Blues, der an die Wurzeln desselben geht. Grandios geschrieben, mit Liebe zum Detail und Verehrung des Sujet.

Blues, ist in seiner reinsten und besten Form persönlich erlebtes, besungenes Leid, schlicht, am besten nur Stimme und Gitarre, rauh, tief empfunden und ehrlich. Die Liebe zum Leben, egal wie beschissen es gerade ist, schwingt immer sachte dabei mit, als Hintergrundrauschen.

 

 

I woke up this morning … die Frau ist weg, hab Scheiße gebaut, selber schuld, leide und rappel mich wieder auf. GEIL! So muss es sein.  Nie fehlen darf die Prise selbstironische Erkenntnis.

Klassisch, traditionell, altmodisch, erlesen, für VINTAGE gibt es etliche Bedeutungen. Der Roman Vintage des französischen Autors Grégoire Hervier verdient die Bezeichnung erlesen. Genial konstruiert, die Sprache authentisch der jeweiligen Figur ein Gesicht gebend, mäandert der Autor grandios durch die Genres Fiction, Krimi, Thriller, Horror. Wie großartig, wird einem erst am Ende bewusst, nachdem man sich wie im Rausch, 5 cm über dem Boden schwebend, durch den irren – im besten Sinn des Wortes – Roman gelesen hat.

Der Sog der von diesem Roadtrip ausgeht ist gewaltig, eben wie in einem richtigen Bluesstück – verzaubernd und unausweichlich.

 

Genauso gewaltig wie der Sog, den Gegenstände, Menschen oder Situationen entfalten können. Um eine gewisse Fähigkeit zu erwerben, gehen wir meilenweit, geben alles, gehen den faustischen Pakt ein, verkaufen unsere Seele.

So wie es Robert Johnson, dem sagenumwobenen Bluesgitarristen der 1920er/30er Jahre nachgesagt wird. Ein junger schwarzer Mann, der seine Gitarre eher leidlich beherrschte und für ein Jahr spurlos verschwunden war. Als er wieder auftauchte, bezirzte er die Menschen mit seiner Virtuosität im Blues. Nach der Ursache dafür gefragt, erzählte er die Geschichte der Crossroads – der Weggabelung, die sein Schicksal besiegelte. Dort angekommen und unschlüssig, welchen Weg er einschlagen sollte, schlief er ein und als er wieder aufwachte, sah er einen Mann vor sich, der ihm anbot, seine Gitarre so zu stimmen, dass er in Zukunft ein begnadeter Bluesmusiker sein würde. Der faustische Pakt wurde geschlossen und Robert Johnson nicht nur wegen dieser Geschichte eine Legende.

Legenden werden nicht geboren, sie werden gemacht – durch Taten und durch Entscheidungen. Dadurch, welchen Weg man an der Kreuzung einschlägt und manche Legenden erfinden sich selbst.

Die Gibson Moderne – die legendäre Gitarre, von der man nicht genau weiß, ob sie jemals existiert hat – umgibt so eine Legende. Schon wegen der Unwägbarkeiten bezüglich ihrer Existenz. Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Thomas Dupré, ein junger Musiker und Journalist, sich nicht zweimal bitten lässt, als er von einem mysteriösen Lord aus Schottland das Angebot erhält, genau diese Existenz zu beweisen. Nebenbei springt für ihn noch ein Zehntel des Schätzwertes von 10 Millionen Dollar(?) raus. Was Dupré dabei entdeckt ist mehr als nur die Geschichte eines Instruments – es ist die Erfindung einer neuen Art der Musik. Furchteinflößende Musik, die Ungutes beschwört. Dupré muss sich damit auseinandersetzen und entdeckt noch mehr. Die Vorwegnahme einer neuen unglaublichen Aufnahmetechnik und die Geburt des Hard Rock.

Doch was wurde aus dem Menschen, der dies alles schuf? Nur sein Name – Li Grand Zombie Robertson – und ein einziges Foto sind zu finden. Sonst verliert sich seine Spur und die eine Scheibe, die es von ihm gab, ist ebenso legendär wie die Gitarre, die Dupree sucht.

Grégoire Hervier ist nicht nur ein großartiger Autor, sondern ein excellenter Kenner von Blues- und Rockmusik und zudem ein Afficionado, mit allem Drum und Dran. Gitarren, Spiel- und Aufnahmetechnik, die Geschichte des Blues und der Anfänge des Rock, der aus diesem entstand und ohne den eine gewisse gesellschaftliche Befreiung von alten Zöpfen nicht zustande gekommen wäre, sind seine Leidenschaft. Das spürt man in jeder Zeile dieses für Musikfans unbedingten Must-Haves, das er sogar in der klassischen Struktur eines Bluessong aufgebaut hat.

Da kann man gar nicht anders, als die eigene Platten- bzw. CD Sammlung zu durchforsten, auf Youtube zu stöbern oder die vom Autor mitgelieferte Playlist abzuspielen, die vom Verlag auf einer eigenen Microseite zum Buch bereitgestellt ist.

Denn Blues und der daraus entwickelte Rock ist weit mehr, als nur eine Musikrichtung, es ist ein Lebensgefühl, das nie aufhört, wenn man es einmal hereingelassen hat. Und glücklicherweise gibt es auch heute noch genügend – auch junge – Menschen, die sich trauen, diese Tür aufzumachen …

For those about to rock, we salute you!

Weitere Besprechungen zu Vintage finden sich bei Leseschatz, Nur lesen ist schöner  und Studierenichtdeinleben,

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 23. August 2017
  • Verlag : Diogenes
  • ISBN: 978-3-257-07002-6 
  • Leinen, gebunden: 400 Seiten

 

 

9 Gedanken zu “Song to rest in hell

  1. Liebe Steffi, danke – ja, der Roman ist einfach super. Anders, fundiert, man merkt wirklich die Leidenschaft 😉 Immer gerne die Verlinkung – bis bald. Liebe Grüße, Bri

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  2. Hi Bri,

    ich danke dir für die Rezension und das Verlinken. =)

    Die Zeilen sprühen vor Leidenschaft. Genau so soll es sein. Der Roman ist aber auch der Knaller.

    Liebe Stöbergrüße
    Steffi

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  3. Ist wohl das, was Du gerade brauchst – Entschleunigung – genieße es!! Ich hätte gerade nichts dagegen, allerdings natürlich ohne Gips 😉

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