Underdogs

Wer mich kennt, also etwas näher als über diesen Blog oder sonstige sozialen Netzwerke, weiß erstens, dass ich in Nürnberg geboren wurde, zweitens in einer unglaublich Fußball affinen Familie aufwuchs, drittens mein Vater das Glück hatte, einen Glubberer*  der 1968er goldenen Generation-Mannschaft, die dann leider ja auch gleich 1969 von der ersten in die zweite Fußballbundesliga absteigen musste, seinen wirklich besten Freund nennen zu dürfen und ich somit eigentlich gar nicht umhin kam, mich mit Fußball in irgendeiner Form zu beschäftigen. Klar, es wäre möglich gewesen, die Rebellin zu spielen und das Ganze aufmüpfig als uninteressant oder langweilig abzutun, aber irgendwie habe ich daran nie gedacht. Das mag daran liegen, dass auch meine Mutter einen echten Fußballverstand besaß und mein Vater sich tatsächlich Zeit nahm und mir die angeblich nicht von Frauen zu verstehende Abseitsregel so erklärte, dass sie mir völlig logisch erschien. Außerdem mochte ich den Freund meines Vaters sehr und fühlte mich in dessen Familie wie in einer zweiten eigenen. Kurzum, meine Rebellion setzte ich um, indem ich mit fünfzehn Jazz hörte und Simone de Beauvoir & Consorten las.

Beides ist mir geblieben – Jazz mag ich heute noch und ich bin froh, so manche literarische Perle später noch einmal gelesen zu haben, als ich wirklich verstand, worum es hier eigentlich geht. Aber auch eine gewisse Liebe zum Fußball ist mir geblieben. Nicht unbedingt zu den Mannschaften, die vor lauter Geld gar nicht mehr wissen, wen sie alles auf die Bank setzen sollen, sondern zu denen, die mit Leidenschaft und Herz spielen. Und das ein oder andere Mal dadurch eine kleine Sensation schaffen. Underdogs sind es, die mich begeistern. Spieler, die auch nach tragischen Verletzungen wiederkommen oder ihre Mannschaftskollegen auf dem Feld so sehr anfeuern, dass die gar nicht anders können, als zu gewinnen.

Ehrlich, wer hat bei der letzten EM – wenn er sie denn gesehen hat – nicht mit den Isländern oder den Walisern mitgefiebert? Und auch wenn ich mir dafür Häme und Schelte einheimse, ich persönlich gönne den Portugiesen den endlich errungenen Titel. Denn letztendlich zählen nur die erzielten Tore. Und davon weiß J.L. Carr in seinem Roman Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten so einiges zu berichten. Diese wunderbare Geschichte um Alex Slingsby, Ex-Fußballprofi und seit einer Tragödie Grundschullehrer in Sinderby, der sich ambitioniert zum Ziel macht, mit einer Amateurmannschaft ins Finale des F. A. Cups im Wembleystadion zu gelangen, ist als Printausgabe im Dumont Verlag erschienen und als Hörbuch bei DAV. Das von Thomas Sarbacher ungekürzt eingelesene Hörbuch unterstreicht die typisch britische Weitschweifigkeit des Erzählens. Das muss man mögen, aber wenn man es mag, dann ist man hier genau richtig.

Zunächst erfahren wir so einiges über das kleine Dorf in Yorkshire und dessen Bewohner, die etwas fast unmögliches schaffen wollen. Die einzelnen Personen sind dermaßen gut gezeichnet, dass man keine Schwierigkeiten hat, dem munteren Erzählfluss des Buches und dem großartigen Erzählton von Thomas Sarbacher zu folgen. Kleinere Nebengeschichten, der Dorftratsch, reichern das Ganze vergnüglich an und entlocken auch nicht so Fußball affinen Menschen sicherlich den ein oder anderen Schmunzler. Wie hier eine Geschichte aufgebaut wird, die zwar, wie im Vorwort vorangestellt ist, eine fiktive ist, das macht Laune. Vielleicht ist ja auch das Vorwort getürkt und soll nur verschleiern, wer hier die tatsächliche Sensation schuf. Aber das ist alles gleichgültig.

Denn es zählt eines: den Weg zu verfolgen, wie eine Amateurmannschaft zusammenwächst, Einzelgänger zu einem Team werden. Ein wahres Erfolgsgeheimnis, das vor ein paar Jahren auch im amerikanischen Baseball umgesetzt wurde. Wer den Film Moneyball kennt, weiß wovon die Rede ist. Es kommt tatsächlich nicht auf das Geld an, sondern auf Taktik, auf die Fähigkeit, mit dem Material zurecht zu kommen, das zur Verfügung steht. Im Fußball – zumindest damals bei den Steeple Sinderby Wanderers – gibt es dann noch so ein paar Tricks, wie zum Beispiel leuchtend gelbe Trikots, die man auch im dicksten englischen Nebel erkennen kann oder die Kenntnis der Unebenheiten eines Fußballfeldes. Klar, heute und in regulären Ligen, könnte man solche Tricks nicht anwenden – aber Sprüche wie:

»Ein Torwart muss kein guter Fußballer sein, er muss nur Raumgefühl besitzen« oder »Fußballer müssen nicht immer auf den Ball sehen, Frauen sehen beim Stricken auch nicht auf die Nadeln«

zeigen, mit welcher Verve hier gearbeitet wird. Das macht Laune, egal ob Fußball affin oder nicht.

Eine wunderbare Geschichte, im besten Sinn geschwätzig erzählt, mit feinem britischen Humor gewürzt, großartig vorgetragen von Thomas Sarbacher. Euer Buchhändler des Vertrauens wird sie euch sicher gerne aushändigen. Absolute Hörempfehlung!

*Profifußballspieler des 1.FC Nürnberg

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 07. April 2017
  • Verlag : Der Audio Verlag
  • ISBN: 978-3-7424-0005-5
  • Audio CD, 4 CDs ungekürzte Lesung

10 Gedanken zu “Underdogs

  1. Naja, die Geschichte hier ist ja keine Club-Geschichte 😉 Aber ich könnte ein paar alte Kamellen rausholen ;))) LG aus Berlin, Bri

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  2. Naja, die Fußnote brauchts vielleicht schon – denn wir haben ja auch ein paar nicht Fußball affine und nicht deutsche Mitleser 😉 – jedenfalls wurde ich intern darum gebeten – und schaden tuts ja auch nicht ;). Ja es macht großen Spaß die Geschichte zu hören. Ich werde sie wohl auch noch selbst lesen … mal sehen, ob das anders ist. LG

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  3. Klingt nach einem lesenswerten Buch. Für mich als Fan auf jeden Fall interessant. Aber die Fußnote war doch eigentlich überflüssig, oder? 😉

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  4. Ja, mach das – es ist toll. Und ja, Glubberer sind leidensfähig. Bei meinem Vater an der Wand hängen die Bilder der damaligen Mannschaft mit Unterschriften. Und zwei paar Mini-Fußballschuhe mit den Unterschriften von Max Morlock und halt Dich fest – Fritz Walter … das waren andere Zeiten damals. Blut, Schweiß und Tränen 😉 und wenn einem eine Entscheidung des Schiris nichts passte, hat man halt mal blank gezogen 😉 – Lustige Geschichten hab ich da erfahren. Sollte ein Buch drüber schreiben 😉

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  5. Den Link schicke ich doch sofort an meinen Gastautoren Florian, der immer heiß ist auf Fußballbücher 🙂
    Und schön, was Du über Deine Jugend erzählst 🙂 Wer aus Nürnberg kommt und Fußball mag, der weiß ja schließlich, was Leiden heißt. Ich hatte da neulich einen sehr netten Taxifahrer, der, als er hörte, dass ich aus Augsburg komme, ganz großzügig meinte, er sei zwar ein „Glubberer“, aber er gönne es den Marionetten aus der Puppenkiste schon, dass sie den Klassenerhalt geschafft haben 🙂

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